Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Infizierte dürfen ihr Baby nicht küssen“
Trotz Corona: Über Weihnachten stehen in der Klinik in Mönchengladbach-neuwerk 26 Geburten an.
MÖNCHENGLADBACH Die Corona-pandemie hat die Arbeit der Geburtshelfer massiv verändert. Ralf Dürselen, Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe am Krankenhaus Neuwerk in Mönchengladbach, zieht dennoch eine positive Bilanz.
Spüren Sie einen LockdownEffekt, also stehen rund neun Monate nach dem ersten Lockdown mehr Geburtstermine im Kalender? DÜRSELEN Momentan sehen wir sehr viele Anmeldungen. Das könnte darauf schließen lassen, dass der erste Lockdown dazu geführt hat, dass mehr Kinder kommen. Über Weihnachten verzeichnen wir besonders viele Termine. Wir haben dieses Jahr insgesamt einen deutlichen Zuwachs in der Geburtshilfe, das hängt aber mit anderen Faktoren zusammen. So haben wir etwa unsere gesamte Plattform umgestellt, bieten jetzt Online-kreißsaalführungen. Das hat dazu geführt, dass wir überregional bekannter wurden und unser Einzugsgebiet ausweiten konnten.
Wieviele Geburten hat die Klinik normalerweise im Jahr?
DÜRSELEN Wir hatten vergangenes Jahr 1075 und liegen aktuell bei 1250.
Und der Dezember wird besonders gut?
DÜRSELEN Ja, der wird gut. Einen deutlichen Corona-effekt, also dass die Zahl der Geburten jetzt explosionsartig nach oben geht, den sehen wir aber noch nicht.
Lässt sich vielleicht sogar ein umgekehrter Effekt feststellen, weil die Menschen Angst vor Nähe haben? DÜRSELEN Das kann ich so nicht bestätigen. Es könnte aber im nächsten Jahr zu weniger Geburten kommen, weil manche Menschen wegen Corona skeptisch sind und sagen, wir wollen nicht schwanger werden in diesen unsicheren Zeiten. Da spielen ja auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle.
Ist das Coronavirus gefährlich für Schwangere, Ungeborene und Neugeborene?
DÜRSELEN Normalerweise nicht. Schwangere kommen damit ganz gut zurecht. Es gibt zwar ein paar dramatischere Verläufe, bei denen Schwangere auf Intensivstationen mussten. Aber die Verläufe, die wir hier bei uns in der Klinik gesehen haben, die waren moderat, und die Kinder, die hier geboren worden sind, denen ging es allen gut. Wir hatten jetzt den Fall einer Frau, die vor drei Wochen Corona hatte und nun entbunden hat, da haben wir Antikörper im Blut des Kindes festgestellt. Entweder sind die Antikörper von der Mutter rübergegangen, oder dieses Kind war doch im Mutterleib schon infiziert.
Registriert die Gesellschaft für Geburtshilfe verstärkt Fälle von an Covid-19 erkrankten Müttern und Neugeborenen?
DÜRSELEN Nein, das sehen wir noch nicht. Aber die Zahlen gehen ja jetzt erst hoch. Von daher muss man abwarten, was die nächsten Wochen bringen. Da werden auch mehr Mütter dabei sein. Für unsere Klinik war das bisher sehr moderat, wir hatten nur wenige Fälle. Meist handelte es sich um den Zustand nach Corona mit moderatem Verlauf. Das spiegeln ja auch internationale Studien.
Gibt es denn infizierte Neugeborene?
DÜRSELEN Da sind nur ganz wenige Fälle bekannt.
Was bedeutet Corona für die Arbeit in der Geburtshilfe? DÜRSELEN Die hat sich stark verändert. So wird die Kreißsaalführung wie erwähnt online präsentiert, die Hebammen-sprechstunden finden telefonisch statt, auch die Geburtsplanungs-sprechstunden. Jeder, der in die Klinik kommt, erhält einen Schnelltest. Die Kontakte sind generell nicht mehr so eng, das Personal trägt eine Ffp2-maske. Wir gehen da auf Nummer sicher. Hebammen sind rare Kolleginnen, mit ihnen müssen wir sorgsam umgehen.
Hatten Sie denn schon infiziertes Personal?
DÜRSELEN Wir haben bei uns in der Mannschaft bis jetzt noch keinen Fall gehabt. Das spricht für unser Sicherheitskonzept. Aber kein Konzept ist hundertprozentig, darüber muss man sich im Klaren sein. Jeder Mitarbeiter wird wöchentlich getestet, bei Symptomen natürlich sofort. Wir hatten Glück, dass unser Haus eine eigene Pcr-station hat und wir sofort testen können.
