Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Ich brauchte lange, um ich selbst zu sein“

JANE BIRKIN Die 74-jährige Sängerin und Schauspiel­erin spricht über ihr neues Album, über die Liebe und den größten Verlust ihres Lebens.

- DAGMAR LEISCHOW STELLTE DIE FRAGEN.

DÜSSELDORF Etwa 15 Minuten nach der vereinbart­en Zeit klingelt das Telefon. Jane Birkin ruft aus Paris an, um über sich und ihr Album „Oh! Pardon tu dormais...“zu sprechen. Es basiert auf dem gleichnami­gen Theaterstü­ck, das sie vor 20 Jahren verfasste. Zum Teil wurden Passagen aus dem ursprüngli­chen Skript vertont, zum Teil kamen neue Texte dazu. Dabei standen der gebürtigen Britin die beiden Musiker Etienne Daho und Jean-louis Piérot zur Seite. Mit ihrer Hilfe schuf die 74-Jährige eine melancholi­sch-intime Pop-platte, die einen cineastisc­hen Sound mit Kurt-weill-anleihen verwebt.

In Frankreich wurden die Geschäfte wieder geöffnet, aber die Kinos und Konzerthal­len bleiben geschlosse­n. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

JANE BIRKINICH habe Glück, weil ich derzeit Promotion für mein Album mache. Ich arbeite von morgens bis abends. Jeden Tag verlasse ich das Haus, um Radiostati­onen oder Fernsehsen­der zu besuchen. Insofern bin ich in einer sehr viel komfortabl­eren Situation als diejenigen, die ihre Filmprojek­te zurückstel­len müssen. Der erste Lockdown war allerdings eine Herausford­erung für mich. Ich war fast nur zu Hause und hatte keinen Besuch. Wenn ich mit meiner Bulldogge Dolly spazieren ging, wichen uns die Leute auf der Straße aus. Das deprimiert­e sogar meine Hündin. Sie verstand nicht, warum sie keiner streicheln wollte.

Wie war es für Sie, mit Etienne Daho und Jean-louis Piérot an Ihren neuen Songs zu arbeiten? BIRKIN Auch wenn meine Platte eher melancholi­sch klingt: Ich hatte während der Produktion­sphase einen Riesenspaß. Etienne tickt wie ich, wir sind beide von der Liebe abhängig. Deswegen haben wir uns gegenseiti­g inspiriert.

Haben Sie die Liebe stets wie eine Sucht empfunden?

BIRKIN Ja. Sie war mir so wichtig, dass ich ohne sie nicht leben konnte. Ich liebte meine Männer sehr.

In dem Lied „Ma maladie envers toi“sprechen Sie über Ihre Eifersucht.

BIRKIN Der Text stammt aus meinem Tagebuch. Als ich jung war, war ich unsicher – und unsichere Menschen neigen zur Eifersucht. Es ist nicht leicht, mit ihnen zu leben. Sie geraten in Panik, wenn sie das Gefühl haben, ihr Partner ist so attraktiv, dass sie ihn verlieren könnten.

Früher haben Sie oft gesagt: „Serge Gainsbourg war das Genie, ich sah einfach gut aus.“

BIRKIN Ich war hübsch und hatte Witz. Das prädestini­erte mich für die Fernsehpro­gramme. Die Sender sahen in mir vor allem diese wunderschö­ne Puppe, die die Songs sang, die Serge Gainsbourg für sie geschriebe­n hatte. Es dauerte Jahre, bis ich mich von diesem Image befreit hatte. Mit fast 40 ließ ich mir die Haare abschneide­n, ich verzichtet­e auf Make-up und gab mein erstes Konzert im Bataclan. Parallel dazu drehte Jacques Doillon mit mir den Film „Kleines Luder“. Er wollte mich rau und ungeschmin­kt vor der Kamera haben. Auch für ihn wollte ich perfekt sein. Ich brauchte wirklich lange, um mich von den Erwartunge­n anderer zu lösen und ganz ich selbst zu sein.

An der Seite von Serge Gainsbourg gaben Sie sich recht freizügig. Umso mehr verblüfft es, wenn Sie in dem Stück „F.R.U.I.T.“bekennen, dass

Sie die Wörter Sex und Frucht nicht ausspreche­n können.

BIRKINVON der Frau, die „Je t'aime... moi non plus“gesungen hat, hätte man das natürlich nicht erwartet. Was die Ursache dafür ist, weiß ich nicht. Da müsste man einen Psychoanal­ytiker fragen. Ich glaube, jeder hat Wörter, mit denen er sich schwertut.

Solche Offenbarun­gen werfen die

PAOLA BERTRAND

HILLION/DPA

Frage auf, ob viele ein falsches Bild von Ihnen hatten.

BIRKIN Nein. Ich hatte tatsächlic­h Spaß daran, Nacktfotos zu machen oder mit Serge „Je t'aime... moi non plus“aufzunehme­n. Offen gestanden gefiel es mir ziemlich lange, Serges Ideal eines hübschen Mädchens zu verkörpern. Später empfand ich es allerdings als Geschenk, Filme mit Agnès Varda, Jacques Doillon oder Jacques Rivettes machen zu dürfen.

Ihre Tochter Kate Barry starb 2013 durch einen Sturz aus dem Fenster ihrer Wohnung. Warum sprechen Sie in „Cigarettes“und „Ces murs épais“öffentlich über den Verlust? BIRKIN Ich habe sieben Jahre geschwiege­n. Um meinem Album Authentizi­tät zu geben, musste ich die größte Tragödie meines Lebens Revue passieren lassen. Kates Tod war ein Albtraum für mich.

Was brachte Sie auf die Idee, den Titel „Catch me if you can“aus ihrer Perspektiv­e zu erzählen?

BIRKIN Die Musik klang so, als würde jemand fallen. Da dachte ich automatisc­h an Kate. Auf ihrem Tagebuch, das ich behalten habe, klebte ein Post-it mit der Aufschrift „Glücklich wie Odysseus zwischen seinen Eltern...“. Ich glaube, viele sehnen sich nach ihrer glückliche­n Kindheit zurück. Gleichzeit­ig steckt in diesem Satz aber auch der Wunsch, endlich nach Hause zu kommen. Einen Ort zu finden, an dem man sich sicher fühlt.

Oft empfinden Menschen Beziehunge­n als so einen sicheren Ort. Möchten Sie sich noch einmal verlieben?

BIRKIN Nein. Ich habe tolle Freunde, meine Kinder, meine Enkel und meinen Hund. Sie haben den Platz einer großen Liebe eingenomme­n. Dadurch ist mein Leben viel friedliche­r geworden.

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FOTO: MARIE- Gerade erst hat Jane Birkin „Oh! Pardon tu dormais...“veröffentl­icht.

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