Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Staatsbeteiligung ist vom Tisch“
KLAUS KEYSBERG Der Finanzchef von Thyssenkrupp will die Stahlsparte aus eigener Kraft sanieren. Das heißt auch: mehr Jobabbau.
Herr Keysberg, Thyssenkrupp steckt in der Krise, vor allem die Stahlsparte. Wie sieht es aktuell aus? KEYSBERG Nach dem Einbruch durch Corona im Frühjahr spüren wir aktuell eine allgemeine wirtschaftliche Erholung. Das zeigt sich auch an einer verbesserten Geschäftsentwicklung beim Stahl. Allerdings kommen wir da von einem extrem niedrigen Niveau. Die Corona-auswirkungen werden uns noch eine Weile belasten. Ab wann mit einer nachhaltigen Erholung oder Normalisierung zu rechnen ist, bleibt nach wie vor unsicher. Außerdem bestehen die strukturellen Herausforderungen in der Branche unverändert weiter und müssen angegangen werden.
Thyssenkrupp kann beim staatlichen Wirtschaftsstabilisierungsfonds Hilfe beantragen. Warum haben Sie das noch nicht gemacht? KEYSBERG Das haben wir natürlich eingehend geprüft. Die Sorgfaltspflicht gebietet, sich solche Möglichkeiten ernsthaft anzuschauen. Wir sind aber nach intensiver Prüfung und guten Gesprächen mit der Bundesregierung und der Landesregierung NRW übereingekommen, dass der Wirtschaftsstabilisierungsfonds nicht das geeignete Mittel ist, um den Stahlbereich des Unternehmens in der aktuellen Situation mit Eigenkapital zu unterstützen, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-pandemie abzufedern und über die grüne Transformation zukunftsfähig zu machen. Damit ist das Thema staatliche Beteiligung vom Tisch. Aber selbstverständlich setzen wir die Gespräche mit der Bundesregierung und der Landesregierung NRW über Unterstützungsmöglichkeiten, insbesondere hinsichtlich der grünen Transformation, weiter fort. Wir haben immer gesagt, dass kein Unternehmen allein den Wandel hin zu einer klimaneutralen Stahlproduktion leisten kann. Und darüber sprechen wir natürlich auch weiter.
Warum halten Sie nichts vom Staatseinstieg wie bei der Lufthansa, wie die IG Metall fordert? KEYSBERG Wenn wir über Staatseinstieg reden, dann reden wir über eine zeitlich begrenzte staatliche Unterstützung durch Eigenkapital aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Diese Unterstützung ist an strenge Vorgaben auch im europäischen Kontext gebunden. Und vor allem ist das sehr teuer. Jedes Unternehmen muss sich sehr genau anschauen, ob eine solche Lösung überhaupt möglich oder auch sinnvoll ist.
Staatsbeteiligung heißt Auflagen: Was wäre für Sie untragbar? KEYSBERG In unserem Fall wäre eine solche Beteiligung aufgrund der Zinszahlungen und der Rückzahlungsmodalitäten mit so hohen Kosten für das Unternehmen verbunden, dass durch die zusätzliche Belastung die Zukunftsfähigkeit des Stahls ernsthaft gefährdet würde. Wir haben das mit spitzem Bleistift durchgerechnet. Da wären erhebliche und über die Zeit ansteigende jährliche Zinskosten fällig geworden, die durchaus neun Prozent der zur Verfügung gestellten Mittel betragen können. Das ist aus dem Cashflow des Stahlgeschäfts nicht zu bestreiten.
Spielt eine Rolle, dass es beim Staatseinstieg keine Boni mehr gibt?
KEYSBERG Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds sieht eine ganze Reihe von Bedingungen vor. Aber außer den genannten Belastungen, die durch die Zinszahlungen entstehen, haben keine anderen Faktoren eine Rolle gespielt.
Welche Option bleibt Ihnen ohne Staatsbeteiligung überhaupt noch? KEYSBERG Vorweg noch mal: Es geht uns nicht darum, den Stahl loszuwerden. Es geht uns darum, den Stahl zukunftsfähig zu machen. Dafür gibt es verschiedene denkbare Wege. Wie Sie wissen, haben wir aktuell ein nicht-bindendes, indikatives Angebot von Liberty Steel für einen vollständigen Erwerb der Stahlsparte vorliegen. Liberty Steel führt derzeit eine sogenannte Due Diligence durch, um eine konkretere Bewertung vornehmen zu können. Die Optionen mit anderen potenziellen Partnern haben sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht hinreichend konkretisiert, auch wenn grundsätzliches Interesse nach wie vor vorhanden ist. Deshalb machen wir uns nicht allein von Dritten abhängig, um zu einer Lösung zu kommen. Das Stahlgeschäft aus eigener Kraft im Unternehmen weiterzuentwickeln, ist und bleibt weiterhin eine Option.
Kann man Thyssenkrupp Steel so sanieren, dass die Sparte auch ohne Partner profitabel wird und im Konzern bleiben kann?
KEYSBERG Die Branche ist durch hohe Überkapazitäten gekennzeichnet. Da stellt sich die Frage, ob man durch Konsolidierung mehr Wert schaffen und zukunftsfähiger werden kann. Konsolidierung kann sinnvoll sein, um gemeinsam Anpassungen zu schultern und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Das bleibt richtig. Wir sehen aber in unserem Stahlgeschäft auch im Stand-alone-szenario erhebliches Wertsteigerungspotenzial. Und deswegen: Ja, es geht auch allein.
Was muss geschehen, damit Thyssenkrupp Steel ohne Partner auf Dauer überleben kann?
KEYSBERG Die Stahlstrategie 20-30 ist nach wie vor grundsätzlich die richtige Grundlage für eine Weiterentwicklung des Stahlgeschäfts. Wir stärken damit unsere Kompetenzen in Produktgruppen, bei denen wir heute schon gut sind, die margenstark und damit zukunftsträchtig sind. Aber: Die Auswirkungen von Corona erfordern zusätzliche Anpassungen bei der Umsetzung dieser Strategie. Wenn das aus eigener Kraft gelingen soll, dann braucht es da weitere Beiträge von allen Beteiligten. Das ist klar.
Eigenständigkeit erfordert also schärfere Einsparungen. Kann
Steel an dem Versprechen festhalten, dass es bis 2026 keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird?
KEYSBERG Mit den Auswirkungen der Pandemie müssen wir mittelfristig mit einem niedrigeren Nachfrageniveau rechnen. Darauf müssen wir uns einstellen. Aus heutiger Sicht werden daher eben weitergehende Kostenreduzierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen erforderlich werden, um den Stahlbereich sehr zeitnah wieder in die Spur zu bringen. Darüber wird natürlich mit den Arbeitnehmervertretern zu sprechen sein. Erste konzeptionelle Überlegungen dafür gibt es. Wir werden die Gremien der Mitbestimmung dazu einladen – so wie bereits bei der Erarbeitung der Stahlstrategie 20-30 geschehen –, die konkrete Ausgestaltung zu begleiten.
Wie geht es mit dem Angebot von Liberty weiter?
KEYSBERG Wir betrachten das Angebot von Liberty Steel als eine ernst zu nehmende Option. Die Due Diligence hat begonnen. Da geht es darum, einen Einblick in wesentliche Geschäftszahlen zu geben. Dieser Prozess läuft jetzt erst mal. Ausgang und Ergebnis dieses Prozesses sind derzeit noch offen. Im Anschluss an die Due Diligence werden wir sehen, wie wir weitermachen. Wir haben ja gesagt, wir wollen im Frühjahr eine Richtungsentscheidung zum Stahl treffen. Dabei bleibt es.