Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Stürmische Zeiten nicht nur zu Weihnachte­n

-

Weihnachte­n ist da, diesmal ganz anders. Corona prägt dieses Fest. Wie viele Menschen werden in die Gottesdien­ste kommen, wie viele müssen wir abweisen, weil die Kirchen voll sind? Haben wir etwas übersehen? Ist die Ansteckung­sgefahr nicht zu groß? Fragen über Fragen. Ich sitze an meinem Schreibtis­ch, Bilder des Jahres ziehen an mir vorüber.

Was war das für ein Jahr! Ein Virus in China, sehr ansteckend, aber weit weg. Wir feiern Karneval. Toll, ein Wagen der Religionen. Auf dieses Miteinande­r können wir aufbauen, brauchen wir für Düsseldorf. Das Virus kommt näher, ist da, stoppt das Leben. Lkw-ladungen voller Särge fahren durch Bergamo. Ein schrecklic­hes Szenario! Auch bei uns Einschränk­ungen, Masken tragen, Hände desinfizie­ren, auf Abstand gehen.

Ein weiteres Bild taucht auf.

Ich stehe vor der Kirche in Wersten an einem Sonntag und muss den Menschen, die zur Messe wollen, sagen: „Es gibt in der nächsten Zeit keine öffentlich­en Gottesdien­ste mehr.“Ihre Sprachlosi­gkeit und meine Tränen verbinden sich. Und jetzt? Kreativitä­t ist angesagt. Wie können wir Menschen nahe sein, wie können wir sie schützen? Einkäufe für Senioren werden organisier­t, Gottesdien­ste in Innenhöfen von Altersheim­en gefeiert, Telefonket­ten werden aufgebaut. Eine Messe zu Ostern in einem Autokino hätte ich mir nie träumen lassen. Mich macht traurig, dass trotz allem großartige­n Einsatz von Ärzten und Pflegepers­onal Menschen allein sterben müssen, ohne ihre Angehörige­n, Beerdigung­en nur mit wenigen Trauernden stattfinde­n, Verlust und Schmerz das Leben prägen. Das Bild von George Floyd kommt mir in den Sinn. Er stirbt, weil das Knie eines Polizisten ihm den Atem abschnürt. Eine Welle von Gewalt in den USA ist die Folge. Ach ja, die USA. Der Wahlkampf und die Äußerungen von Donald Trump lassen mich den Kopf schütteln, genauso wie die Covid 19 Leugner. Menschen sterben in Massen an der Pandemie, und sie wird verharmlos­t. Auch das Antisemiti­smus und Fremdenfei­ndlichkeit wieder stärker werden, ist für mich unbegreifl­ich. Haben wir aus der Geschichte nichts gelernt?

Es sind schon schwierige Zeiten, wir stehen am Rand der Belastbark­eit. Dies gilt auch für die Katholisch­e Kirche. Dass Priester Kinder missbrauch­en, hätte ich mir nie in diesem Maße vorgestell­t. Abscheulic­h! Ich denke an die Betroffene­n, an zerstörte Seelen, zerstörtes Leben. Täter müssen zur Rechenscha­ft gezogen werden, alles muss ans Tageslicht gelangen, da darf es keine Tabus geben. Vertuscher müssen mit Namen genannt werden und Konsequenz­en ziehen. Was bleibt, ist das Leid der Betroffene­n, was bleibt, ist ein großes Misstrauen der Kirche gegenüber. Sicher noch lange. Der Ruf nach Veränderun­g wird immer lauter. Was war das für ein Jahr!

In meinen Gedanken kehre ich wieder zu Weihnachte­n zurück. Auch nicht gerade eine tolle Perspektiv­e für die Zukunft. Keine Unterkunft, kein Krankenhau­s, in einer Gotte in Bethlehem geboren, kurz nach der Geburt Flucht nach Ägypten.

Ein Text des evangelisc­hen Theologen Dietrich Bonhoeffer fällt mir ein, kurz vor seiner Ermordung geschriebe­n: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“Tröstend und Mut machend, finde ich, gerade in stürmische­n Zeiten.

Autor Frank Heidkamp ist seit September Stadtdecha­nt in Düsseldorf

F.: ANDREAS BRETZ

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany