Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
In der Pandemie erstarrt das Leben
Der Philosophie-star Byung-chul Han reagiert in seinem Buch „Palliativgesellschaft“auf die Corona-maßnahmen.
DÜSSELDORF Byung-chul Han hat in seinem neuen Buch „Palliativgesellschaft“den gesellschaftlichen Umgang mit der Corona-pandemie analysiert – und aus seinen Beobachtungen kulturpessimistische Schlüsse gezogen. „Das Virus dringt in die palliative Wohlfühlzone ein und verwandelt sie in eine Quarantäne, in der das Leben ganz zum Überleben erstarrt“, schreibt er im Kapitel „Überleben“, das sich ganz der Pandemie widmet. „Je mehr das Leben ein Überleben ist, desto mehr Angst hat man vor dem Tod.“
Seit seinem Buch „Müdigkeitsgesellschaft“von 2010 ist der in Berlin lebende Deutsche mit koreanischen Wurzeln ein Star der Philosophie. Er beschreibt darin das Individuum im neoliberalen Spätkapitalismus. In den neuen Formen der Arbeit, bei denen die Menschen Antreiber wie Chefs oder Vorgesetzte vom Außen ins Innen verlagert haben, sieht er ein zerstörerisches Prinzip wirken, das Ängste, Depressionen, Burn-out, narzisstische und Borderline-persönlichkeiten befördere: „Das heutige Leistungssubjekt kennt nur zwei Zustände: Funktionieren oder Versagen. Darin ähnelt es Maschinen.“
Von diesem radikal vereinzelten Subjekt geht Byung-chul Han auch in seiner neuen Veröffentlichung „Palliativgesellschaft“aus, in der er sich mit unserem Verhältnis zum Schmerz beschäftigt. Er diagnostiziert eine Gesellschaft voller narzisstischer Persönlichkeiten, die den Schmerz zugunsten eines angenehmen Lebens, einer „palliativen Wohlfühlzone“, aus dem Leben gedrängt haben. Dahinter steht offenbar eine Angst, die den Philosophen schon länger umtreibt: Die Angst vor dem Verlust des guten und schönen Lebens, zu dem aus seiner Sicht Schmerz und leidvolle Erfahrungen gehören, das Risiko, nicht alles erwartbar und verfügbar zu machen: „Der Mensch wird womöglich die Unsterblichkeit erreichen, aber um den Preis des Lebens.“
Damit stimmt er mit dem Soziologen Hartmut Rosa überein, ebenfalls einem Star aus der Zunft der Zeitdiagnostiker. Rosa schreibt in seinem Buch „Unverfügbarkeit“, das seine Soziologie der Resonanz auf konkrete Lebensbereiche anwendet: „Statt auf das Faktum der eigenen Endlichkeit und damit auf das Leben und die Lebendigkeit hörend und antwortend zu reagieren, gilt das moderne Bestreben der Verfügbarmachung des Sterbens und der begleitenden Prozesse.“Direkt hier knüpft Han an, wenn er auf die Pandemie bezogen feststellt: „Die Menschen sterben einsam auf Intensivstationen, ohne jede menschliche Zuwendung. Nähe bedeutet Ansteckung. ‚Social Distancing` verschärft den Empathieverlust. Es schlägt in eine mentale Distanzierung um.“
Und noch eine Befürchtung treibt ihn um. Im Interview mit dem europäischen Nachrichtenportal Euractiv sagte er kürzlich: „Das Virus stoppt Chinas Vormarsch nicht, ganz im Gegenteil. China wird nun seinen autokratischen Überwachungsstaat als Erfolgsmodell gegen die Epidemie verkaufen und der Welt die Überlegenheit seines Systems mit noch mehr Stolz demonstrieren.“
Hans Grundstimmung ist pessimistisch, seine Aussagen sind immer absolut, apodiktisch – und man kann ihm sicher nicht einfach zustimmen. Man sollte sie als spannenden Denkanstoß und Warnung verstehen.
Info Byung-chul Han: „Palliativgesellschaft. Schmerz heute“, Matthes & Seitz Berlin, 87 Seiten, zehn Euro
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