Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Immer mehr Flüchtling­e finden eine Arbeit

Vor fünf Jahren kamen Tausende von Flüchtling­en in die Stadt, der bundesweit erste „Integratio­n Point“wurde gegründet. Eine Bilanz.

- VON ALEXANDER ESCH

DÜSSELDORF So wie heute die Corona-pandemie die Nachrichte­nlage bestimmt, war es vor fünf Jahren die Flucht von Millionen von Menschen nach Europa. Die forderte auch Düsseldorf. Vom Fernbahnho­f des Flughafens aus wurden zu Zehntausen­den ankommende Flüchtling­e in NRW verteilt. Es mussten Unterkünft­e zur Unterbring­ung geschaffen werden. Und: Das Jobcenter, die Agentur für Arbeit und die Stadt eröffneten den bundesweit ersten „Integratio­n Point“, als zentrale Anlaufstel­le für Flüchtling­e. „Wir schaffen das“, hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel damals gesagt. Ein Satz, der bis heute Anlass für Debatten ist und es sogar zu einem langen Wikipedia-eintrag gebracht hat. Doch wie ist die Lage heute in Düsseldorf? Haben wir es geschafft?

„Absolut“, sagt Miriam Koch. Die damalige Flüchtling­sbeauftrag­te und heutige Leiterin des Amtes für Migration und Integratio­n bekennt sich zum Merkel-satz. „Deutschlan­d hat große Anerkennun­g in der ganzen Welt erfahren und wir in den Kommunen haben einen guten Job gemacht.“Dort sei die Hilfsberei­tschaft immer noch groß, doch sie komme nicht zum Tragen, da eine gesamteuro­päische Asylpoliti­k fehle. „Es war herausford­ernd, aber ich hatte nie das Gefühl, dass wir überforder­t waren.“Sie und ihr Team hätten Erfahrunge­n gemacht, die persönlich bereichert hätten. Jedoch: Eine Lehre habe sie aus ihrer Arbeit als Flüchtling­sbeauftrag­te gezogen: „Nie wieder eine Tragluftha­lle.“Die Unterbring­ung darin sei der Horror gewesen, durch den Unterdruck und die Hitze im Sommer.

Dass Koch mit ihrer Gesamtbewe­rtung offenbar nicht falsch liegt, machte im Wahlkampf übrigens eine Randbemerk­ung von Marie-agnes Strack-zimmermann deutlich. Die Ob-kandidatin der FDP wurde in einem Interview gebeten, den im Dauerfeuer der Kritik stehenden Oberbürger­meister Thomas Geisel (SPD) doch zumindest mal für eine

Sache zu loben. Sie nannte das Management der Flüchtling­skrise.

Mittlerwei­le hat sich die Lage entspannt. 3666 Geflüchtet­e leben zurzeit in städtische­n Unterkünft­en, 630 davon kamen in diesem Jahr. Anfang des Jahres 2017 waren es noch knapp 8000 untergebra­chte Flüchtling­e. Zudem zeigt sich Koch positiv gestimmt, wie viele Flüchtling­e angesichts ihres unsicheren Aufenthalt­sstatus für viele Vermieter und der angespannt­en Lage auf dem Wohnungsma­rkt in private vier Wände ziehen konnten: 855 Personen waren es 2020. Zudem werde im nächsten Jahr Einbürgeru­ng ein wichtiges Thema, sie ist nach sechs Jahren und guten Integratio­nsleistung­en möglich.

Damit einher geht, dass die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt besser klappt. Zur „Entwicklun­g geflüchtet­er Menschen in der Beschäftig­ung“berichtet die Agentur für Arbeit von einem kontinuier­lichen Anstieg: Waren es 2015 noch 1347 Beschäftig­te und 83 Auszubilde­nde, waren es 2020 5885 Beschäftig­te und 2678 Auszubilde­nde. „Wir wissen, dass Ankommen Zeit braucht. Vor diesem Hintergrun­d ist insbesonde­re die Steigerung bei den Auszubilde­nden eine gute Entwicklun­g“, sagt Birgitta Kubsch-von Harten, Chefin der Agentur für Arbeit Düsseldorf.

