Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Corona bekommt eins auf den Deckel
ANALYSE Bayerns Ministerpräsident Söder vergleicht Totenzahlen mit Flugzeugladungen. Eine Wissenschaftlerin spricht von Viren als Corona-fußballteam. Die Sprache in der Pandemie wird anschaulicher und emotionaler.
Die Zeit der Abstraktionen ist vorbei. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder eröffnete die Phase der neuen Emotionalität im Sprechen über Corona, als er die erschreckend gestiegene Zahl der Toten mit den Passagieren eines vollbesetzten Flugzeugs verglich. Das war drastisch. Und es war bildhaft. Tägliche Flugzeugabstürze lassen sich schlechter verdrängen als R-faktoren oder exponentielle Kurven. Noch mehr Aufmerksamkeit erregte die Kanzlerin mit ihrer flehenden Rede im Bundestag, als sie sagte, Weihnachten könnte das letzte mit den Großeltern gewesen sein. Da wurde aus der Physikerin mit dem eisernen Verhandlungswillen ein Familienmensch, der an Oma und Opa denkt. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier erfand unter dem Druck steigender Infiziertenzahlen die „Alarmstufe Schwarz“– fügte also der Corona-warnampel noch die Farbe von Tod und Trauer hinzu.
Und auch jenseits des Politikbetriebs bedienen sich Menschen in der Öffentlichkeit neuerdings einer eingängigeren Sprache, um den Bürgern klarzumachen, wie dringlich die Lage geworden ist. Die Virologin Melanie Brinkmann zum Beispiel erklärte in einer Talksendung, es sei nun an der Zeit, dem Virus„eins auf den Deckel zu geben“. Und die Physikerin Viola Priesemann vom Max-planck-institut veranschaulichte die aktuelle Lage, indem sie die Viren als Corona-mannschaft auf einen fiktiven Fußballplatz schickte. Für jeden Infizierten durften mehr Spieler aus der Corona-mannschaft aufs Feld. Mit diesem Vergleich sollte die Fußballnation Deutschland endlich verstehen, in welch perfidem Spiel sie jetzt alle Kräfte sammeln sollte.
Die Pandemie hat eine neue Bedrohungsstufe erreicht. Politiker sehen Handlungsbedarf und müssen in der Bevölkerung für unliebsame Entscheidungen werben. In solchen Phasen der öffentlichen Kommunikation wird Sprache anschaulicher, eindringlicher, emotionaler. „Ein Weg, um bei Bürgern Zustimmung zu erreichen, ist, Bilder zu benutzen, die in den Köpfen hängen bleiben“, sagt Annette Klosa-kückelhaus, Leiterin des Programmbereichs Lexikographie am Leibniz-institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Ein weiteres Mittel sei, das Virus zu personalisieren, dann könne man es „bekämpfen“, ihm sozusagen „einen auf den Deckel geben“, die „unsichtbare Gefahr“greifbar machen. Darum würden auch die riesig vergrößerten Bilder des Virus immer wieder gezeigt, jeder kennt inzwischen die unverwechselbaren Noppen, hat den „Feind“vor Augen.
All diese Mittel haben dasselbe Ziel: aus einem abstrakten Problem ein aktuelles Anliegen, aus Zahlen Menschen zu machen und Bilder zu hinterlegen, die bei den Leuten hängen bleiben. „Wenn Markus Söder in der Debatte um Weihnachten etwa die Zahl der Corona-toten nennt und hinzufügt, dass diese Menschen auch gern Weihnachten erlebt hätten, dann macht er die Diskussion konkret“, sagt die Sprachwissenschaftlerin.
Der Politbetrieb hat diverse Techniken zur Krisenkommunikation entwickelt, doch kaum eine Krise in jüngster Zeit hat die Öffentlichkeit so lange und so intensiv in Atem gehalten wie Corona. Das ist auch kommunikativ eine besondere Herausforderung.
Ein Leitsatz für die Krisenbewältigung stammt von dem Us-ökonomen Walt Whitman Rostow: „Krisen meistert man am besten, indem man ihnen zuvorkommt“. Das ist der Regierung zu Beginn der Pandemie nach anfänglichen Schwierigkeiten gut gelungen. Doch dann kam der laue Sommer, es wurde wieder gefeiert und gereist. Viele Menschen hielten die Krise für überwunden. Das Präventionsparadox entfaltete volle Wirkung: Weil die Maßnahmen geholfen hatten, hielt man sie nachträglich für überzogen. Und wollte nichts mehr von dieser „zweiten Welle“hören. Das Gefahrenbewusstsein bei den Menschen danach wieder hochzufahren, hat gedauert. Zu lange, wie sich jetzt zeigt.
Die Dortmunder Juristin und Krisen-kommunikationsexpertin Jana Meißner hält die Wellen-metapher darum auch für problematisch, denn sie suggeriere, dass es zwischen erster und zweiter Welle eine Art Leerlauf gäbe. Zwar zeigt sich bei Pandemien tatsächlich oft ein zwischenzeitliches Abflachen, doch lässt sich immer erst im Nachhinein bestimmen, wie der Wellenverlauf sich weltweit entwickelt. Und natürlich hätte die Zwischenzeit genutzt werden sollen. „Besser wäre es gewesen, das Bild einer ‚Dauerwelle’ zu benutzen oder Corona als ‚Feuer’ zu bezeichnen, wenn man vor allem die andauernde Gefahr hätte betonen wollen“, meint Meißner.
Ein großes Problem ist aus Sicht der Krisenmanagerin, dass es bei Corona nach wie vor an einem klaren kommunikativen Ziel fehlt. Meißner hält viele Fragen für offen: Für wen möchte die Bundesregierung die Krise lösen? Geht es darum, möglichst viele Menschenleben zu schützen? Oder heißt die wahre Vorgabe: Erhalt der Wirtschaft? Krisenkommunikation müsse darauf zielen, das Vertrauen der Betroffenen zu erhalten, Akzeptanz für Entscheidungen zu gewinnen und Gerüchten und Falschmeldungen entgegenzuwirken. „Das Vertrauen behält, wer sich glaubwürdig verhält“, sagt Meißner. „Das setzt ein kontinuierliches Übereinstimmen von Meinen, Sagen, Können und Tun voraus.“Genau in diesem Punkt bemerkten die Bürger aber immer wieder Unstimmigkeiten.
Vollkommen egal, welche Metaphern Corona-experten und Verantwortliche in den kommenden Wochen noch entwickeln werden: Eine langfristige Perspektive wäre wichtig, um aus Bürgern ein ausdauerndes „Team gegen Corona“zu formen. Das mag angesichts vieler Unwägbarkeiten mitten im Pandemie-geschehen schwierig sein. Doch die Zeit der „Fahren auf Sicht“-floskeln ist vorbei.
Kaum eine Krise in jüngster Zeit hat die Öffentlichkeit so lange und so intensiv in Atem gehalten wie Corona