Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Immer mehr Flüchtlinge finden eine Arbeit
Vor fünf Jahren kamen Tausende von Flüchtlingen in die Stadt, der bundesweit erste „Integration Point“wurde gegründet. Eine Bilanz.
DÜSSELDORF So wie heute die Corona-pandemie die Nachrichtenlage bestimmt, war es vor fünf Jahren die Flucht von Millionen von Menschen nach Europa. Die forderte auch Düsseldorf. Vom Fernbahnhof des Flughafens aus wurden zu Zehntausenden ankommende Flüchtlinge in NRW verteilt. Es mussten Unterkünfte zur Unterbringung geschaffen werden. Und: Das Jobcenter, die Agentur für Arbeit und die Stadt eröffneten den bundesweit ersten „Integration Point“, als zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge. „Wir schaffen das“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel damals gesagt. Ein Satz, der bis heute Anlass für Debatten ist und es sogar zu einem langen Wikipedia-eintrag gebracht hat. Doch wie ist die Lage heute in Düsseldorf? Haben wir es geschafft?
„Absolut“, sagt Miriam Koch. Die damalige Flüchtlingsbeauftragte und heutige Leiterin des Amtes für Migration und Integration bekennt sich zum Merkel-satz. „Deutschland hat große Anerkennung in der ganzen Welt erfahren und wir in den Kommunen haben einen guten Job gemacht.“Dort sei die Hilfsbereitschaft immer noch groß, doch sie komme nicht zum Tragen, da eine gesamteuropäische Asylpolitik fehle. „Es war herausfordernd, aber ich hatte nie das Gefühl, dass wir überfordert waren.“Sie und ihr Team hätten Erfahrungen gemacht, die persönlich bereichert hätten. Jedoch: Eine Lehre habe sie aus ihrer Arbeit als Flüchtlingsbeauftragte gezogen: „Nie wieder eine Traglufthalle.“Die Unterbringung darin sei der Horror gewesen, durch den Unterdruck und die Hitze im Sommer.
Dass Koch mit ihrer Gesamtbewertung offenbar nicht falsch liegt, machte im Wahlkampf übrigens eine Randbemerkung von Marie-agnes Strack-zimmermann deutlich. Die Ob-kandidatin der FDP wurde in einem Interview gebeten, den im Dauerfeuer der Kritik stehenden Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) doch zumindest mal für eine
Sache zu loben. Sie nannte das Management der Flüchtlingskrise.
Mittlerweile hat sich die Lage entspannt. 3666 Geflüchtete leben zurzeit in städtischen Unterkünften, 630 davon kamen in diesem Jahr. Anfang des Jahres 2017 waren es noch knapp 8000 untergebrachte Flüchtlinge. Zudem zeigt sich Koch positiv gestimmt, wie viele Flüchtlinge angesichts ihres unsicheren Aufenthaltsstatus für viele Vermieter und der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt in private vier Wände ziehen konnten: 855 Personen waren es 2020. Zudem werde im nächsten Jahr Einbürgerung ein wichtiges Thema, sie ist nach sechs Jahren und guten Integrationsleistungen möglich.
Damit einher geht, dass die Integration in den Arbeitsmarkt besser klappt. Zur „Entwicklung geflüchteter Menschen in der Beschäftigung“berichtet die Agentur für Arbeit von einem kontinuierlichen Anstieg: Waren es 2015 noch 1347 Beschäftigte und 83 Auszubildende, waren es 2020 5885 Beschäftigte und 2678 Auszubildende. „Wir wissen, dass Ankommen Zeit braucht. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere die Steigerung bei den Auszubildenden eine gute Entwicklung“, sagt Birgitta Kubsch-von Harten, Chefin der Agentur für Arbeit Düsseldorf.
Der Integrationsprozess schreitet voran. Viele Asylverfahren sind weitgehend abgeschlossen, die Sprachkenntnisse haben sich im Zuge von
Integrationskursen deutlich verbessert, fasst das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einem Fünf-jahres-bericht zusammen. Zudem funktioniere die Integration in den Arbeitsmarkt besser als in früheren Jahrzehnten. Vielen Geflüchteten gelinge es zudem, einer Fachkrafttätigkeit nachzugehen, obwohl Bildungsabschlüsse fehlen. „Das spricht dafür, dass zumindest ein Teil des durch Berufserfahrung erworbenen Humankapitals in den deutschen Arbeitsmarkt transferiert werden konnte.“
Ein großer Teil der Geflüchteten ist jedoch weiter auf Arbeitssuche. Von 48.127 Betroffenen sind mehr als zehn Prozent als „Personen im Kontext Flucht“einzuordnen, wie das die Agentur für Arbeit nennt. Und zur Wahrheit gehört, dass ein Großteil der Flüchtlinge zunächst einfacheren Tätigkeiten nachgeht.
Integration heißt auch Problembewältigung. Miriam Koch würde sich etwa wünschen, dass Flüchtlinge unabhängig vom Aufenthaltsstatus Anspruch auf geförderte Sprachkurse hätten. Sonst gehe wertvolle Zeit verloren. Ein weiteres Integrationshemmnis seien die verschärften Regeln für den Familiennachzug. Und es gebe immer noch Flüchtlinge, die seit 2015 in einer Flüchtlingsunterkunft leben. 20 Prozent aller Asylsuchenden leben in Düsseldorf länger als 36 Monate in städtischen Unterkünften, aktuell fallen 1089 Menschen in diese
Gruppe. Das führt laut Koch zu mehr Verzweiflung und weniger Motivation. „Der Betreuungsbedarf steigt.“In Gemeinschaftsunterkünften müssten sich Familien Bäder und Küchen teilen. „Wir dürfen vor allem die Frauen nicht verlieren.“Vor allem Mütter seien oft schwer zu erreichen.
Hinter dem abstrakten Begriff Integration sind eben unzählige, konkrete Lebenswege verborgen. Und die sind immer anders. Milad Nikraftar Haghighifard zum Beispiel kam 2018 nach Düsseldorf. Der heute 28-Jährige erzählt, wie er in seiner Heimat Iran den christlichen Glauben für sich entdeckte und vor Staat und Familie fliehen musste. Mit Hilfe von Schmugglern schlug er sich nachts zu Fuß über die türkische Grenze und gelangte in einem Lkw nach Deutschland. Ohne zu wissen, in welcher Stadt er gelandet war, saß er plötzlich in Bochum an einer Haltestelle. „Ich hatte nichts mehr.“Doch nach einer ersten schweren Zeit in einer Flüchtlingsunterkunft kämpft er sich nach seinem Umzug nach Düsseldorf Schritt für Schritt zurück. „Ich habe beschlossen, ein neues Leben zu beginnen.“Er belegte einen Sprachkurs, fragte auf der Straße in Geschäften nach Jobs, bis er den Tipp bekam, sich an die Agentur für Arbeit zu wenden. Sie vermittelte ihm ein Praktikum bei der Renatec, berufsvorbereitende Kurse und noch mehr Sprachunterricht. Mit Hilfe seiner Lehrer bewarb er sich erfolgreich für eine Ausbildung zum Maler und Lackierer bei der Firma Weiss, wo er jetzt seit vier Monaten arbeitet. „Ich habe auch früher in dem Beruf gearbeitet, aber hier wird vieles anders gemacht.“Er freue sich über den sicheren Job und darüber, dass er der Gemeinschaft nützlich sein kann. „Wenn jemand möchte, hat er alle Möglichkeiten. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber man muss auch fleißig sein.“Trotz aller traumatischen Erfahrungen und dem Leben in einem Zwei-bett-zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft sagt er heute: „Mir geht es gut.“