Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Mit Traktoren gegen Discounter
Landesweit protestieren Bauern gegen die Preispolitik von Lidl, Aldi und Co. Ein Gipfel soll die verfahrene Lage lösen.
DÜSSELDORF Aus Sicht jedes Managers ist es ein Worst-case-szenario: Wenn Zentrallager großer Handelsunternehmen blockiert werden, dann trifft das die Konzerne an einer höchst empfindlichen Stelle. Denn die Blockade führt dazu, dass Lebensmittel an die Filialen im Land zu spät oder gar nicht ausgeliefert werden. Was, wenn es um Frischeprodukte geht, im Extremfall sogar dazu führt, dass Waren gar nicht erst in den Verkauf kommen, sondern vernichtet werden müssen. So gesehen, haben die Bauern, die am Dienstag in Niedersachsen, Nordrhein-westfalen und Rheinland-pfalz Lager der Discounter Aldi Nord und Süd sperrten, den Druck auf die Unternehmen spürbar erhöht. Exakt das ist in der vergangenen Woche bei Protestaktionen gegen den Aldi-konkurrenten Lidl passiert.
Der Streit zwischen Landwirten und Handelskonzernen ist kein neues Phänomen. Er tobt seit Jahren. Die Bauern werfen Aldi, Lidl und Co. vor, dass diese keine auskömmlichen Preise für Milch und Fleisch zahlten. Das Problem hat sich durch die Corona-krise allerdings noch einmal drastisch verschärft. Den Landwirten ist durch die Zwangsschließung in der Gastronomie zudem ein weiterer wesentlicher Abnehmer von Fleischprodukten abhanden gekomen.
Und die Exporte nach China sind derzeit ebenfalls unmöglich, nachdem in Deutschland die afrikanische Schweinepest ausgebrochen ist. Die Chinesen hatten in den beiden vergangenen Jahren selbst große Probleme mit der Schweinepest gehabt. Um den Ausbruch der Tierseuche in den Griff zu bekommen, ließen die Behörden damals landesweit rund 1,2 Millionen Schweine töten. Seit September gibt es aus Angst vor neuer Masseninfektionen der Tierbestände ein Importverbot für deutsches Schweinefleisch.
Die Folge: Das Überangebot lässt die Erzeugerpreise sinken. Nach Angaben von Landwirten ist der Schweinepreis seit Anfang des Jahres um 40 Prozent eingebrochen. In absoluten Zahlen: Ein Kilo Schweinefleisch koste heute nur noch 1,20 Euro. Niedrigere Preise habe der Handel aber nicht an die Kunden weitergegeben, sondern sich selbst auf Kosten der Bauern bereichert, so der Vorwurf der Landwirte. Am Freitag soll es eine Gesprächsrunde geben, mit Vertretern der Landwirtschaft, des Handels, der Bauern-protestbewegung „Land schafft Verbindung“und der Politik. Worum es dabei gehen soll, bleibt offen. Bei Aldi heißt es auf Anfrage, man wolle den weiteren Gesprächen mit allen Beteiligten nicht vorgreifen. Der Deutsche Bauernverband hat sich im Vorfeld dieses Gipfels erneut klar positioniert und eine „klare Selbstverpflichtung des Handels zum Ausstieg aus der Dauerniedrigpreiskultur“gefordert.
Ist der Vorwurf der Dauerniedrigpreise wirklich zutreffend? Die großen Handelsketten bestreiten das seit jeher. Sie pochen auf den freien Preiswettbewerb, auf hohe Qualität und Sicherheit von Lebensmitteln zu günstigen Preisen, von der in erster Linie die Verbraucher profitierten, und darauf, dass sie sich an Recht und Gesetz hielten. Aus Sicht des Handelsexperten Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein sind die Lebensmittelpreise in Deutschland nicht zu niedrig: „Wenn der deutsche Lebensmittelhandel unter enormem Wettbewerbsdruck noch Rendite erwirtschaftet, können die Preise nicht zu niedrig sein.“
In der Tat sind für die Bauern nicht auskömmliche Preise auch nur die eine Seite des Problems. Für sie sei der Handel vielleicht auch nur das Vehikel, über das sie ihrem aufgestauten Ärger Luft machten, heißt es in der Branche – Ärger nicht nur über niedrige Preise, sondern auch über ständig steigende Regulierung in Sachen Umwelt- und Klimaschutz, die die Landwirte immer stärker in Bedrängnis bringe.
Den Teil des Preisverfalls, der durch den Rückgang der Fleischexporte bedingt ist, kann der Handel ohnehin nicht im Alleingang lösen. Das gilt wiederum auch nicht nur für die großen Supermarktketten, sondern in gleicher Weise für Verarbeitungsunternehmen wie Schlachthöfe und Molkereibetriebe, die ihrerseits ebenfalls nicht einfach im Alleingang die Preise erhöhen können. Dann würde ihnen möglicherweise das Bundeskartellamt wegen verbotener Preisabsprachen aufs Dach steigen, was ebenfalls nicht im Sinne der Verbraucher wäre.
Zudem sind die Bauern gegenüber den großen Handelsketten nicht ganz so machtlos, wie es immer scheint. So gibt es – teils schon seit Jahrzehnten – große Genossenschaften, die für die Bauern Produkte wie Milch, Obst, Gemüse oder Zucker erfolgreich vermarkten. Auch auf deren Seite hat sich nach Ansicht von Branchenbeobachtern eine gewisse Verhandlungsmacht etabliert. Trotzdem, da sind sich alle Beteiligten einig, kommt am Ende bei den Bauern am Ende der Kette zu wenig Geld an. Für Heinemann geht dabei auch zu viel in den Organisationsstrukturen der landwirtschaftlichen Genossenschaften verloren: „Da ist vieles zu ineffizient“.
Das 50-Millionen-euro-angebot, das Lidl zuletzt machte, ist aus Sicht der Bauern und ihrer Interessenvertreter nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Pro landwirtschaftlichem Betrieb kämen da laut der Initiative „Land schafft Verbindung“gerade einmal gut 192 Euro zusammen.
Was also tun? Für die deutschen Landwirte sei die Krise auch eine Riesenchance für ein nachhaltiges Produktangebot, so Heinemann. Sie könnten Mehrwert für den Kunden schaffen – beispielsweise dadurch, dass sie Bauernmärkte betrieben, Waren nach Hause lieferten und mehr Bio-angebote machten. Auch der Automatenverkauf, den es unter anderem für Milch und Eier schon gibt, sei eine gute Möglichkeit, jenseits des Preiskampes mit den Discountern zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen.