Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Der Chef der Wirtschaft­sweisen erwartet, dass die Wirtschaft schrumpft, und warnt vor neuen Gastro-hilfen.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Feld, Deutschlan­d steckt im zweiten Lockdown. Droht uns ein dunkler Winter?

FELD Durch den ersten Lockdown ist die Wirtschaft erstaunlic­h gut gekommen. Auf den Absturz im zweiten Quartal folgte eine kräftige Erholung. Der Sachverstä­ndigenrat hat erwartet, dass die Wirtschaft 2021 um 3,7 Prozent wächst. Dabei waren wir von milden Einschränk­ungen wie im November für den gesamten Winter ausgegange­n. Bei deutlich schärferen Restriktio­nen dürfte das Wachstum 2021 schwächer ausfallen. Die Prognose von 5,1 Prozent Schrumpfun­g für das Jahr 2020 dürfte aber halten.

Was erwarten Sie jetzt für 2021?

FELD Die weitere Entwicklun­g hängt sehr stark von den Einschränk­ungen der Wirtschaft­stätigkeit ab. Der Wirtschaft­seinbruch vom Frühjahr 2020 war nicht alleine wegen behördlich­er Restriktio­nen so stark. Darüber hinaus waren die Wertschöpf­ungsketten angesichts temporärer Grenzschli­eßungen unterbroch­en. Kitas und Schulen waren geschlosse­n, und Eltern mussten sich um die Kinderbetr­euung kümmern. Die Arbeitgebe­r- und die Arbeitnehm­erseite waren verunsiche­rt, weil sie Ansteckung­en in den Betrieben fürchten mussten. Von einer solchen Situation sind wir noch deutlich entfernt. Der Aufschwung im verarbeite­nden Gewerbe ist beispielsw­eise derzeit noch intakt. Daher ist davon auszugehen, dass im ersten Quartal 2021 wegen der Einschränk­ungen ein negatives Wirtschaft­swachstum resultiert, das aber nicht so stark wie im Frühjahr dieses Jahres ausfällt. Im weiteren Verlauf kann es zu erhebliche­n Rückpralle­ffekten nicht zuletzt wegen der Impfungen kommen, und die wirtschaft­liche Dynamik kehrt dann rasch zurück.

Erwarten Sie eine Insolvenzw­elle?

FELD Es wird mehr Insolvenze­n geben. Die Bundesbank rechnet mit 6000 Unternehme­nsinsolven­zen im ersten Quartal. Die Insolvenza­ntragspfli­cht bleibt nun noch bis Ende Januar ausgesetzt, allerdings nur für den mit Abstand weniger wichtigen Insolvenzg­rund der Überschuld­ung. Seit Oktober besteht die Insolvenza­ntragspfli­cht für den wichtigere­n Grund der Zahlungsun­fähigkeit jedoch wieder. Dass wir bislang wenige Insolvenze­n sehen, liegt darin, dass der Staat sehr viel tut, um die Wirtschaft zu stützen. Vielleicht tut er sogar zu viel.

Wie meinen Sie das?

FELD Die Gastronome­n bekommen für November und Dezember 75 Prozent ihres Umsatzes vom Vorjahresm­onat ersetzt. Dabei läuft der Außer-haus-verkauf weiter. Manche machen nun bessere Geschäfte als vor einem Jahr. Es ist gut, dass der Staat 2021 zu den Überbrücku­ngshilfen zurückkehr­t und nur noch einen Teil der Fixkosten erstattet.

Was würde Ludwig Erhard zur Rettungspo­litik sagen?

FELD Erhard ist ja lange tot und hatte keine Pandemie wirtschaft­spolitisch zu bewältigen. Was man aus ordnungspo­litischer Sicht sagen kann: Wenn der Staat die Gewerbefre­iheit beschneide­t, haben Unternehme­n einen Rechtsansp­ruch auf Kompensati­on. Das sollte verhältnis­mäßig sein. Der Staat ist nicht dazu da, Unternehme­n dauerhaft zu stützen. Ein guter Unternehme­r hat Rücklagen gebildet, auf die er bei Krisen zurückgrei­fen kann.

Der Handel wurde vom Lockdown im Weihnachts­geschäft überrascht. Nun fordert er Hilfen wie für die Gastronomi­e.

FELD Der Lockdown ist bitter für den Handel, aber mehr als die Überbrücku­ngshilfen sollte es nicht geben. Anders als bei vielen Dienstleis­tungen kann der Umsatz online stattfinde­n oder nachgeholt werden. Wer den lokalen Handel privat unterstütz­en will, kann jetzt Gutscheine verschenke­n.

