Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
,,Lockdown uber Monate kaum durchzuhalten"
Der Rwi-präsident über die Folgen für NRW, sein Nein zu einem Corona-soli und die Zinsentwicklung im neuen Jahr.
ESSEN Deutschland ist im Lockdown. Dazu fragten wir Christoph Schmidt, den Präsidenten des Rwi-leibniz-instituts für Wirtschaftsforschung in Essen.
Welche Folgen hat der zweite Lockdown für die deutsche Konjunktur? SCHMIDT Wir gehen in unserer Mitte Dezember veröffentlichten Rwi-prognose davon aus, dass die deutsche Wirtschaftsleistung im vierten Quartal um 1,7 Prozent zurückgehen wird. Ohne Lockdown wäre die Wirtschaftsleistung gestiegen. Die gute Nachricht ist allerdings, dass der Effekt dieses Lockdowns auf die deutsche Konjunktur voraussichtlich schwächer ausfallen wird als der des ersten Lockdowns im Frühjahr. Zum einen ist das internationale Umfeld derzeit günstig, der stabile Außenhandel stützt die deutsche Konjunktur. Zum anderen haben sich viele Unternehmen in ihren Prozessen mittlerweile gut auf die neue Lage eingestellt, beispielsweise durch Lieferdienste. Schließlich mildern bestehende und neue wirtschaftspolitische Maßnahmen die Folgen der Beschränkungen für die deutsche Wirtschaft.
Wie stark wird sich das auf das Wachstum in NRW auswirken? SCHMIDT Insgesamt dürfte der Wachstumseinbruch in NRW etwas geringer ausfallen als in anderen Bundesländern: Die nordrhein-westfälische Industrie könnte davon begünstigt werden, dass die Auftragseingänge deutlich stärker gestiegen sind als in Deutschland insgesamt. Auch der Nrw-arbeitsmarkt hat bisher weniger unter der Krise gelitten als der gesamtdeutsche Arbeitsmarkt. In den stark negativ betroffenen Dienstleistungsbereichen erwarten wir hingegen, dass sich der Lockdown, wie bereits im Frühjahr, sehr ähnlich wie im Bund auswirkt.
Zunächst ist der Lockdown bis zum 10. Januar geplant, womöglich wird er verlängert. Kann die Wirtschaft das aushalten?
SCHMIDT Ein solch umfassender Lockdown ist für die deutsche Wirtschaft ein schwerer Schlag. Er sollte daher immer nur das letzte Mittel sein. Glücklicherweise waren die Wirtschaft und die Staatsfinanzen zu Beginn der Pandemie insgesamt in einer recht guten Verfassung. Zudem besteht die berechtigte Hoffnung, dass mit Beginn der Impfungen kein weiterer harter Lockdown mehr nötig sein wird. Denn eines ist klar: Über viele Wochen oder Monate ist ein Lockdown in der aktuellen Form kaum durchzuhalten, auch der Staat kommt mit seiner Unterstützung irgendwann an seine Grenzen.
Droht eine Pleitewelle 2021? SCHMIDT Ja, wir gehen davon aus, dass die Zahl der Insolvenzen im Frühjahr deutlich ansteigen wird, wie es in Rezessionen üblich ist. Vor dem zweiten Lockdown war die Bundesbank in ihren Berechnungen zum ersten Quartal 2021 von 6000 Insolvenzen ausgegangen. Diese Zahl wird nun aller Voraussicht nach höher liegen. Zum Vergleich: Während der Finanzkrise gab es mehr als 10.000 Insolvenzen pro Quartal.
Wie beurteilen Sie die deutsche Rettungspolitik: Tut der deutsche Staat zu wenig – oder gar zu viel? SCHMIDT Ich denke, insgesamt handelt der deutsche Staat in dieser Situation angemessen und vernünftig. Es gilt ja auch hier das Motto: Erst mal besser machen. Einzelne Elemente könnten allerdings tatsächlich zielgenauer sein, und manches hat sich im Nachhinein als recht schwierig in der Handhabung gezeigt. Es wird aber in einer Krisensituation wie dieser meiner Einschätzung nach auch schlicht nicht gelingen können, ein System von Unterstützungsmaßnahmen ohne jegliche Widersprüche aufzubauen. Dafür ist das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben einfach zu komplex.
