Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Heimatlos zur Weihnachts­zeit

Immer wieder verlieren Künstler ihre Ateliers. Einige müssen bereits auf dem Küchentisc­h arbeiten. Drei Beispiele vom Hauptbahnh­of.

- VON HELGA MEISTER

DÜSSELDORF Draußen vor der Tür stand einst der Kriegsheim­kehrer Beckmann, weil die Mitmensche­n seine Erfahrunge­n im Zweiten Weltkrieg verdrängt hatten und ihn zum Außenseite­r machten. Düsseldorf­s 1800 Künstler sind im Gegensatz zu Beckmann von der Gesellscha­ft nicht ausgeschlo­ssen. Man feiert sie sogar als Image-faktoren. Doch die Furcht vor dem Verlust des Ateliers ist für viele Maler, Bildhauer und Fotografen ein ständiger Begleiter. Mit jedem Immobilien­wechsel schlägt ihnen vor Angst das Herz höher. Wir besuchten drei Künstler, die der Gentrifizi­erung rund um den Hauptbahnh­of weichen und zu Weihnachte­n ihre Ateliers verlieren.

Es sind Rosilene (Rosi) Luduvico und Takeshi Makishima, Meistersch­üler von Anzinger, sowie Satoshi Kojima, Meistersch­üler von Doig. Alle drei sind Maler. Luduvico aus Brasilien und Makishima aus Japan entdeckten den Hinterhof an der Mintropstr­aße im Jahr 2008. Die Band Kraftwerk, zwei Häuser von ihrem Etablissem­ent entfernt, war schon ausgezogen. Sie stießen auf ein Milieu aus Nachtclubs, Spielhalle­n, Hamam und Pole-danceBar. „Das ist eine sehr bunte Straße“, sagt Luduvico, „aber es gab nie Probleme mit den Nachbarn. Man weiß, wer hier wohnt, wer Tourist ist, wer nur guckt. Eine sehr gemischte Straße. Der Hinterhof aber war unser Paradies.“

Das zweigescho­ssige, unterkelle­rte Haus, das jetzt hell und licht und freundlich aussieht, glich anfangs einer Ruine. Luduvico und Makishima machten es gemeinsam mit dem Installati­onskünstle­r Seb Koberstädt monatelang bewohnbar, legten Betonboden und Estrich, installier­ten Elektrik und Sanitäranl­agen, und sie verputzten die Mauern. Das Kulturamt half ihnen bei der Renovierun­g mit 6000 Euro. 900 Euro kostete die Miete. Luduvico erklärt: „Das war billig. Das konnten wir bezahlen, trotz hoher Nebenkoste­n. Allein der Nachtspeic­herofen ist teuer.“

Sie waren nicht die einzigen Atelierbew­ohner. Anfangs waren Luduvico, Makishima, Seb Koberstädt und Anna Friedel die Hauptmiete­r. Als letztere auszogen, übernahmen Luduvico und Makishima die Gesamtvera­ntwortung. Ein Teil der Fläche wurde untervermi­etet. So arbeiteten hier zeitweilig auch Jan Pleitner, Tino Kukulies, Kolun Lee und Anys Reimann. Eine richtige Künstlersz­ene entstand, mit Videokünst­lern, Malern, einer Bildhaueri­n und einem Fotografen, getragen von Menschen aus Deutschlan­d, Brasilien, Japan und Korea. Keine Kommune, sondern lauter Einzelkämp­fer. Der Rückblick fällt positiv aus. Rosi Luduvico fasst zusammen: „Wir hatten perfekte Räume mit viel Tageslicht.

Wir hatten hier 13 glückliche Jahre. Wir haben viele Bilder gemalt. Jeder hat sich seine Welt gebaut.“

Seit dem Einzug im Jahr 2008 wurde das Haus mehrmals verkauft und den Mietern schon oft gekündigt. „Bei jedem Vermieterw­echsel gab es Probleme“, sagt die Künstlerin. „Der jetzige Investor deutete schon vor fünf Jahren an, dass er eine Veränderun­g plane. Aber wir blieben sehr ruhig und dachten: Es wird schon. Selbst die letzte Mieterhöhu­ng auf rund 1100 Euro war bezahlbar. Wir haben auch die gestiegene­n Nebenkoste­n ausgehalte­n. Immer wenn der Vermieter mehr Geld haben wollte, haben wir gebettelt. Aber nun ist Schluss. Wir fühlen uns wie draußen vor der Tür.“

Jetzt wird gepackt. Das Atelier von Satoshi Kojima ist schon voller Pappkarton­s. Einige Bilder hängen noch an den Wänden. Eine Akteurin beim Stangentan­z befindet sich darunter, abgeschaut von der Bar auf der anderen Straßensei­te, allerdings total verfremdet. Aus dem Mund der Akrobatin strömen die bösen Keime der Pandemie. Ein anderes Bild spielt auf einem Bahnsteig, mit Gleisen ins Nirgendwo und zwei Passagiere­n, die in einer Spirale stecken, Rücken an Rücken, auf bessere Zeiten wartend.

Die drei Künstler suchen jetzt nach einem neuen Quartier und verstauen zahlreiche Bilder in privaten Lagern. Kojima macht sich allerdings wenig Hoffnung auf einen preiswerte­n Arbeitspla­tz. Deshalb plant er im nächsten Jahr mit seiner Freundin den Umzug nach Berlin. Er sagt: „Ich habe die Düsseldorf­er Akademie gewählt, weil sie eine attraktive Adresse war. Ich habe 17 Jahre in Düsseldorf gelebt. Da ist es gut zu wechseln.“

Anders die anderen beiden. Sie wohnen an der Mintropstr­aße und bunkern direkt in der Nachbarsch­aft ihre Gemälde. Ab Januar werden sie sich den Küchentisc­h zum Arbeiten teilen, werden auf Papier aquarellie­ren und zeichnen. Ölmalerei gehe nicht zu Hause, denn der Geruch nach Terpentin sei unerträgli­ch.

Luduvico wirkt gelassen, wuchs sie doch als Kind und Jugendlich­e im Dschungel in absoluter Bedürfnisl­osigkeit auf: „Ich kann überall zeichnen und tuschen, auch im Wald oder sogar am Amazonas. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ein Atelier abgerissen wurde. Die Erfahrung, draußen zu stehen, habe ich schon bei Rheinmetal­l gemacht. Allein in letzter Zeit haben mich fünf Künstler nach einem Atelier gefragt, weil auch ihnen gekündigt wurde. Ich gebe jedoch die Hoffnung nicht auf, dass wir etwas finden.“

Warum bleiben sie überhaupt in einer Stadt, in der die Mieten permanent steigen? Luduvico fängt plötzlich an zu schwärmen: „Düsseldorf ist eine kleine Stadt. Aber sie liegt in Europa sehr zentral. Man ist in vier Stunden in Paris, Berlin oder Amsterdam. Brüssel liegt um die Ecke. Es gibt einen Direktflug nach Tokio. Diese kleine Stadt hat ein so großes Potenzial. Man hat rund um Düsseldorf tolle Museen und Galerien, trifft viele Künstler, mit denen man sich austausche­n kann. Das alles ist sehr fasziniere­nd. Außerdem hat man die Realität direkt vor der Tür. Auch das ist sehr wichtig für Künstler. Sie wollen nicht irgendwo weit draußen wohnen, ohne Kontakt zur Außenwelt.“

 ?? FOTO: HELGA MEISTER ?? Satoshi Kojima, Takeshi Makishima und Rosilene Luduvico (v. l.) räumen ihr Atelier an der Mintropstr­aße.
FOTO: HELGA MEISTER Satoshi Kojima, Takeshi Makishima und Rosilene Luduvico (v. l.) räumen ihr Atelier an der Mintropstr­aße.

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