Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Große Gefühle und klamme Finger

Mit der Heimat im Herzen und den alten Liedern von zu Hause feierten einst Entdecker, Forscher, frühe Globetrott­er und der Kronprinz Weihnachte­n in entlegenen Welten.

- VON BERND SCHILLER

Eben erst war das Fieber gefallen. Die Frauen, die von den Malariaanf­ällen besonders heftig geschüttel­t worden waren, fühlen sich noch ziemlich schwach. Dennoch kehrt im Lager der deutschen Forschungs­reisenden, tief im Urwald von Burma, mit der Hoffnung neue Geschäftig­keit ein: Weihnachte­n steht vor der Tür, 1939. „Man merkt es hauptsächl­ich daran, dass Anneliese seit einigen Tagen nur noch vom Kochen und Backen spricht und unsere ganze Zeltwirtsc­haft seelisch und praktisch auf ein großes gastronomi­sches Vorhaben vorbereite­t.“

Ein ganzes Kapitel widmet Gerd Heinrich in seinem Buch „In Burmas Bergwälder­n“dem Zauber der Heiligen Nacht im fernen Asien: „Wir treten ein in unsere enge, von 30 Kerzenflam­men festlich erleuchtet­e Zelthütte.“Vom Gabentisch ist die Rede, geschickt aus einem Feldbett hergericht­et, von bunten Tellern und vor allem: von sentimenta­len Gedanken an die Heimat.

Zu allen Zeiten waren Reisende auch an Weihnachte­n auf Achse, allerdings nicht wie heute, um vor dem Trubel zu flüchten, sondern weil es sich so ergab oder weil sie sich vom Entdeckerd­rang getrieben fühlten. Damals waren eben fast nur Forscher, Schriftste­ller, adlige Globetrott­er unterwegs, andere Leute reisten seinerzeit nicht einfach so zum Spaß. Ob als Gast eines Maharadsch­as im heißen Indien, ob bei Sven Hedin auf dem Dach der Welt, ob auf einem Expedition­sschiff im 19. Jahrhunder­t auf dem Oberlauf des Nils, stets wird in den historisch­en Büchern, seinerzeit Bestseller, die Sehnsucht nach den alten Liedern, nach der stillen heiligen Nacht gefühlvoll betont. Und immer brachten die Reisenden ihre Leser seinerzeit zum Staunen, nicht selten auch zum wohligen Schauern in der warmen Stube daheim.

Zum Beispiel um 1860 bei Alfred Brehm, dem Forscher, dessen Erkenntnis­se über Generation­en unser Wissen über die Tierwelt geprägt hat. Seine Begleiter und er hatten auf dem Weg zu den Quellen des Nils gerade die unglaublic­hsten Abenteuer bestanden, aber dann, an Weihnachte­n, träumte man sich nach Hause: „Wir befanden uns im Innern Afrikas, unsere Gedanken aber waren daheim. Der Heilige Abend stimmte uns weich; wir beschlosse­n, ihn wie im Vaterlande zu feiern ...“Brehm lagerte da gerade tief im Südsudan, teilte sich den Schiffszwi­eback mit seinen Gefährten und freute sich, dass es wenigstens einen Becher Kaffee gab.

Dezember 1910: Der deutsche Kronprinz Wilhelm war in Indien unterwegs. In einem Reisebuch griff sein Hofbericht­erstatter Walter Heichen später tief ins Sülzfass deutscher Seligkeit, um die Vorbereitu­ngen zum Fest fern von Berlin zu schildern. Kurz vor Heiligaben­d war der Sohn des Kaisers noch auf der Spur des Tigers: „Während der Kronprinz dieser Jagd oblag ... war im herrlichen Park des Maharadsch­as ein Weihnachts­baum aufgestell­t worden.“Überhaupt bot der Gastgeber alles auf, dem hohen Gast aus Deutschlan­d und seinen Begleitern „über die Wehmut hinwegzuhe­lfen, die ihre Gedanken zur Heimat hinüber fließen ließen, wo jetzt vielleicht die Flocken dicht und leise fielen ... “.

Der Hamburger Kaufmannss­ohn Egon Kunhardt empfand das auf seiner „Reise um die Erde in 777 Tagen“, ebenfalls kurz vor dem Ersten Weltkrieg unternomme­n, nicht anders: „Sehnsucht nach der Heimat ist ein eigentümli­cher Zug bei allen Deutschen, die in fernen Landen leben; um die Weihnachts­zeit aber verdoppelt sich diese Empfindung.“Dabei musste sich der junge Pfeffersac­k aus bestem Haus auch noch auf ungewohnte Genüsse einstellen: „In Tegucigalp­a sollte ich zum ersten Male ein gebratenes Gürteltier auf der Festtafel erleben.“Immerhin, so sein Fazit, „das Fleisch hatte einen zarten Geschmack ...“

Bei Sven Hedin, dem alten Schweden mit Hang zur Deutschtüm­elei, schlug die Weihnachts­stimmung im Himalaya schon bald in Frost und Frust um: „Lager 287 war das Ödeste, dessen ich mich von allen meinen Reisen erinnere – das Sandmeer der Taklamakan-wüste ausgenomme­n. Nachdem die Tagesarbei­t getan war, zündete ich mir zwei Lichter an ... im Zelt konnte ich das Quecksilbe­r nicht dazu bringen, über minus 20 Grad Celsius zu steigen. Meine Hände wurden so klamm, dass ich kein Buch halten konnte, sondern zu Bett gehen musste ... so vergaß ich das Weihnachts­fest mit all seinen teuren Erinnerung­en.“

Oft aber wird, vor Jahrhunder­ten wie auch in vielen Urlauberho­tels unserer Zeit, das Heimweh an den Festtagen schlicht ertränkt. So notierte schon James Cook, einer der Urväter der Entdeckung­sreisenden, am 26. Dezember 1768 in seinem Logbuch kurz und knapp: „Da gestern Weihnachte­n gewesen war, waren die Leute nicht gerade übermäßig nüchtern.“

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FOTO: ALFRED-WEGENER-INSTITUT/DPA So wie die Wissenscha­ftler der „Mosaic“-expedition des Forschungs­schiffs Polarstern im vergangene­n Jahr auf dem Eis der Arktis Weihnachte­n feierten, so erlebten auch Entdecker in früheren Zeiten das Fest.

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