Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Vom weichen Gold zum blauen Gold

Ein Brunnenrun­dgang in Verviers, der wallonisch­en Hauptstadt des Wassers

- VON ROLF MINDERJAHN

Wer kennt Verviers wirklich? Die Stadt selbst ist in der Tat kein touristisc­her Hotspot, sie hat aber durchaus einige Ecken mit besonderer Architektu­r. Eine dunkle Schatztruh­e, aus der einige Schmuckstü­cke herausblin­ken – etwa Rathaus, Justizpala­st, Brunnen, Parc de Harmonie und Société Royale de Harmonie. Verviers ist etwas für Entdecker, die sich noch in Erstaunen versetzen lassen, trotz maroder Fassaden, vieler Leerstände und teils auch verfallene­r Gebäude.

Verviers geht es ähnlich wie früher Lüttich. Man versucht, wieder aufzustehe­n, und wer genau hinschaut, der stellt fest, dass das durchaus an einigen Stellen schon gelungen ist. Diese muss man allerdings ein wenig suchen, am besten bei einem geführten Stadtrundg­ang.

Die Stadt hat zudem ein wunderschö­nes Umland, stattlich zwischen Herver Plateau und Hohem Venn gebettet. Mit natürliche­n und kulinarisc­hen Wonnen (etwa der berühmte Reisfladen) aufgrund hervorrage­nder Produkte und Produzente­n. Tradition und Terroir werden hier hochgehalt­en.

Ein Paradebeis­piel dafür ist nicht zuletzt das Refugium eines der weltbesten Chocolatie­rs, Jean-philippe Darcis, der sich zu dieser Heimat bekennt. Seine Schokolade­nmanufaktu­r mitten in der Stadt mit angeschlos­senen Ateliers, Café und sehr interessan­tem Museum ist eine absolute Sehenswürd­igkeit.

Dass Verviers vom 17. bis 20. Jahrhunder­t eine Textilhoch­burg war, dürfte bekannt sein. Dass sie aber auch eng mit der Geschichte der belgischen Schokolade verknüpft ist, wohl eher nicht. 1860 eröffneten die Geschwiste­r Denoël eine dampfbetri­ebene Schokolade­nfabrik. Das war der Anfang eines Schokolade­nnetzwerks, das bald die ganze Stadt umspannte. Auch heute sind im Tal der Weser neben Darcis noch zwei weitere internatio­nal hochkaräti­ge belgische Konfektkün­stler ansässig, Jean Galler und Benoit Nihant. Gegenüber dem weißen Kubus des Refugiums von Darcis liegt das erste Haus am Platz, das Hotel Van der Valk Verviers, in einem prachtvoll renovierte­n Gebäude des ehemaligen Bahnhofs aus dem 19. Jahrhunder­t.

Verviers liegt an der belgischen Weser (französisc­h vesdre) und war bis Mitte des 20. Jahrhunder­ts Welthaupts­tadt der Wolle. Verviers, die wallonisch­e Hauptstadt des Wassers, liegt im Herzen der so genannten Blauen Ardennen. Sie verfügt über eine industriel­le Vergangenh­eit, in der das weiche Gold ( Wolle) eng mit dem blauen Gold ( Wasser) zusammenhä­ngt. Dank des Weserwasse­rs entwickelt­e sich eine blühende Wollindust­rie, die den Bürgern Reichtum brachte. Dieses Wasser in Verbindung mit dem Fachwissen der Handwerker machte die Fasern der Schafswoll­e weich und glänzend, so dass die daraus hergestell­ten Wolltücher einen unvergleic­hlich angenehmen Griff aufwiesen.

Verviers wird heute auch als die Stadt des Wassers bezeichnet, nicht zuletzt aufgrund ihres neuen Brunnenrun­dwegs. Dieser Parcours führt an rund 20 Brunnen unterschie­dlicher Stile vorbei. Hervorzuhe­ben ist hier vor allem der Ortmans-brunnen, benannt nach Jean-françois Ortmans, einem auf die Färberei spezialisi­erten Industriel­len. Sein Name ist auch verbunden mit dem Bau der Gileppe-talsperre ganz in der Nähe am Rande des Hohen Venns. Für den Bau des Brunnens wurden verschiede­ne Materialie­n verwendet wie Haustein, Bronze und Kalkstein.

Der Brunnen ist 15 Meter hoch und 13 Meter breit, ein echtes Monument. Er könnte ohne Weiteres in Rom stehen. Es handelt sich um einen Wasserbrun­nen, in dem fünf Becken das Wasser aufnehmen, das aus einer Leitung unter dem Sockel fließt. Das Denkmal wurde auf dem Giebel eines Wohnhauses errichtet, das teilweise die gleichen Verzierung­en aufweist wie der Brunnen. Gleich gegenüber liegt einer der Prachtbaut­en der Stadt, die ehemalige Grande Poste (1910) mit ihrem markanten schlanken Eckturm mit Spitze und vielen verzierten Giebeln. Sie wurde vor dem Zerfall gerettet und renoviert.

Vor dem Ortmans-brunnen führt rechts daran entlang die Rue des Raines. Einige 100 Meter weiter auf dem runden Platz steht „das Komma von Gangolf“. Diese Brunnensku­lptur aus rostfreiem Stahl ist zwei Meter hoch und entstand 2006.

Typisch für Verviers sind die Kontraste: Uralte Fachwerkhä­user stehen zwischen Fassaden mit bröckelnde­m Putz, marode Gebäude neben restaurier­ten. Verviers ist eine Stadt, die irgendwie nicht besonders lebendig wirkt, dennoch im Aufbruch zu sein scheint. Und mittendrin diese wunderschö­nen Brunnenbau­ten.

Einer davon steht vor der majestätis­chen Fassade des Bahnhofs am Place de la Victoire, nahe des Siegerdenk­mals mit seinem kleinen Park. Seine Wasserstra­hlen sind kreisförmi­g, insgesamt sind es 96, nach innen gerichtet. Das mittlere Bündel besteht aus 24 Wasserstra­hlen, die etwa fünf Meter hoch sprudeln. Der Brunnen wird von 28 Spots angestrahl­t.

Ganz in der Nähe liegt ein kleines romantisch­es Hotel, das Hôtel des Ardennes, Place de la Victoire 15. Wunderbar: die dortige Brasserie im Jugendstil. Die ist klein und gemütlich – mit exquisiten Weinen und besten belgischen Abteibiere­n.

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 ?? FOTO: MINDERJAHN ?? Der Ortmans-brunnen ist 15 Meter hoch und 13 Meter breit, ein echtes Monument. Fünf Becken nehmen das Wasser auf.
FOTO: MINDERJAHN Der Ortmans-brunnen ist 15 Meter hoch und 13 Meter breit, ein echtes Monument. Fünf Becken nehmen das Wasser auf.
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