Dürfen Väter bei der Geburt dabei sein?
DÜRSELEN Bei uns durften die Väter von Anfang an dabei sein, das haben viele Kliniken nicht gemacht. Wir haben gesagt, wenn sie oder er positiv ist, dann ist es der jeweils andere auch. Aber eine Geburt ist so ein einmaliges Erlebnis, das findet pro Partnerschaft statistisch 1,45 Mal im Leben statt, da muss der Partner dabei sein und unterstützen. Eine Bezugsperson darf also dabei sein.
Wenn die Mutter coronapositiv ist, wird das Kind dann separiert? DÜRSELEN Nein, die Mütter dürfen auch stillen, müssen aber den Mund-nasen-schutz anziehen und dürfen ihr Kind nicht küssen. Mutter und Kind zu trennen, ist nicht vorstellbar. Das würde die emotionale Bindung arg belasten. Auch hält sich das Risiko in Grenzen. Man hat bisher nur Fragmente des Virus in der Muttermilch gesehen und geht davon aus, dass das Kind darüber nicht angesteckt werden kann. Das ist aber noch nicht hundertprozentig sicher, da laufen Studien.
Was passiert bei Hochschwangeren mit schweren Covid-19-verläufen: Wird das Kind frühzeitig geholt? DÜRSELEN Wir haben solche Fälle zum Glück nicht gehabt. In der Literatur empfohlen wird zu schauen, wie weit das Kind ist, ob es etwa eine eigene Lungenreife hat. Entscheidend ist auch die aktuelle Situation der Mutter. Entlastet oder schwächt man sie, wenn man das Kind holt? Das muss man von Fall zu Fall entscheiden.
Wie ist es denn mit der Maskenpflicht?
DÜRSELEN Bei der Geburt soll die werdende Mutter so lange eine Maske benutzen, wie es eben geht. Unsere Mitarbeiter tragen hochwertige Ffp2-masken. Wenn die Mutter nicht mehr kann, darf sie die Maske ausziehen. Ein Kind zu bekommen, ist harte Arbeit.
Darf auf der Geburtsstation noch Besuch empfangen werden? Und was heißt das für die Stimmung? DÜRSELEN Nein, außer dem Vater ist kein Besuch mehr erlaubt. Und dennoch die Stimmung gar nicht so schlecht. Ich habe in den vergangenen Wochen oft bei frischgebackenen Eltern nachgefragt, und es bringt auch Ruhe für die junge Familie, dass nicht die ganze Verwandtschaft ins Krankenhaus kommt.
Werden Mütter und Kinder schneller entlassen?
DÜRSELEN Ja, wenn sie das wollen, ist das nach 48 Stunden möglich. Wir sprechen das an und versuchen das hinzukriegen, wenn es von den Untersuchungen her machbar ist. Sie dürfen aber auch länger bleiben.
Stellen Sie mehr coronapositive Mütter fest, und fürchten Sie eine Zunahme dieser Fallzahlen? DÜRSELEN Die Sorge ist berechtigt, das sehen wir auch gerade auf unserer Intensivstation. Wir hatten im Vergleich zum Anfang des Jahres in den vergangenen Wochen mehr Fälle von Frauen, die Corona in der Schwangerschaft hatten, mit einem moderaten Verlauf, und dann bei uns geboren haben. Ich gehe bei den steigenden Zahlen davon aus, dass das vermehrt auf uns zukommen wird.
Wie ist das bei Notfällen, wenn es schnell gehen muss?
DÜRSELEN Da machen wir eine Symptomabfrage. Und wenn man einen Verdacht hat, zieht die Mannschaft sich Schutzkleidung über. Ich kann keine Hebamme durch eine Krankenschwester ersetzen. Wir versuchen Ausfall zu vermeiden. Schnelltests sind der Standard für alle Mütter und Väter.
Wie fühlt man sich am 24. Dezember als Chef einer Geburtsklinik? DÜRSELEN Wir freuen uns über jedes Christkind, das kommt. Immer wieder. Das ist jedes Jahr schön. Ich rufe auch immer nachmittags im Kreißsaal an und frage, wie viele wir schon haben. Wir freuen uns – aber ob die Kinder sich später freuen, dass sie am 24. Dezember Geburtstag haben, ist eine ganz andere Sache.