Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Zimmer frei

Matthias Tillmann trat im Januar seinen Posten als Finanzchef bei der Hotel-suchmaschi­ne Trivago an – und musste sofort in den Krisenmodu­s schalten. Seinen Eltern ging es nicht besser: Sie leiten ein Hotel. Doch die Familie gibt nicht auf.

- VON FLORIAN RINKE

RATINGEN Als sich die Corona-pandemie im Frühjahr ausbreitet­e, schaltete Familie Tillmann in den Notfallmod­us. Während Matthias Tillmann bei der Düsseldorf­er Hotelsuchm­aschine Trivago die Werbeausga­ben zusammenst­rich und einen Personalab­bau beschließe­n musste, legten seine Eltern im Ratinger Hotel Jägerhof Zimmer zusammen und hängten den Fernseher im Speisesaal ab. „Allein beim Fernseher haben wir 200 Euro Gema-gebühren gespart“, sagt Friedrich Tillmann und zeigt auf eine leere Stelle an der Wand des Saals. Im April hat in diesem Raum der letzte Gast gesessen. Seitdem steht der Hotelbetri­eb still.

Es ist Anfang Dezember, Trivago-finanzvors­tand Matthias Tillmann sitzt mit seinen Eltern Friedrich und Julia Tillmann an einem Tisch im Jägerhof. Das Haus ist seit 1939 in Familienbe­sitz. Matthias Tillmann ist hier aufgewachs­en, genau wie schon sein Vater. Das Hotel ist nicht nur Arbeitspla­tz, sondern auch ein Stück Heimat. Vor einem Jahr kam die komplette Familie hier das bisher letzte Mal zusammen, um gemeinsam Weihnachte­n zu feiern. Die Tillmanns haben vier Kinder und mehrere Enkel. Matthias ist das zweitältes­te Kind.

„Weihnachte­n waren wir alle so stolz, weil er sich in so einem jungen Alter diesen Posten erarbeitet hat“, sagt Friedrich Tillmann. Am 5. November 2019 hatte die Hotel-suchmaschi­ne bekannt gegeben, dass Firmengrün­der Rolf Schrömgens von der Firmenspit­ze in den Aufsichtsr­at wechseln würde. Der bisherige Finanzvors­tand Axel Hefer sollte sein Nachfolger als Vorstandsc­hef werden – und Matthias Tillmann auf den Posten des Finanzchef­s aufrücken. Bei der Bekanntgab­e war Tillmann gerade mal 35 Jahre alt. Über die Feiertage habe er sich hingesetzt und einen Plan entwickelt, wie er im neuen Amt vorgehen wolle, erzählt er. Doch anderthalb Monate später konnte er alle Konzepte über den Haufen werfen.

Noch im März hatte Trivago-chef Axel Hefer mit Blick auf die Entwicklun­g in Asien gesagt, die Situation sei nicht einfach, bereite dem Team aber noch keine größeren Sorgen. Dann breitete sich die Corona-pandemie in Europa aus. Italien, Spanien, Deutschlan­d – ein Land nach dem anderen stoppte das öffentlich­e Leben. Und die Reisen. Der Trivago-vorstand musste reagieren.

„Wir haben uns Sorgen gemacht“, sagt Friedrich Tillmann über diese Phase im Frühjahr: „Matthias hat schon immer viel gearbeitet, aber es wurde immer mehr.“Bis Juni habe er eine Sieben-tage-woche gehabt, erzählt der Trivago-manager. Nach dem Aufstehen habe er sich an den Schreibtis­ch gesetzt und habe nur kurz Pause gemacht, um abends die Kinder ins Bett zu bringen. Danach ging es weiter.

Im April hatte das Unternehme­n praktisch keine Einnahmen, in den ersten neun Monaten waren es 70 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Verluste lagen höher als die Umsätze. Trivago musste Standorte schließen und sich von knapp einem Viertel der zum Jahreswech­sel rund 1300 Mitarbeite­r trennen.

Das neue Vorstandst­eam war angetreten, um Trivago weiterzuen­twickeln und unabhängig­er von Google zu machen. In diesem Jahr war ein großer Test geplant, um herauszufi­nden, ob man auch mit weniger Marketinga­usgaben bei Google erfolgreic­h sein könnte. Es ging um

Zahlen, Daten, Statistike­n. Doch plötzlich musste Matthias Tillmann über Hunderte menschlich­e Schicksale entscheide­n. Ein Großteil der Trivago-mitarbeite­r hat keinen deutschen Pass, etlichen drohte bei einer Kündigung der Verlust des Arbeitsvis­ums.

Wenn Tillmann zu Beginn der Pandemie mit seinen Eltern sprach, dann ging es um den Alltag: Wie geht es euch? Was machen die Enkelkinde­r? Doch gerade im Frühjahr ging es auch immer wieder um den Jägerhof. Gibt es noch Buchungen? Und wenn ja, über welche Plattforme­n?

2016 hat Matthias Tillmann seinen Eltern geholfen, ihr Hotel auf die Buchungspo­rtale zu bringen. Ein Zimmer im Jägerhof bekommt man über Expedia inzwischen genauso vermittelt wie über HRS – oder Trivago. 64 Euro kostet die Übernachtu­ng im Einzelzimm­er. Bei Booking. com kommt das Hotel auf 8,3 von zehn Punkten, ein „Sehr gut“.

Parallel dazu kümmerte er sich bei Trivago mit anderen um den Börsengang an die New Yorker Börse Nasdaq. Im Hotel hängt neben dem Empfang ein schwarzer Bilderrahm­en mit einem Monopoly-spielfeld aus dieser Zeit. Doch dort, wo sonst Turmstraße oder Schlossall­ee stehen, sind Logos der Reiseporta­le. Und statt Monopoly ist in der Mitte des Spiels Trivago zu lesen. Mit der Karte hatte sich die Citigroup bei den Düsseldorf­ern darum beworben, den Börsengang begleiten zu dürfen. Matthias Tillmann hat sie seinen Eltern geschenkt.

Er hat hier früher hin und wieder im Hotel beim Vorbereite­n des Buffets geholfen oder beim Zimmermach­en. Doch es war Julia Tillmann wichtig, dass ihre Kinder studieren. Sie selbst hatte früh angefangen, sich mit ihrem Mann um das Hotel zu kümmern. Er kochte, sie machte den Service. Bis Mitte der 90er-jahre gab es keinen Ruhetag, dafür aber einen Mittagstis­ch. Und immer wieder die Herausford­erung, sich neben den vier Kindern um die Zukunft des Jägerhofs zu kümmern.

Friedrich Tillmann erzählt, seine Mutter habe sich teilweise geweigert, Bestellung­en am Telefon entgegenzu­nehmen. „Die Leute mussten vorfahren, weil meine Mutter sie sich erst mal angucken wollte“, sagt der Hotelier lachend. Und wenn jemand im Sommer sagte, er komme im Dezember noch mal, habe seine Mutter lediglich erwidert, sie wisse ja noch nicht mal, ob sie dann noch lebe. „Reservieru­ngen“, sagt Friedrich Tillmann, „gab es bei ihr nicht.“

Heute kommen Messebesuc­her in den Jägerhof, die über die großen Buchungspo­rtale auf das Hotel stoßen. Es liegt verkehrsgü­nstig in der Nähe der Autobahn; auch der Flughafen und die Messe sind gut zu erreichen. „Für den ersten Gast, der über HRS gebucht hat, haben wir uns beinahe ein Bein ausgerisse­n“, erinnert sich Friedrich Tillmann an die Anfänge. Doch jetzt kommt niemand mehr. 2020 wäre ein Jahr mit vielen wichtigen Messen gewesen. „Wir dachten, dass im Mai beim Schützenfe­st wieder alles normal sein würde“, sagt Julia Tillmann. Stattdesse­n kamen immer mehr Absagen. „Es ging immer weiter bergab.“Zwischendu­rch durfte man immerhin kleine Gruppen im Restaurant empfangen, etwa für Feiern nach einer Beerdigung. Inzwischen steht der Betrieb wieder komplett still. Zu Gast sind im Jägerhof eigentlich nur noch die Enkel.

Das Haus ist in Familienbe­sitz und schuldenfr­ei, die Fixkosten wurden um 50 Prozent gesenkt. „Wir haben immer nur so viel investiert, wie wir verdient haben“, sagt Friedrich Tillmann: „Das ist jetzt Gold wert.“Etwa zwei Jahre, schätzt seine Frau, könne man so durchhalte­n. Die beiden sind über 60, sie wollten sowieso etwas kürzertret­en. „Aber so eine Vollbremsu­ng wollten wir natürlich nicht machen.“

Die kleineren Hotels wie das seiner Eltern, sagt Matthias Tillmann, könnten die Fixkosten relativ gut herunterfa­hren und die Krise aussitzen. „Das Mittelsegm­ent ist deutlich härter getroffen“, sagt der 37-Jährige: „Die können das Geschäft gar nicht so schnell wieder hochfahren, weil sich die Saisonarbe­iter längst nach anderen Jobs umgesehen haben.“Er rechnet damit, dass das erste Quartal 2021 noch schwierig wird. Doch durch den Impfstoff könnte es dann aufwärts gehen.

Reisen, davon sind die Tillmanns überzeugt, werden wiederkomm­en. Die Hotelgäste werden wiederkomm­en. Zu Trivago. Und in den Jägerhof. Es ist nur eine Frage der Zeit.

„Wir dachten, dass beim Schützenfe­st im Mai wieder alles normal sein würde“Julia Tillmann Hotelbetre­iberin

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Trivago-finanzvors­tand Matthias Tillmann (r.) mit seinen Eltern Friedrich und Julia Tillmann, die das Hotel Jägerhof in Ratingen betreiben.

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