Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die Pionierin der neuen Impfstoffe
Die ungarische Biochemikerin Katalin Karikó ebnete mit ihrer Forschung den Weg für die neuen genbasierten Impfstoffe, die nun gegen das Coronavirus zum Einsatz kommen. Über eine mutige Frau mit großem Eifer.
MAINZ Wissenschaftliche Forschung ist geprägt von Rückschlägen. Bevor es eine Entdeckung bis in die Öffentlichkeit schafft, sind zuvor zahlreiche Testreihen fehlgeschlagen, wurden Proben verworfen und Projekte neu aufgelegt. Zwischendurch geht auch nicht selten das Geld aus. Man muss schon ein ziemlicher Optimist sein, um sich davon nicht kleinkriegen zu lassen und einfach weiterzumachen. Katalin Karikó hat weitergemacht. „Ich habe nie daran gezweifelt, dass es funktionieren würde“, sagte die ungarische Biochemikerin jüngst dem britischen „Guardian“und meinte damit die von ihr maßgeblich erfundene Methode, synthetische MRNA als Heilmittel einzusetzen.
Karikóstechnik könnte die Corona-pandemie beenden. Denn gleich zwei der angekündigten Impfstoffe gegen das Virus beruhen auf synthetischer MRNA – und beide weisen laut Hersteller eine Wirksamkeit von rund 95 Prozent auf. Untersuchungen bei Geimpften ergaben, dass kein Virus in der Nase nachweisbar war. „Das bedeutet also, dass es sehr wirksam ist, denn wenn die Menschen kein Virus in der Nase haben, verbreiten sie es auch nicht“, sagte Karikó dem „Telegraph“aus Philadelphia. Derlei mrna-impfstoffe gab es bisher nicht. Erfahrungen fehlen. Doch Karikó ist sich sicher: Es wird funktionieren.
Ihre Forschung zu künstlich hergestellter MRNA begann 1978 in Ungarn an der Universität Szeged. Sieben Jahre später folgte die Einladung aus den USA. Karikó zog zusammen mit ihrem Mann, einem Ingenieur, und der damals zweijährigen Tochter nach Philadelphia, wo sie ihre Arbeit zunächst an der Universität und später an der medizinischen Fakultät fortführte. Zu dieser
Zeit gelangen ihr und ihren Kollegen wichtige Experimente mit der neuen mrna-technik. Es habe Phasen gegeben, erzählte Karikó dem „Guardian“, da habe sie irgendwann gemerkt, dass sie das gesamte Jahr über gearbeitet habe, inklusive Silvester. Mitunter habe sie auch im Büro geschlafen.
So etwas kann man besessen nennen, man kann es aber auch ehrgeizig nennen. „Ich habe die Arbeit immer geliebt und daran gedacht, welche Krankheiten ich alle heilen könnte“, sagte Karikó dem „Telegraph“. Denn synthetische MRNA könnte nicht nur eine Revolution für die Impfstoffforschung bedeuten, sondern auch bei der Behandlung von Schlaganfällen und Krebs. Die Sonderform der RNA, nicht zu verwechseln mit der DNA, regt den Körper dazu an, selbst zum Krankheitsbekämpfer zu werden und die Gegenmittel selbst herzustellen. Im Fall des Coronavirus wären das entsprechende Antikörper.
Doch Karikós Team in Philadelphia fiel aufgrund mangelnder Finanzierung auseinander. Die neue Technik war schlichtweg zu neu. Es fanden sich keine Investoren. Und es gab noch ein großes Problem zu lösen: Die synthetische MRNA – das m steht für „messenger“– rief nach Verabreichung im Körper Entzündungsreaktionen hervor. Zusammen mit dem Hiv-forscherdrewweissmann, der 1998 an die Universität Philadelphia wechselte, gelang es Karikó 2004 einen der vier Bausteine der MRNA so zu modifizieren, dass Abwehrreaktionen des Körpers ausblieben. Die Publikation zu dieser bahnbrechenden Forschung erfolgte ein Jahr später und fand anfangs kaum Beachtung. Nur wenige Wissenschaftler erkannten damals das Potenzial hinter der Entdeckung.
Einer von ihnen war Derrick Rossi, Mitbegründer der Us-firmamoderna, die bald auch mit der Lieferung eines vielversprechenden Impfstoffkandidaten auf mrna-basis beginnt. Katalin Karikó hatte einst auch ein Jobangebot von Moderna auf dem Tisch liegen, entschied sich aber letzten Endes für ein anderes Unternehmen, das derzeitmit einem Impfstoff gegen Sars-cov-2 für Furore sorgt: Biontech. 2013 wechseltekarikó nach Mainz, wo die Firma ihren Sitz hat.
Biontech wurde erst 2008 gegründet, Moderna 2010. Der Erfolg beider Unternehmen beruht maßgeblich auf der Forschung von Katalin Karikó. Biontech beschäftigt heute 1500 Mitarbeiter und besitzt einen Börsenwert von rund 24 Milliarden Euro. „Ich war nicht für das Rampenlicht vorbereitet“, sagte Karikó im Gespräch mit dem „Telegraph“. In der Öffentlichkeit stand zuvor eher ihre Tochter: Zsuzsanna Francia gewann als Ruderin 2008 und 2012 bei den Olympischen Spielen Gold, sie ist zudem fünffache Weltmeisterin. „Sie hat immer gesagt, dass unsere Arbeitsethik sie antreibt“, sagte Karikó.
Derrick Rossi ist sich heute sicher: Katalin Karikó und Drew Weissmann verdienten den Nobelpreis für Chemie. „Wenn mich irgendwann einmal jemand fragt, für wen ich stimmen soll, würde ich sie an die Spitze stellen“, sagte er dem „Bosten Globe“: „Diese fundamentale Entdeckung wird in Medikamenten genutzt werden, die der Welt helfen.“