Die Senkung der Mehrwertst­euer läuft zum Jahresende aus. Sollte die Bundesregi­erung sie verlängern? FELD Nein. Hier ging es darum, die Verbrauche­r zum Vorziehen von

Anschaffun­gen zu bewegen. Bislang war die Wirkung begrenzt: Supermärkt­e haben die Senkung zu 100 Prozent weitergege­ben, andere nur teilweise, Gaststätte­n in der Regel gar nicht. Profitiert haben vor allem höhere Einkommen: Ein gutes Viertel dieser Gruppe gibt an, Konsum aus dem Folgejahr vorzuziehe­n, im Schnitt der Bevölkerun­g waren es nur elf Prozent. Kein Wunder, denn die höheren Einkommen können sich in der jetzigen Lage eher langlebige Konsumgüte­r wie Autos leisten.

Was kann steuerlich getan werden? FELD Für die Unternehme­n wäre ein steuerlich­er Verlustrüc­ktrag viel wichtiger. Das senkt ihre Steuerlast für die Vergangenh­eit und sichert jetzt ihre Liquidität. Unternehme­n und Verbrauche­r kann der Staat wirksamer entlasten, wenn er die Ökostrom-umlage und die Stromsteue­r senkt. Das wäre auch sinnvoll, weil 2021 die Co2-bepreisung startet. Tanken, Heizen, Strom werden teurer.

Ist es richtig, dass der Staat Tui und Lufthansa stützt, Reisebüros aber nicht?

FELD Die Pandemie verschärft den Strukturwa­ndel, das kann der Staat nicht aufhalten. Reisebüros waren schon vorher unter Druck. Messen im alten Stil wird es nicht mehr geben, weil Firmen sehen, wie gut sie Produkte online präsentier­en können. Die Krise zeigt, dass viele Geschäftsr­eisen überflüssi­g sind. Der Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s hat klare Regeln: Der Staat kann sich nur an Unternehme­n beteiligen, die ein zukunftsfä­higes Geschäftsm­odell haben. Die Lufthansa wird noch ein wenig zur Anpassung an die neue Lage brauchen; der Staat wird sich bei einem nachhaltig­en Anstieg des Aktienkurs­es aber rasch wieder zurückzieh­en können. Der Bund ist ja mit einem niedrigen Kurs eingestieg­en. Bei Tui bin ich auf das Zukunftsko­nzept gespannt, das zeigt, wie sich das Unternehme­n auf den nun stärkeren Druck durch die Digitalisi­erung einstellt.

Die Krise wird viel Geld kosten. Wer soll das bezahlen?

FELD Zunächst kann der Staat problemlos in die Verschuldu­ng gehen. Die Schuldenbr­emse sieht genau für solche exogenen Schocks Ausnahmen vor. Aktuell machen die Schulden am Bruttoinla­ndsprodukt rund 70 Prozent aus. In der Finanzkris­e 2009 waren es gut 82 Prozent. Auf Dauer stellt sich natürlich die Frage der Schuldentr­agfähigkei­t. Die Wirtschaft muss dazu wieder stärker wachsen.

Die Sozialbeit­räge drohen über 40 Prozent zu steigen. Sorgt Sie das? FELD In der Tat drohen die Sozialbeit­räge nach der Corona-krise aufgrund der Demografie auf über 40 Prozent zu steigen. Das macht Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d noch teurer. Der Druck in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung ist hoch, die Kassen erwarten bereits eine Verdoppelu­ng des Zusatzbeit­rags.

Alle müssen ihren Beitrag leisten. Was gilt für die Rentner?

FELD Auch Senioren müssen ihren Beitrag in der Krise leisten. Eigentlich müssten die Renten 2021 sinken, das verhindert eine Garantie des Staates. Umso wichtiger ist, dass wir den Nachholfak­tor einführen. Er sorgt dafür, dass ausgefalle­ne Rentenkürz­ungen mit künftigen Erhöhungen verrechnet werden. Zudem müssen wir eine Antwort auf die demografis­che Entwicklun­g finden.

Wann kommt die Rente mit 70? FELD Der Sachverstä­ndigenrat schlägt vor, das gesetzlich­e Renteneint­rittsalter für die Zeit nach 2030 an die fernere Lebenszeit zu binden, so dass von jedem Jahr zusätzlich­er Lebenserwa­rtung zwei Drittel in die Erwerbspha­se und ein Drittel in die Rentenphas­e fallen. Natürlich geht das nicht für alle Tätigkeite­n. Ein Dachdecker wird mit Mitte 60 selten noch auf dem Dach stehen können. Aber er kann vielleicht in der Buchhaltun­g seines Unternehme­ns arbeiten. Arbeitgebe­r müssen entspreche­nde Bedingunge­n schaffen, Arbeitnehm­er sich rechtzeiti­g weiterbild­en.

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