Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Schuld und Sühne in Magdeburg
Der „Polizeiruf “ist packend, stilsicher, abgründig und einer der besten Krimis des Jahres.
MAGDEBURG Einen Abend lang bloß sollte Sandra auf die Tochter ihrer Freundin Valerie aufpassen, doch sie schläft ein und wird am nächsten Morgen vom Gewimmer des Mädchens aus dem Babyfon geweckt. „Mama ist weg“, sagt die kleine Janet, und sie hat recht. Das Bett ihrer Mutter ist unberührt, das Handy ausgeschaltet. Per Sprachnachricht hatte die junge Krankenpflegerin noch angedeutet, dass ihr Date
wenig berauschend war. Seitdem: nichts.
In diesem Film hingegen geht es langsam, aber sicher um alles, ohne dass er dabei konstruiert oder überdreht wirken würde. Wer die Tatort-folgen „Die Pfalz von oben“oder „Das perfekte Verbrechen“mochte, sollte ihn sehen. Und wer nicht, auch.
Kompromisslos geht die mit dem Grimmepreis prämierte Regisseurin Brigitte Maria Bertele dahin, wo es wehtut. Beispielhaft etwa die fachlich korrekte, aber brutal empathielose erste Reaktion der Polizisten auf den emotionalen Ausnahmezustand von Sandra und Valeries Vater: „Frau Klein ist erwachsen; sie hat das Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen.“Von „Gefahr für Leib und Leben der vermissten Person“sei bis auf Weiteres nicht auszugehen. Und tschüss!
Die meisten Vermisstenfälle lösen sich ja tatsächlich schnell von selbst. Aber so wenig wie die Liebe in Gedanken nützt Statistik im Einzelfall. Valeries Vater und ihre Freundin haben das Glück, dass Ermittler Günther Márquez (Pablo Grant) einst mit der nun Vermissten in eine Klasse ging. So bekniet Márquez seine Kollegin Doreen Brasch (Claudia Michelsen), die wiederum ihren Chef Uwe Lemp (Felix Vörtler) überzeugt, dass von einer Entführung auszugehen ist – oder Schlimmerem.
Nach einer Viertelstunde ist auch eine starke Spur gefunden: viel Blut von der Vermissten sowie ihr Schmuck. Und nach einer weiteren Viertelstunde knickt der so renitente Verdächtige Markus Wegner (Sascha Gersak) ein. Ja, er habe Valerie Klein umgebracht. Warum? „Darum. Einfach so. Weil ich wollte.“Die Indizienlage allerdings ist mittelprächtig – Geständnis hin oder her.
Vor einigen Monaten hat der streitbare Bundesrichter Thomas Fischer eine kluge„spiegel“-kolumne mit dem Titel „Gestehen Sie!“geschrieben. These: Geständnisse sind massiv überbewertet, weil juristisch meist vernachlässigbar. Ihnen komme schlicht „nicht die überragende, geradezu magische Bedeutung zu“, die ihnen Laien beimessen. Fazit: „Wir schauen den Menschen nicht in die Köpfe, und was sie sagen, ist, wenn wir Glück haben, ein Teil des Ganzen.“
Brasch glaubt daran, sich dieses Glück in diesem Fall erarbeitet zu haben. Jedoch ist sie auch maximal befangen – denn Wegner gesteht auch einen weiteren Mord, für den längst ein anderer im Gefängnis sitzt. Brasch hatte auch damals die Ermittlungen geleitet. Schwer lastet ihr möglicher Fehler auf ihr, umso verlockender erscheint die Chance zur Wiedergutmachung – wenn sie nur beweisen kann, dass Wegner tatsächlich der Täter ist. Der wiederum widerruft sein Geständnis, während andere Tatverdächtige ins Spiel kommen. „Sie verrennen sich“, warnt Lemp; es ist mehr Flehen als Vorwurf.
Doch Brasch folgt ihrer Intuition und geht auf Konfrontationskurs mit Polizei, Staatsanwaltschaft, Politik. „Der Verurteilte“ist ein knackiger Fall, zeitgemäß in Szene gesetzt, durch die Bank sensationell gespielt. Wer trotz oder gerade wegen all der echten Toten in unserem Land und auf der ganzen Welt einen weiteren Film über fiktive Verbrechen sehen will, der wähle diesen. Auch wenn das Zusehen im Endspurt eine echte Tortur ist.
Es ist nur ein Film. Aber was für einer. Der beste Krimi des Jahres wäre er wohl auch, wenn er eine Woche später liefe.
„Polizeiruf 110: Der Verurteilte“, Das Erste, So., 20.15 Uhr