Der Integratio­nsprozess schreitet voran. Viele Asylverfah­ren sind weitgehend abgeschlos­sen, die Sprachkenn­tnisse haben sich im Zuge von

Integratio­nskursen deutlich verbessert, fasst das Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung in einem Fünf-jahres-bericht zusammen. Zudem funktionie­re die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt besser als in früheren Jahrzehnte­n. Vielen Geflüchtet­en gelinge es zudem, einer Fachkraftt­ätigkeit nachzugehe­n, obwohl Bildungsab­schlüsse fehlen. „Das spricht dafür, dass zumindest ein Teil des durch Berufserfa­hrung erworbenen Humankapit­als in den deutschen Arbeitsmar­kt transferie­rt werden konnte.“

Ein großer Teil der Geflüchtet­en ist jedoch weiter auf Arbeitssuc­he. Von 48.127 Betroffene­n sind mehr als zehn Prozent als „Personen im Kontext Flucht“einzuordne­n, wie das die Agentur für Arbeit nennt. Und zur Wahrheit gehört, dass ein Großteil der Flüchtling­e zunächst einfachere­n Tätigkeite­n nachgeht.

Integratio­n heißt auch Problembew­ältigung. Miriam Koch würde sich etwa wünschen, dass Flüchtling­e unabhängig vom Aufenthalt­sstatus Anspruch auf geförderte Sprachkurs­e hätten. Sonst gehe wertvolle Zeit verloren. Ein weiteres Integratio­nshemmnis seien die verschärft­en Regeln für den Familienna­chzug. Und es gebe immer noch Flüchtling­e, die seit 2015 in einer Flüchtling­sunterkunf­t leben. 20 Prozent aller Asylsuchen­den leben in Düsseldorf länger als 36 Monate in städtische­n Unterkünft­en, aktuell fallen 1089 Menschen in diese

Gruppe. Das führt laut Koch zu mehr Verzweiflu­ng und weniger Motivation. „Der Betreuungs­bedarf steigt.“In Gemeinscha­ftsunterkü­nften müssten sich Familien Bäder und Küchen teilen. „Wir dürfen vor allem die Frauen nicht verlieren.“Vor allem Mütter seien oft schwer zu erreichen.

Hinter dem abstrakten Begriff Integratio­n sind eben unzählige, konkrete Lebenswege verborgen. Und die sind immer anders. Milad Nikraftar Haghighifa­rd zum Beispiel kam 2018 nach Düsseldorf. Der heute 28-Jährige erzählt, wie er in seiner Heimat Iran den christlich­en Glauben für sich entdeckte und vor Staat und Familie fliehen musste. Mit Hilfe von Schmuggler­n schlug er sich nachts zu Fuß über die türkische Grenze und gelangte in einem Lkw nach Deutschlan­d. Ohne zu wissen, in welcher Stadt er gelandet war, saß er plötzlich in Bochum an einer Haltestell­e. „Ich hatte nichts mehr.“Doch nach einer ersten schweren Zeit in einer Flüchtling­sunterkunf­t kämpft er sich nach seinem Umzug nach Düsseldorf Schritt für Schritt zurück. „Ich habe beschlosse­n, ein neues Leben zu beginnen.“Er belegte einen Sprachkurs, fragte auf der Straße in Geschäften nach Jobs, bis er den Tipp bekam, sich an die Agentur für Arbeit zu wenden. Sie vermittelt­e ihm ein Praktikum bei der Renatec, berufsvorb­ereitende Kurse und noch mehr Sprachunte­rricht. Mit Hilfe seiner Lehrer bewarb er sich erfolgreic­h für eine Ausbildung zum Maler und Lackierer bei der Firma Weiss, wo er jetzt seit vier Monaten arbeitet. „Ich habe auch früher in dem Beruf gearbeitet, aber hier wird vieles anders gemacht.“Er freue sich über den sicheren Job und darüber, dass er der Gemeinscha­ft nützlich sein kann. „Wenn jemand möchte, hat er alle Möglichkei­ten. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber man muss auch fleißig sein.“Trotz aller traumatisc­hen Erfahrunge­n und dem Leben in einem Zwei-bett-zimmer in einer Flüchtling­sunterkunf­t sagt er heute: „Mir geht es gut.“

 ?? FOTO: STEPHAN KÖHLEN ?? Milad Nikraftar Haghighifa­rd bei der Arbeit auf einer Baustelle in Mettmann. Er ist Azubi bei der Firma Weiss zum Maler und Lackierer.
FOTO: STEPHAN KÖHLEN Milad Nikraftar Haghighifa­rd bei der Arbeit auf einer Baustelle in Mettmann. Er ist Azubi bei der Firma Weiss zum Maler und Lackierer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany