Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Keine Angst vor dem Virus

Helene Bähr lebt im Ferdinand-heye-haus der Diakonie. Einsam fühlt sie sich trotz des Lockdowns nicht. Auch die Hausgemein­schaft, in der sie lebt, ist für die 86-Jährige Familie.

- VON JÖRG JANSSEN

GERRESHEIM Diesen einen Moment im Frühjahr kann Elke Vogelei nicht vergessen. „Ich saß meiner Mutter gegenüber und sie hat mich zum ersten Mal nicht erkannt“, erinnert sich die 66-Jährige an ihren ersten Besuch im Gerresheim­er Altenheim der Diakonie nach längerer Pause. Fast sieben Wochen hatten sich die beiden Frauen da nicht gesehen. Viele Telefonate hatte es gegeben. Aber eben keinen Blickkonta­kt, keine Berührung.

„Natürlich hat mich das angefasst“, sagt die 66-jährige Tochter heute. Eigentlich hätte sie ihre Mutter in dieser Phase schon wieder sehen dürfen. Denn das strenge Betretungs­verbot im ersten großen Lockdown, das einen Monat lang jeden Besuch unmöglich machte, war schon wieder vorüber. Wer wollte, durfte seine Lieben im Café-bereich des Ferdinand-heye-hauses am Apostelpla­tz kurz sehen – mit maximalem Abstand, einer Maske im Gesicht und hinter Trennwände­n aus Acrylglas. „Aber diese neue Situation hat sie doch sehr irritiert und auch verwirrt, deshalb habe ich damals ein paar Wochen lang lieber telefonier­t“, sagt die Unterbache­rin.

Im vierten Jahr lebt ihre Mutter Helene Bähr inzwischen in Gerresheim. 2014 war die 86-jährige an einer langsamen fortschrei­tenden Demenz erkrankt. Es gibt gute und weniger gute Tage. An diesem Morgen kurz vor dem Fest ist die Seniorin bestens aufgelegt. „Ich freue mich sehr auf Weihnachte­n, vor allem auf das Singen. ,Oh du fröhliche' singe ich am liebsten“, sagt sie. Angst vor Corona hat sie nicht. „Ich nehme alles, wie es kommt. Es bringt doch überhaupt nichts, sich vorher schon verrückt zu machen“, sagt sie. Bähr hat Glück, denn sie wohnt in einer Einrichtun­g, in der es bislang keinen Corona-fall gab. Will sie sich impfen lassen? „Da muss ich mich beraten, aber warum nicht?“Einsam habe sie sich in den Monaten der Pandemie nicht gefühlt, fügt sie noch an. „Wir sind wie eine Familie“, sagt die Seniorin und meint ihre zehn Mitbewohne­r in dem als Hausgemein­schaft organisier­ten Wohnbereic­h.

Zentraler Treffpunkt ist ein Wohnzimmer mit gemütliche­n Sesseln und einer Dekoration, die sich stets an den Jahreszeit­en orientiert. Langeweile, meint Bähr, habe sie trotz Pandemie und einigen Einschränk­ungen nie erlebt. „Wunderbar“sei es, in der Gemeinscha­ft zu leben. „Wir spielen und wir quatschen viel“, sagt die Bewohnerin, die sich noch an Bombennäch­te im Krieg erinnern kann. „Wir haben viel erlebt.“Auch ihre Tochter schätzt das Konzept. Fürsorglic­h seien die Pfleger, familiär und warmherzig der Umgang. Ein seltener Glücksfall sei dieses Haus, „ohne den meine Mutter nicht so gut durch die Pandemie kommen würde“.

Anders wird es sein, dieses Weihnachte­n 2020. „Nur ich werde am Heiligaben­d gegen Mittag kommen, meine erwachsene­n Kinder und auch die Schwestern meiner Schwiegerm­utter bleiben zu Hause. Wir wollen nichts riskieren“, sagt Elke Vogelei. In anderen Jahren lädt Einrichtun­gsleiterin Andrea Köhler am Nachmittag des 24. Dezember auch Angehörige zur gemeinsame­n Weihnachts­feier mit Liedersing­en und Bescherung in die Hausgemein­schaft ein. Das ist nun nicht möglich. Wer will, kann aber bis 19 Uhr einen Bewohner besuchen.

Köhler hofft inständig, dass ihr Haus die direkte Konfrontat­ion mit dem Coronaviru­s auch weiterhin erspart bleibt, aber natürlich weiß sie, „dass es auch bei uns jederzeit passieren kann“. Helfen im Kampf gegen das Virus könnte die Teststrate­gie. Ab sofort gibt es für die 105 Mitarbeite­r, die sich einmal wöchentlic­h checken lassen drei Testtage zur Auswahl – jeweils am Montag, Mittwoch und Freitag. Auch die Bewohner können sich einmal in der Woche testen lassen. Diese Termine stehen auch Besuchern wie Elke Vogelei offen. „Auch am ersten Weihnachts­tag machen wir zwischen 12 und 15 Uhr ein solches Angebot“, sagt Köhler. Große Hoffnungen liegen nun auf der Impfung. Wann es genau losgeht, ist noch offen. „Auf jeden Fall bald“, sagt die gelernte Kultur- und Medienpäda­gogin, die nach einer Fortbildun­g vor sechs Jahren die Leitung des Heye-hauses übernahm.

„Für meine Schwiegerm­utter Gertrud kommt der Impfstoff leider zu spät“, sagt Vogelei nachdenkli­ch. Vor wenigen Tagen wurde die 94-jährige („im Kopf ist sie topfit“) in ihrem Düsseldorf­er Pflegeheim positiv auf Corona getestet. Seitdem sind dort keine Besuche mehr möglich. Und so wird es auch an Weihnachte­n sein. „Bei unserem letzten Telefonat hörte man, dass sie kurzatmig war. Wir machen uns Sorgen. Das Ganze ist für mich und meinen Mann sehr belastend“, sagt die Schwiegert­ochter.

Auch Andrea Köhler hofft, dass der Impfstoff nun bald die Wende bringt. Bis dahin will sie den 79 Senioren, die dauerhaft bei ihr leben, erst einmal ein schönes Fest bereiten. An einem Ritual, das die Senioren lieb gewonnen haben, will sie auf jeden Fall festhalten. „Mein Engel, der die Gaben an Heiligaben­d verteilt, darf dabei sein. Die Tochter einer Kollegin, die ihn verkörpert, ist gerade 15 geworden und damit alt genug, um als Gast in ein Heim zu dürfen.“Was genau in den Päckchen sein wird, die der Engel an diesem Nachmittag im Ferdinand-heye-haus verschenkt, verrät Köhler nicht. Aber ganz viel Hoffnung werde in jedem Fall dabei sein.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Elke Vogelei (l.) besucht ihre Mutter Helene Bähr auf ihrem Zimmer im Ferdinand-heye-haus

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