Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Das Aus wäre eine Katastrophe für Real“
ULI STIELIKE Der Ex-madrilene spricht über Gladbachs Spiel bei den Königlichen und das Ende seiner Trainerkarriere.
MÖNCHENGLADBACH Uli Stielike ist einer von neun Deutschen, die bei Real Madrid spielten. Zuvor war er bei Borussia Mönchengladbach. Mit beiden Klubs, die am Mittwoch um den Einzug ins Achtelfinale der Champions League gegeneinander spielen, wurde er Meister, Pokal- sowie Uefa-cup-sieger.
Herr Stielike, Gladbach spielt in der Königsklasse bei Real Madrid um den Einzug ins Achtelfinale. Ist es für Sie ein besonderes Spiel? STIELIKE Es ist natürlich eine besondere Konstellation, da es in diesem Spiel für beide darum geht, ins Achtelfinale einzuziehen. Die aktuellen Umstände degradieren aber gerade solche Spiele. Es fehlen sämtliche äußere Einflüsse welche die Leistung eines Spielers stark beeinflussen können, im positiven wie im negativen Sinn.
Zu wem halten Sie?
STIELIKE In Mönchengladbach habe ich gut vier Jahre lang meine fußballerische Ausbildung bei der Borussia getätigt, später dann meinen Meisterbrief in Madrid bei Real absolviert. Insofern verdanke ich beiden Vereinen sehr viel und mein Wunsch zu Beginn war, dass sich beide Klubs qualifizieren sollten. Und obwohl Real als Favorit in dieses Spiel geht, sehe ich gute Chancen für die Borussia fürs Weiterkommen. Valverde und Hazard werden fehlen, der Druck eines ausverkauften Bernabeu ist nicht gegeben und die Borussia spielt einen hervorragenden Konterfußball. Daher ist die Begegnung für mich völlig offen und ich kann aus meiner Perspektive sagen: Möge der Bessere gewinnen.
Favorit ist Real?
STIELIKE Sicherlich. Darum lastet der größere Druck auf Real, denn es könnte zum ersten Mal in der Gruppenphase der Champions League scheitern. Das Aus wäre eine Katastrophe für den stolzen Klub. Das Team ist nicht ganz so sattelfest in dieser Saison, das könnte Gladbachs Vorteil sein. Es ist viel Unruhe und ich bin fast schockiert, wie harsch die Kritik an einem Mann wie Zinedine Zidane ist. Er ist nicht nur als Aktiver eine Legende, sondern hat auch als Trainer seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt.
Wobei der Anspruch Reals immer war, außergewöhnlich zu sein. STIELIKE Historisch gesehen ist Real Madrid der größte und erfolgreichste Fußballklub der Welt. Darum habe ich damals auch keinen Moment gezögert, als mir Real ein Angebot unterbreitete, selbst wenn ich anschließend eine knapp zweijährige Sperre für Dfb-spiele in Kauf nehmen musste. Real ist der Klub von Spielern wie Alfredo di Stefano, Ferenc Puskas oder Francisco Gento – dort spielen zu dürfen ist für jeden Fußballer ein Traum. Das Gefühl, erstmals im weißen Trikot von Real aufzulaufen, werde ich nie vergessen.
Nach dem Landesmeister-finale gegen Liverpool 1977 (1:3) sind Sie von Gladbach zu Real gewechselt. STIELIKE Als ich dort spielte, durften nur zwei Ausländer verpflichtet werden. Da war es schon eine Auszeichnung, einen der Plätze inne zu haben. Wegen dieser Regel endete meine Zeit auch 1985. Real holte Hugo Sanchez, den Mexikaner, der
Argentinier Jorge Valdano war 1984 gekommen, da war für mich kein Platz mehr. Es tat weh, das muss ich zugeben. Ich war 30, hätte gern nochmal zwei Jahre verlängert und meine Karriere in Madrid beendet.
Dreimal haben Sie mit Borussia den deutschen Titel geholt, dazu den Dfb-pokal und den Uefa-cup. Wie bewerten Sie die Zeit in Gladbach?
STIELIKE Es war eine intensive, harte und gleichzeitig lehrreiche Ausbildungszeit. In meinen ersten zwei Jahren war es ein großer Vorteil mit Hennes Weisweiler einen Trainer zu haben, der die jungen Spieler stark förderte und sich auch nicht scheute, das Risiko einzugehen, wenn er von ihrem Talent überzeugt war. Darüber hinaus habe ich von weiteren „Trainern“profitiert, die dir bei jeder Aktion vermittelt haben, wie sich ein Profi zu verhalten hat. Ob von Berti Vogts in der Defensive, von Günter Netzer im Mittelfeld oder von Jupp Heynckes im Angriff, in jeder Trainingseinheit erhieltest du Tipps, Lob und Tadel. Der Konkurrenzkampf war unglaublich. Aber das war eine gute Schule.
Wo sehen Sie Gladbach heute? STIELIKE Was ich in dieser Saison von der Borussia gesehen habe, gefällt mir. Eine starke Mannschaft, die mehr Punkte haben könnte, aber ein wenig vom Pech verfolgt war bei den späten Gegentoren. In Alassane Plea und Marcus Thuram verfügt Borussia über zwei herausragende Stürmer. Ohne Zweifel gehören die Borussen zu den Top fünf Teams in Deutschland.
Zweimal hat Borussia in der Vergangenheit in Madrid gespielt.
1976 waren Sie als Gladbacher dabei.
STIELIKE An das Rückspiel von 1976, das 1:1 nach einem 2:2 in Deutschland endete, kann sich noch jeder erinnern, der dieses Spiel gesehen hat. Zwei völlig korrekt erzielte Tore von Jensen und Wittkamp wurden durch den holländischen Schiedsrichter van der Kroft annulliert. Obwohl ein ausverkauftes Bernabeu einen gewaltigen Druck auf alle Akteure ausübt, und generell die Heimmannschaften in der Regel von Schiedsrichterentscheidungen profitierten, kann man über die krassen Fehlentscheidungen in der besagten Begegnung nur spekulieren.
Sie waren selbst von 1998 bis 2006 als Dfb-nachwuchstrainer tätig. Hat Deutschland da ein Problem? STIELIKE Es ist immer so und es hat sich nicht geändert: Wenn es im A-team nicht gut läuft, wird darüber diskutiert, dass wir keinen Nachwuchs haben. Natürlich ist es im Zusammenhang mit der Pandemie schwieriger für den Nachwuchs, aber das Problem haben alle Ligen. Ich sehe kein grundsätzliches Problem in Deutschland.
Sie haben die Nationalteams der Schweiz, der Elfenbeinküste und Südkoreas trainiert, waren Dfb-trainer. Wäre es für Sie interessant, nochmal einen Job beim DFB zu machen? Ihr Engagement in China ist beendet.
STIELIKE Ich habe mich in den vergangenen vier Wochen sehr an das Rentnerdasein gewöhnt und habe daher entschieden, dass ich meine Trainerlaufbahn beende. Die Reiserei, die Trainingslager, der Terminstress, all das muss ich nicht mehr haben.
Was wäre, wenn ein Klub oder Verband wegen einer beratenden Funktion anfragt?
STIELIKE Das wäre etwas anderes, wenn es um eine beratende Position geht. Da hat man Freiheiten, seine Zeit einzuteilen. Warten wir es ab.