Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Der Berg gibt, der Berg nimmt
Der Ätna als aktivster Vulkan Europas flößt den Menschen in seiner Umgebung, Wanderern, Weinbauern und Wissenschaftlern viel Respekt ein.
Sieben Uhr morgens an der Ostküste Siziliens. Es sieht nach einem sonnigen, windstillen Herbsttag aus. Santi Roggio, Concierge im traditionsreichen Belmond Grand Hotel Timeo in Taormina, schaut von der Panoramaterrasse zum Ätna hinüber und ist zufrieden. Keine Wolke am Himmel, aber eine kräftige Rauchfahne über dem Gipfel zeigt an, dass sein Berg nach wie vor am Leben ist. Diesem Vulkan, dem höchsten, aktivsten und geschichtsträchtigsten in Europa, bringt der Sizilianer Santi fast so viel Liebe und Respekt entgegen wie seiner Mutter.
In den nächsten Stunden wird der Empfangschef viele Fragen beantworten müssen: Wie und womit kommt man heute dem Etna, wie er in der internationalen Schreibweise heißt, am nächsten? Zu Fuß von der Basisstation, wo auch die Busse der Reisegruppen warten, über Lavageröll und Asche bis zur Station Montagnola auf 2500 Meter Höhe? Oder doch lieber mit der Seilbahn bis nahe an die Spitze, wo der Blick bei solchem Wetter einfach atemberaubend ist.
Während Santi Roggio seine Gäste auf den Ausflug einstimmt und ihnen Sandalen und Flipflops ausredet, schaut 40 Kilometer entfernt Boris Behncke, promovierter Vulkanologe, auf seine Instrumente im Institut für Geophysik in Catania. Wohl keiner kennt den Ätna so gut wie dieser Wissenschaftler, der im Rheinland aufwuchs und in Bochum studiert hat. Was, so fragen wir ihn, macht eigentlich den Ätna so besonders? „Er ist einzigartig, weil er praktisch alle Vulkane der Welt in sich vereint. Man bekommt hier die gesamte Bandbreite vulkanischer Phänomene und Formen zu sehen.“
Wird die Ikone Siziliens irgendwann von ihren Besuchern zu Tode geliebt? Behncke bleibt gelassen: Nur der Südhang sei bislang „dem Massentourismus geopfert“worden. Aber der Tourismus sei nun mal eine der wichtigsten Einnahmequellen Siziliens, und das Naturschutzgebiet rund um den Berg, der Parco dell`etna, sei ein wunderbares, sogar stilles Wanderrevier, mit Wäldern voller Steineichen, Kastanien, Buchen, in höheren Regionen auch Pinien.
Santi Roggio hat seine Gäste gut vorbereitet auf den Weg zum Ätna geschickt, Boris Behncke zur gleichen Zeit seine hochsensiblen Geräte abgelesen und die Ergebnisse an die Kollegen in ganz Europa geleitet. Rund um die Uhr wird der Feuerberg bewacht; für die Fachleute in aller Welt und erst recht für Boris Behncke und seine Kollegen in Catania gilt er einerseits als besonders gefährlich, andererseits als ein „gutmütiger Geselle“.
Heute, an diesem sonnigen Tag, gibt er sich genau als ein solcher. Vor Ort, an der Basisstation des Vulkans, umgeben von Souvenirbuden und Restaurants, hat sich der Busparkplatz gefüllt. Die meisten Besucher drängt es nach oben, dem Gipfel entgegen. Aber Kurzzeitbesucher, für die hier schon der höchste Punkt erreicht ist, bekommen bereits in den Mini-kratern hinter dem bunten Gewimmel einen ersten Eindruck von der bizarren Schönheit der Landschaft. Auch Reiseleiterin Annette Grotjahn von Studiosus ist mit ihrer Gruppe an dieser „Verteilerstation“angekommen. Einige wollen sich nur dort umsehen, die meisten aber mit der Seilbahn ein ganzes Stück weiter nach oben schweben, und für den harten Kern, der so hoch wie möglich hinaus will, besorgt sie die Tickets für die Unimog-monster, die wie gigantische Bergziegen zum Gipfel „klettern“.
Der Vulkan bleibt im Blick als sich die Gruppe am Nachmittag zum Essen auf dem Bio-hof Tenuta Mannino di Plachi trifft. Giuseppe Mannino ist dort der Patron, seine Weinstöcke stehen zwischen dem Vulkan und dem Dorf Viagrande, wo seine Familie ein Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert bewohnt. Jedes Jahr lassen sich um die 16.000 Besucher von den Manninis mit Wein, Pasti und Antipasti verwöhnen.
Die Familie lebt wie alle Menschen rund um den Vulkan seit ewigen Zeiten und natürlich auch jetzt in der Corona-krise nach der Devise „Der Berg gibt, der Berg nimmt.“Dabei vertrauen sie auf den lieben Gott und hoffen auf himmlischen Beistand. Und was macht Gott, wenn die Not groß ist? Er schickt die Madonna und andere Heilige vor und lässt Wunder geschehen.
So drohte nach einem Ausbruch im Dezember 1951 dem Städtchen Zafferana der Untergang. Erst, als ebenso beherzte wie fromme Bewohner eine Marienfigur an den Ortseingang stellten, hielt der Lavastrom in seinem Feuerlauf inne. Noch einmal, 40 Jahre später, kam die glühende Lava den Leuten von Zafferana so nahe, dass diese sich in großer Zahl in die Kirche und ins Gebet flüchtete. Und wieder gefiel es Gott und der heiligen Jungfrau, das Dorf zu retten.