Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Joachim Löw bleibt Trainer der deutschen Nationalmannschaft und soll das Team zur EM 2021 führen.
Trotz der 0:6-Blamage in Spanien hält der Verband am Bundestrainer fest. Diese Treue wirft allerdings Fragen auf. Die wichtigste: Kommt Löw auf Dauer an Müller, Boateng und Hummels vorbei?
FRANKFURT/M. Der Deutsche Fußball-bund hatte Gesprächsbedarf angemeldet. Gut zwei Wochen nach dem 0:6 in Spanien sollte der Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff am Freitag dem Präsidium in Frankfurt erklären, wie es zur höchsten Länderspielniederlage seit 1931 kam, wie die Bilanz der vergangenen beiden Jahre aussieht und wie es im nächsten, im Em-jahr weitergehen soll.
Weil sich viele Menschen darüber wunderten, warum Bierhoff der Gesprächspartner des Präsidiums sein sollte und nicht Bundestrainer Joachim Löw, weil darüber hinaus einige Experten den Bundestrainer heftig angezählt hatte, fühlte sich der Verband am Montag dann doch zum vorzeitigen Handeln veranlasst.
Nach einem Treffen mit Löw und Bierhoff folgte das oberste Entscheidungsgremium im Verband den „Empfehlungen des Präsidialausschusses und von Oliver Bierhoff, Direktor Nationalmannschaften“, wie es in einer Mitteilung an die Medien hieß. Die Mitglieder des Präsidialausschusses (Dfb-präsident Fritz Keller, die Vizepräsidenten Peter Peters und Rainer Koch, Schatzmeister Stephan Osnabrügge, Generalsekretär Friedrich Curtius) „stellten übereinstimmend fest, dass die hochqualitative Arbeit des Trainerstabs, das intakte Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer sowie ein klares Konzept für das bisherige und weitere Vorgehen zählen“. Ein einzelnes Spiel dürfe nicht Gradmesser für die grundsätzliche Leistung der Nationalmannschaft und des Bundestrainers sein. Klartext: Löw bleibt der Mann für den Wiederaufbau und auf dem Weg zur EM 2021. Es bleiben allerdings Fragen.
Warum gab es seitens des DFB zunächst den Termin für den 4. Dezember? Der DFB antwortet darauf: Weil es fair ist. In einer Pressemitteilung hieß es in der vergangenen Woche: Es werde berücksichtigt, „dem Bundestrainer die zeitliche und emotionale Distanz zu geben, die aktuelle Situation der Nationalmannschaft grundlegend aufzuarbeiten. Sportlich, um die Ursachen der deutlichen Niederlage von Sevilla zu analysieren. Und persönlich, um die eigene große Enttäuschung zu verarbeiten. Das gehört sich so“. Diese Erklärung wurde nun doch vorgezogen.
Was wurde beraten? Das größte Problem ist klar benannt. Die Gründe für den Totaleinbruch von Sevilla sollten erklärt werden. Löw und Bierhoff ist es offenbar gelungen, das größte kollektive Versagen der jüngeren Länderspielgeschichte als einmaligen Ausrutscher darstellen zu können. Den fußballerischen Offenbarungseid am Ende einer zweijährigen Arbeit am Umbruch als Dokument des Scheiterns zu begreifen, scheint den DFB-OBEren zu verwegen gewesen. Sie hätten die Entwicklungsarbeit nach dem Wm-desaster von Russland in Frage stellen müssen – damit letzten Endes auch sich selbst. Das wollten sie natürlich nicht.
Warum hat sich Löw vorher nicht geäußert? Das ist so seine Art. Selbst nach einigermaßen positiv verlaufenen Ereignissen wie der EM 2016, als erst im Halbfinale Schluss war, geht er auf Tauchstation. Erst recht nach Blamagen. Als sein Team in Russland nach der Gruppenphase nach Hause fahren musste, brauchte Löw zwei Monate, ehe er sich zu Wort meldete. Er gab sich demütig, beklagte den Fehler, zu sehr an den Ballbesitzfußball geglaubt zu haben. Und er stellte fest: „Das war fast schon arrogant.“Das reichte den Dfb-chefs als Basis für die weitere Zusammenarbeit.
Wie ist die Bilanz des Umbaus? Das ist die Kernfrage. In der Nations League handelte sich das DFB-TEAM eigentlich den Abstieg ein, durfte dann aber nach einer gnädigen Uefa-reform weiter in der ersten Liga Europas mitspielen. Die Em-qualifikation gelang glatt, außer den Niederlanden gab es da allerdings auch keine ernsthaften Gegner. Die Probleme in der taktischen Ausrichtung, der Abstimmung auf dem Platz, des Defensivspiels und zuletzt sogar der Einstellung sind nicht bewältigt. Nach dem 0:6 in Spanien ist der Kredit bei den Fans verspielt. Trotzdem beteuert der DFB in seiner Pressemitteilung: „Auf dem Weg zur EM 2021 sind bereits wichtige sportliche Ziele erreicht worden – darunter die Em-qualifikation, der Verbleib in Liga A der Nations League und die Positionierung im ersten Lostopf bei der Wm-qualifikation. Entsprechend hat Joachim Löw weiterhin das Vertrauen des DFB-PRÄsidiums.“So einfach ist das. Es ist eben alles eine Sache der Interpretation.
Was muss Löw nun tun? Er muss nicht nur durch Argumente in Gesprächen, sondern auch durch Ergebnisse in den Länderspielen des Frühjahrs beweisen, dass er die Kraft für eine wirkliche Wende hat. Er muss eine Idee vermitteln, ein fußballerisches Konzept. Und er muss wahrscheinlich lernen, auch auf andere zu hören. Kritikern mit der großzügigen Genehmigung zu begegnen, jeder könne seine Meinung äußern, „aber ich stehe über den Dingen“, bringt ihn nicht weiter – vor allem beim Publikum nicht.
Was ist mit den deaktivierten Weltmeistern? Als Löw mal sehr konsequent sein wollte, schickte er die Weltmeister Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng in die Wüste. Die Länderspiele seither belegen, dass es an defensiver Führung und an Lebendigkeit auf dem Platz mangelt. Wenn es darum geht, in der Nationalmannschaft die Besten aufzustellen und nicht nur mit dem Fernglas auf kommende Meisterschaften zu schauen, kommt Löw an dem Trio wohl nicht vorbei. Darüber steht nichts im Dfb-papier. Damit begibt sich der Verband auf ein dünnes Eis. Diese Haltung verkauft er als Loyalitäts-beweis zum Trainer.
Wenn der allerdings im Frühjahr ohne die drei Routiniers schlechte Ergebnisse vorlegt, wird der Druck auf den Verband noch höher. Der Nachfolge-kandidat Ralf Rangnick hat sich öffentlich in aller Vorsicht bereits warmgelaufen.