Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
So wertvoll wie ein Ferrari
In der polnischen Pfefferkuchenhauptstadt Torun dreht sich nicht nur zur Weihnachtszeit vieles rund um den Lebkuchen.
Zu Beginn der Backstunde schwört Pfefferkuchen-meister Lukas Kociszewski die Teilnehmer augenzwinkernd ein. Mit einer Tafel geht er herum, auf die ein Eid geschrieben ist, den vor dem einstündigen Backkurs im „Lebendigen Pfefferkuchenmuseum“alle ablegen sollen. Einer der Punkte dieses Eids besagt, dass später nichts verraten werden darf. Über das Rezept soll Stillschweigen bewahrt werden. Ganz so, wie es vor ein paar Hundert Jahren in Torun (deutsch: Thorn) war. Damals wusste zwar bereits jeder, dass Mehl, Honig und Gewürze in den Teig gehörten. Doch die Mengenangaben und welche Gewürze genau sie verwendeten, das hielten die Lebkuchenbäcker und Familien geheim.
Das Gebäck war über viele Jahrhunderte eine wichtige Angelegenheit in der polnischen Pfefferkuchenhauptstadt – und das ist es bis heute geblieben. „Die Tradition reicht rund 600 Jahre zurück“, sagt Krzysztof Ciesielski, Guide im „Museum des Thorner Lebkuchens“, der größten von mehreren Ausstellungen in der mittelalterlichen Altstadt. „Erste Aufzeichnungen über Lebkuchen hier stammen bereits aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.“Gegessen und gebacken wird Pierniki, so das polnische Wort, längst nicht nur in der Weihnachtszeit. Hier hat er sogar ganzjährig Saison. Wie er nach Torun gekommen ist, sei unklar, ginge aber wohl zurück auf den Deutschen Orden, der die Stadt an der Weichsel 1233 gründete. „Wahrscheinlich brachten die Deutschen die Rezepte für Lebkuchen mit“, erklärt Ciesielki beim Museumsrundgang über mehrere Etagen und durch Jahrhunderte Lebkuchen-geschichte. „Weil Torun ein wichtiger Handelspunkt war, gab es hier im Mittealter die exotischen Lebkuchen-gewürze, die aus Asien kamen und sehr teuer waren.“Dazu gehörten Pfeffer, der als „schwarzes Gold“galt, genauso wie Zimt, Nelken, Kardamom, Anis, Ingwer und die für die braune Farbe verantwortliche Muskatnuss.
Entsprechend konnten sich Lebkuchen lange nur sehr wohlhabende Leute leisten – und von denen gab es aber vor allem zur Blütezeit des Handels einige in der Hansestadt Torun. Der einstige Reichtum spiegelt sich bis heute in der eindrucksvollen Altstadt, die seit den 1990er-jahren zum Unesco-weltkulturerbe zählt. Bis auf wenige Ausnahmen sind die historischen Gebäude und die mittelalterlichen Straßenführungen erhalten. Wuchtig wirkt das Altstädtische Rathaus mittendrin, ein gotischer Backsteinbau, mit einer Statue des berühmten Stadtsohnes Nikolaus Kopernikus davor und im Dezember mit den Ständen des beschaulichen Weihnachtsmarkts drum herum. Vom Turm aus hat man in rund 40 Metern Höhe einen weiten Blick über die Dächer der Stadt, die die höchste Anzahl gotischer Bauwerke in Polen hat.
Die Nachfrage nach den Lebkuchen ist groß. In den vergangenen Jahren sind daher neben dem größten Anbieter „Kopernik“einige neue Geschäfte entstanden. Rund 20 verteilen sich mittlerweile in der ganzen Stadt. Bei „Sklep Z Piernikami“stehen nicht nur viele Variationen im Regal. Man kann sich seinen Lebkuchen auch individuell bemalen und gestalten lassen. Das erst vor wenigen Monaten eröffnete „Iga Sarzynska“wiederum ist eine schickere Lebkuchen-adresse, wo das Gebäck unter anderem mit feinem Schokoladenüberzug und Blütendekor angeboten wird. Der süße Lebkuchenmann trägt hier sogar eine Fliege und hat eine gestreifte Glasur-hose an.
In all den Geschäften findet man vor allem den weichen Lebkuchen, der zum Essen gedacht ist. Die zweite Sorte ist dagegen fest und nur für dekorative Zwecke. „Das war ein Symbol für Reichtum, so wie heute ein Ferrari“, sagt Lebkuchen-meister Kociszewski, bei dessen Schnellkurs ebenfalls ein fester Souvenir-lebkuchen gebacken wird. Los geht es mit einer Demonstration, wie der Teig hergestellt wird. Ein paar Teilnehmer wagen sich nach vorn und helfen, Zutaten zu mischen, Mehl zu sieben, Teig zu kneten. Schließlich ziehen alle an die großen Tische voll mit Nudelhölzern, rollen den Teig dünn aus und drücken ihn in die Holzformen. Seit dem 16. Jahrhundert gibt es sie in Torun. Früher wurden sie von speziellen Schnitzern hergestellt. Es war ein eigenes Handwerk – so wie Lebkuchenbäcker lange ein eigener Beruf war.
Die Form, für die Torun bekannt ist, ist das Kathrinchen. Länglich ist sie und besteht aus zwei Mal drei ineinander übergehenden Kreisen. Um den Ursprung der Form ranken sich unterschiedliche Legenden: Sie könnte nach der Heiligen Katharina von Alexandrien benannt sein. Man erzählt sich aber auch gern von einem jungen Lebkuchenbäcker, der sich einst in die Tochter eines Lebkuchenmeisters verliebte und, um sie und ihren Vater zu überzeugen, diese Form erfand: aus
zwei Herzen außen und zwei Ringen in der Mitte. Ehrengäste der Stadt wie Papst Johannes Paul II. bekommen heute noch Lebkuchenformen geschenkt. Selbst die Plaketten des lokalen „Walk of Fame“haben die Form des Kathrinchens.
Auch beim Back-kurs kommt neben Herzen, Kutschen und anderen Formen Kathrinchen aus dem Ofen. Vom Mischen des Teigs bis zum fertig gebackenen Souvenir hat es eine knappe Stunde gedauert. Für Lebkuchen ist das eigentlich viel zu schnell. „Normalerweise lagert der Teig zwölf Wochen lang in einem Holzgefäß an einem trockenen und kühlen Ort“, erklärt Pfefferkuchen-experte Kociszewski. „Der Teig wird dadurch besser. Das ist wie bei Wein oder Käse.“Den Kindern und Erwachsenen scheint das allerdings egal, als sie die warmen Lebkuchen in Papiertüten verschwinden lassen. Und das genaue Rezept, auf das sie Geheimhaltung geschworen haben? Das ist in diesem Moment wohl längst vergessen.