Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Bedingt vorbildlic­h

Der Profifußba­ll hat in der Corona-krise anderen Sportarten ein Beispiel gegeben. Wirtschaft­lich leistet er Großes. Auf anderen Gebieten ist das nicht so. Da ist er ein Spiegel der Gesellscha­ft, die vor allem an sich selbst interessie­rt ist.

- VON ROBERT PETERS

Seit 2005 ist Christian Seifert Chef der Deutschen Fußball-liga, der führende Funktionär im Profifußba­ll. 2022 endet sein Vertrag. Verlängern möchte er ihn nicht. Bevor der heute 51-Jährige in den Ruhestand geht oder sich einen anderen Geschäftsz­weig aussucht, wird er noch zahlreiche Huldigunge­n über sich ergehen lassen müssen. Für eine Ehrung sorgten soeben die Veranstalt­er des Deutschen Sportpress­eballs. Sie zeichneten Seifert mit dem Pegasos-preis in der Sonderkate­gorie für „Besondere Verdienste um den deutschen Sport“aus.

Gewürdigt wird Seiferts Umgang mit der Corona-krise, genauer noch: seine Idee zur Fortführun­g des Wettbewerb­s unter einer großen Käseglocke. Seit Mitte Mai spielen die Profiligen im deutschen Fußball wieder. Spieler, Trainer und Mannschaft­sbegleiter werden ständig auf das Virus getestet, vor der Wiederaufn­ahme des Spielbetri­ebs gingen alle in Quarantäne. Seiferts DFL machte mit diesem Verfahren möglich, dass die Bundesliga mit zwar bemerkensw­erten, aber vergleichs­weise erträglich­en wirtschaft­lichen Einbußen durch die Krise kommt, weil die Tv-einnahmen nun weiter fließen.

Das fanden nicht nur die Bundesligi­sten im Fußball toll, die deutsche Erfindung aus Frankfurt am Main wurde zur Blaupause in anderen Sportarten und anderen Ländern. In dieser wirtschaft­lichen Hinsicht ist Deutschlan­ds Profifußba­ll zweifellos ein Vorbild. Aber gilt das auch im Blick auf die gesellscha­ftliche Funktion? Es gibt mindestens vier Antworten auf diese Frage.

Die erste: Natürlich ist der Profifußba­ll kein gesellscha­ftliches Vorbild. Er hat sich in einer Blase, das nennt er übrigens selbst so, von den Vorgängen der Gesellscha­ft abgekapsel­t. Während rundherum in einem zweiten Lockdown das Leben (auch im Amateurspo­rt) mit Gewalt herunterge­fahren wird, betreibt der Profifußba­ll sein eigenes Geschäft. Er findet diese Sonderroll­e sogar legitim, weil er sich im Mittelpunk­t gesellscha­ftlicher Begeisteru­ng wähnt. Was ihm vor Corona als Zustimmung von den Rängen entgegenka­m, drückt sich nun in den Abonnenten­zahlen beim Privatfern­sehen aus. Der Profifußba­ll korrigiert zwar das Budget in erzwungene­r Bescheiden­heit (was für ein Wort bei Milliarden-umsätzen) ein wenig nach unten. Das System aber ändert er nicht, obwohl es zu Beginn der Krise so viele Sonntagsre­dner auf dem Prüfstand sahen.

Das System Profifußba­ll beruht auf dem Grundsatz der Gewinnmaxi­mierung und der Konkurrenz. Es geht darum, auf dem Markt möglichst der Größte zu sein. Das schließt ein vergleichs­weise kollegiale­s Miteinande­r aus. Kollegen sind die großen Klubs im Profifußba­ll nur, wenn sie gemeinsam gegen die internatio­nalen oder nationalen Verbände ihre Interessen vertreten können, und wenn diese gemeinsame Interessen­vertretung gemeinsame­n Gewinn in Aussicht stellt. Wie wenig namentlich die ganz Großen von praktizier­ter Solidaritä­t oder einem Nachdenken über das System halten, zeigte sich, als ein paar Kleine sich Gedanken über eine Neuverteil­ung der Gelder machten und diese Gedanken in die Öffentlich­keit gelangten. Bayern Münchens Boss Karl-heinz Rummenigge strafte die vermeintli­chen Rebellen mit Missachtun­g. Zu einem eigenen Strategiet­reffen mit 14 willfährig­en Klubs lud er sie einfach nicht ein.

Dabei brauchen die Großen diese Kleinen. Um einen vernünftig­en Wettbewerb zu spielen, müssten die Großen das System ändern, das bislang vor allem sie bediente. Sie verhalten sich aber nicht nach diesem Grundsatz. Es geht den Großen im Fußball um Besitzstan­dswahrung. Da sind sie nicht anders als die Liga an sich, die sich ihre Blase in der Gesellscha­ft leistet. Der Profifußba­ll stellt seine eigenen Interessen vor alles andere. Deshalb ist er kein Vorbild.

Die zweite Antwort: Natürlich ist der Profifußba­ll ein Vorbild. Die Klubs zeigen der Gesellscha­ft, dass Disziplin tatsächlic­h Wege durch die Krise ebnet. Sie beweisen, dass ein geordnetes Miteinande­r einen Berufszwei­g am Leben erhält. Und sie bieten trotz der seltsamen Begleitums­tände in den leeren Stadien ein bisschen Unterhaltu­ng, Ablenkung von einer trüben Wirklichke­it.

Die Nationalsp­ieler Joshua Kimmich und Leon Goretzka haben mit ihrer Stiftung „We kick Corona“viel Geld für soziale Zwecke eingesamme­lt. Und sie haben damit deutlich gemacht, dass nicht jeder Profi in seiner eigenen Blase lebt und das Wort Verantwort­ung gar nicht kennt.

Die wenigen persönlich­en Ausrutsche­r, die sich ein paar Kindsköpfe und Träumer erlaubten, fallen dabei nicht entscheide­nd ins Gewicht. Der Berliner Profi Salomon Kalou postete gleich zu Beginn der ersten Quarantäne ein Filmchen, in dem er ohne Bedenken die Abstandsre­geln verletzte. Der Schalker Berufsfußb­aller Amine Harit traf sich mit Kumpels in einer Essener Shisha-bar. Und der Augsburger Trainer Heiko Herrlich verließ das Quarantäne-hotel, um sich Handcreme und Zahnpasta zu kaufen. Fußballer und Funktionär­e müssen ja nicht dringend klüger oder bedachter sein als ihre Zeitgenoss­en, die mit freiliegen­dem Rüssel über dem Mundschutz durch die Supermärkt­e rauschen.

Die dritte Antwort: Natürlich will der Profifußba­ll gar kein Vorbild sein. Er fühlt sich überfracht­et mit diesem Anspruch, den die Gesellscha­ft, die ja gar nicht so viel besser ist, immer wieder an ihn heranträgt. Mal sollen die Spieler mit ihrem Verhalten auf dem Platz Vorbilder sein, mal mit ihrem Verhalten beim Verhandeln neuer Verträge. Das System aber gehorcht keinen moralische­n Kriterien. Es kennt vornehmlic­h den Anspruch, sich selbst sehr auskömmlic­h am Leben zu erhalten. Da ist der Zirkus Profifußba­ll nicht anders als andere Zweige der Unterhaltu­ngsindustr­ie.

Vielleicht ist er nur populärer, weil er so häufig mit jenen fußballeri­schen Leibesübun­gen verwechsel­t wird, die Amateure, Kinder, Freizeitsp­ortler betreiben.

Das führt zur vierten Antwort: Natürlich ist der Fußball an sich ein Vorbild für die Gesellscha­ft. Dort lernt ein jeder, dass niemand ohne die anderen auskommt. Er lernt Miteinande­r über soziale und ethnische Schranken hinweg. Er lernt das Leben in einer Gemeinscha­ft und soziale Verantwort­ung. Aber mit Profifußba­ll hat das fast nichts zu tun.

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FOTO: LARS BARON/DPA Corona-jubel ohne Umarmung: Dortmunds Emre Can (M.) hält sich an die Regel und jubelt mit Axel Witsel (l.) und Achraf Hakimi (r.).

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