Irgendwann kommt die Rechnung. Brauchen wir einen neuen Soli?
SCHMIDT Ich hielte es aus Bürgersicht nicht für besonders glaubwürdig, wenn unmittelbar nach der Teil-abschaffung des Solidaritätszuschlags nun ein ähnliches Instrument in Form eines „CoronaSoli“eingeführt würde. Ein solcher ist meiner Einschätzung nach auch nicht nötig. Wenn sich der Staat für die Corona-pandemie nicht über
Gebühr verausgabt, wird sich der höhere Schuldenstand in den kommenden Jahren auch ohne Mehrbelastungen der Bürger wieder zurückführen lassen.
Auch die Schulen sind im Lockdown. Bekommen wir eine Generation Corona?
SCHMIDT Wenn Unterrichtsstoff nur noch im Distanzlernen vermittelt wird, macht es natürlich einen großen Unterschied, wie viel Unterstützung Kinder zu Hause erhalten. Digitale Angebote stoßen hier schnell an ihre Grenzen. Die Schulen sollten daher so lange wie angesichts der aktuellen Situation vertretbar offengehalten werden. Von einer „Generation Corona“würde ich allerdings nicht sprechen, das klingt mir zu fatalistisch. Für die meisten Schülerinnen und Schüler liegen noch viele Jahre des Lernens vor ihnen, in denen einiges ausgeglichen werden kann. Ich habe auch den Eindruck, dass Schulen und Politik die Problematik erkannt haben und versuchen, gezielt gegenzusteuern.
Große Hoffnung liegt auf dem Impfstoff. Wird bei der Verteilung richtig priorisiert – oder müssten systemrelevante Berufe früher an die Reihe kommen?
SCHMIDTDAS ist in der Tat eine heikle Frage, weil medizinische, ethische und rechtliche Aspekte eine Rolle spielen. Ich halte hier das Positionspapier der Ständigen Impfkommission, der Leopoldina und des Deutschen Ethikrats zur Verteilung eines Covid-19-impfstoffes für eine sehr gute Entscheidungsgrundlage. Klar ist: Ein „Richtig“im objektiven Sinne wird es nicht geben. Denn das Ergebnis hängt immer von der subjektiven Bewertung der verschiedenen Aspekte ab.
Wie soll Deutschland, wenn es genug Impfstoff gibt, mit Impfgegnern umgehen? Soll man ihnen den Versicherungsschutz streichen?
SCHMIDT Diese Frage lässt sich meiner Meinung nach zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Dazu wissen wir schlicht noch zu wenig. Zum einen betrifft das die Frage, wie hoch die tatsächliche Impfbereitschaft sein wird, zum anderen das Ausmaß, in dem sich die Pandemie auf Grundlage der freiwilligen Impfungen eindämmen lässt. Zudem wäre es wohl gar nicht so einfach, Impfgegner trennscharf vom Rest der Bürger zu unterscheiden.
Die Europäische Zentralbank müsste eigentlich aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigen. Wird es nun wegen Corona noch jahrelang Nullzinsen geben?
SCHMIDT Die EZB hat angekündigt, dass sie die Zinsen anhebt, wenn die Inflationsrate nachhaltig in der Nähe ihres Zielwertes von knapp unter zwei Prozent liegt. Dabei will sie sogar ein vorübergehendes Überschießen der Inflation tolerieren. Nach unserer Prognose wird die Corona-krise den Preisauftrieb im Euroraum aber noch längere Zeit dämpfen. Für den Euroraum erwarten wir im Jahr 2022 nur eine durchschnittliche Inflationsrate von 1,3 Prozent. Daher ist auf absehbare Zeit wohl nicht mit einer Abkehr vom derzeitigen Kurs der EZB zu rechnen.