Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Häusliche Gewalt ist kein Familiendrama“
EVA INDERFURTH Die Frauenberaterin über das Tötungsdelikt in Hassels und das strukturelle Problem von Gewalt gegen Frauen.
DÜSSELDORF Die größte Gefahr für Frauen sind ihre Männer. Viel größer ist die Wahrscheinlichkeit, vom eigenen Partner angegriffen zu werden als nachts von einem Fremden auf der Straße. In NRW wurden im vergangenen Jahr 57 Frauen zu Opfern eines vollendeten oder versuchten Mordes oder Totschlags in ihrer Partnerschaft. 22 Frauen überlebten das nicht – fast 16 Prozent mehr als im Vorjahr. In Düsseldorf wurde in der Nacht zu Donnerstag eine 35-Jährige in Hassels erstochen – mutmaßlich von ihrem Ehemann. Auch die beiden Kinder sollen sich zum Zeitpunkt der Tat in der Wohnung in der Haselnusssiedlung aufgehalten haben. Gegen den 35-Jährigen wurde Haftbefehl wegen Totschlags erlassen, die Ermittlungen dauern an. Für Eva Inderfurth von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf ist das kein Einzelfall.
Frau Inderfurth, Sie sagen, das Tötungsdelikt in Hassels war kein Familiendrama. Warum?
EVA INDERFURTH Weil häusliche Gewalt nie ein Familiendrama ist. Das ist nichts Privates, das innerhalb der Familie passiert, sondern ein strukturelles Problem, das uns alle angeht. Gerade jetzt in der Pandemie-zeit ist es wichtig, dass wir alle gut hinhören und in Kontakt bleiben mit Freundinnen, Bekannten, Nachbarinnen.
Steigen die Fallzahlen im Lockdown in der Frauenberatung? INDERFURTH Bei uns ist der Anteil der Anrufe wegen häuslicher Gewalt prozentual gestiegen – im Gegensatz zum polizeilichen Hellfeld. Es ist aber nicht zu vermuten, dass die häusliche Gewalt weniger geworden ist. In der dunklen Jahreszeit, mit Feiertagen und Jahreswechsel, steigt auch die Gefahr. Das ist eine herausfordernde Situation für alle, vor allem für Familien, die mit finanziellen Problemen oder Erkrankungen zu kämpfen haben. Es wäre erstaunlich, wenn die Pandemie zu einem friedlicheren Miteinander führen würde.
Wie beginnt Gewalt in einer Beziehung in der Regel?
INDERFURTH Wir sprechen nicht nur von körperlicher Gewalt, sondern zum Beispiel auch von psychischer und ökonomischer Gewalt. Es kann damit beginnen, dass der Mann das Handy seiner Partnerin kontrolliert, ihr Treffen mit Freundinnen verbietet oder ihr Geld begrenzt, sodass sie von ihm abhängig
INDERFURTH Ein Tötungsdelikt ist das Äußerste und Schlimmste, das in einer gewalttätigen Partnerschaft passieren kann. Meist verschärfen sich die Gewalt und die Gefahr mit der Zeit. Es kommt aber vor, dass Männer relativ früh Taten begehen, die auch tödlich hätten enden können, zum Beispiel würgen oder mit dem Messer bedrohen. Ob da eine Tötungsabsicht hinter steckt, ob dem Mann bewusst war, wozu das hätte führen können, lässt sich nicht immer beantworten. Bei häuslicher Gewalt ist beides möglich.
Sind die Grenzen da nicht fließend? INDERFURTH Es gibt das Phänomen, dass Männer über ihre Kraft gänzlich die Kontrolle verlieren. Das ist eine Grauzone, wann eine bewusste Tötungsabsicht beginnt. Manchmal ist es aber auch ganz klar geplant. Da besorgt sich der Täter eine Waffe, passt Ort und Zeitpunkt ab. Das passiert auch in Partnerschaften.
Was passiert, wenn es in einer gewalttätigen Beziehung Kinder gibt? INDERFURTH Das Erleben von häuslicher Gewalt ist immer schambehaftet. Und mit Kindern ist die Verstrickung noch größer, es ist noch schwieriger, sich aus dieser Beziehung zu lösen. Über Kinder ist ein Paar immer verbunden. Da werden häufig auch Ängste geschürt, etwa: „Wenn du nicht gehorchst, sorge ich dafür, dass dir die Kinder weggenommen werden.“
Wie können Außenstehende helfen? INDERFURTH Man sollte aufmerksam werden, wenn eine Frau ihrem Partner alles recht machen möchte, wenn sie Verabredungen absagt, nervös wird, wenn es später wird, er sie kontrolliert. Oftmals sind die Frauen bemüht, alles dafür zu tun, damit sich der Partner nicht aufregt. Aber das ist eine Illusion. Wenn jemand Gewalt ausüben will, wird er immer einen vermeintlichen Grund finden. Man sollte das ansprechen und den gemeinsamen Gang zu einer Beratungsstelle vorschlagen. Und wenn Gefahr im Verzug ist, die 110 anrufen.