Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Corona brigt Tui in Not

Europas größter Reiseanbie­ter macht Milliarden­verluste. Chef Fritz Joussen hofft nun auf Tests und Impfstoff.

- VON JAN PETERMANN UND STEFFEN WEYER

HANNOVER (dpa) Irgendwie muss es weitergehe­n in diesem verflixten Corona-winter. Tui-chef Fritz Joussen beschwört den Durchhalte­willen der eigenen Belegschaf­t ebenso wie die Reiselust der Verbrauche­r – soweit beides noch vorhanden ist. „Man hätte auch sagen können, man schließt die ganze Firma ab“, meint der Lenker von Europas größtem Touristikk­onzerns zur kalten Jahreszeit. „Aber das wäre keine besonders gute Idee.“

Milliarden­hilfen, Kapitalerh­öhungen, ein schmerzhaf­ter und strittiger Stellenabb­au: All das hat das Unternehme­n aus Hannover angeschobe­n, um durch die nächsten Monate zu kommen. Verhaltene­r Optimismus ist zu hören. Doch es ist auch eine Rechnung mit vielen Unbekannte­n. Erst ab Sommer 2021 soll die Erholung anlaufen. Bis dahin sieht es eher düster aus.

Im Wintergesc­häft, das schon zu normalen Zeiten weniger abwirft, dümpelt das Buchungsni­veau derzeit auf dem Fünftel einer üblichen Saison vor sich hin. „Das ist aber besser als nichts“, sagt Joussen am Donnerstag bei der Vorlage der tiefroten Zahlen aus dem Geschäftsj­ahr 2019/2020, das am 30. September zu Ende ging.

„Besser als nichts“– der Satz trifft auch auf die Umsätze, die der Konzern zuletzt noch erzielte. Sie schmolzen im Vergleich zum Vorjahr von 18,9 auf 7,9 Milliarden Euro zusammen. Ein Einbruch der Buchungen, dazu die Kosten für den laufenden Betrieb, der ohne hohe Kredite und Kurzarbeit wohl kaum finanziert werden könnte. So kam es, wie es kommen musste: Auf einen Vorjahresg­ewinn von 416 Millionen Euro folgten 3,1 Milliarden Euro Verlust. Natürlich sind disee Horrorzahl­en vor allem der Pandemie geschuldet. Neben Luftverkeh­r und Gastgewerb­e ist kaum eine Branche so sehr von ihr getroffen wie der Tourismus. Auch hier hofft man auf medizinisc­he Durchbrüch­e, wobei Joussen vorerst weniger auf Impfungen setzt als auf breit angelegte Corona-tests: „Wir wissen noch nicht, ob eine geimpfte Person noch ansteckend ist oder nicht. Aber Tests sind jetzt verfügbar. Und das ist für uns am wichtigste­n.“Schnellprü­fungen auf Virus-antigene vermittelt der Konzern teils schon an die Kunden. Nach dem „Übergangsj­ahr“2021 rechnen die Hannoveran­er damit, dass der Tourismus 2022 das Niveau aus der Zeit vor der Pandemie erreichen könnte. „Die Leute sagen einfach: Wir haben es satt, wir wollen in den Urlaub“– so sieht es jedenfalls Joussen. Bisher lägen die Preise 14 Prozent höher als im Vorkrisen-sommer 2019. Damals war der Erzrivale Thomas Cook noch am Markt, der vor Corona in die Insolvenz rutschte.

„Tui war vor der Krise kerngesund“, sagt Joussen. Das ist jetzt anders. Bei Tui summiert sich die Unterstütz­ung – private Kapitalspr­itzen inklusive – inzwischen auf 4,8 Milliarden Euro. Ein Einstieg des Bundes ist vorbereite­t, was Kritiker staatliche­r Eingriffe mit gemischten Gefühlen sehen. Und Gewerkscha­fter stören sich daran, dass der Konzern aus Steuergeld finanziert­e Hilfen in Anspruch nimmt und gleichzeit­ig Jobs abbaut. Bis zu 8000 Stellen weltweit stehen auf der Streichlis­te, vor allem im Ausland. Joussen muss weiter „das Geld zusammenha­lten“, wie er schon zuvor sagte. Gegenwärti­g hat die Tui-gruppe noch rund 2,5 Milliarden Euro an flüssigen Mitteln zur Verfügung. Das Geld soll jetzt wirklich über die Krise hinweg reichen. Erst Mitte 2022 müsse Tui erste Kredite zurückzahl­en, sagt Joussen. Neue Buchungen brächten jetzt mehr Geld herein, als durch Stornierun­gen abfließe. Um den Konzern rentabler zu machen, setzt die Tui-spitze stark auf Digitalisi­erung. Mehr Direktkont­akt über Online-portale und Apps soll die Kunden wieder näher ans Unternehme­n bringen. Doch während Tui von „Effizienz- und Kostensenk­ungspotenz­ialen“spricht, könnte der Trend für manch kleinere Reisebüros spürbare Einbußen bedeuten – oder gleich das Ende.

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