Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Eine Café-legende

Das „Caffè Florian“ist mehr als ein elegantes Kaffeehaus in bester Lage am Markusplat­z in Venedig. Es ist ein lebendiges Museum, um das sich zahllose Mythen ranken. Jetzt wird es 300 Jahre alt.

- VON SASCHA RETTIG

Für einen guten Espresso muss immer Zeit sein. Vor allem in Italien. Selbst wenn man gerade auf der Flucht aus dem Gefängnis ist. Denn glaubt man der Erzählung, war der berühmte Frauenheld Casanova einst aus seiner Zelle im Dogen-palast getürmt, legte aber selbst in dieser hektischen, brenzligen Situation noch einen Zwischenst­opp ein: auf einen Kaffee auf dem Markusplat­z im nahegelege­nen „Caffè Florian“. Dies ist nur eine der zahlreiche­n Legenden und Anekdoten aus den vergangene­n Jahrhunder­ten, die sich um das womöglich älteste noch geöffnete Café der Welt ranken.

Auf den rotsamtene­n Divanen saßen eben schon viele illustre Persönlich­keiten. JeanJacque­s Rousseau gehörte ebenso dazu wie Goethe oder Lord Byron. Ernest Hemingway trank hier am liebsten Rotwein. Gina Lollobrigi­da stattete gern mal während der Filmfestsp­iele auf dem Lido einen Besuch ab. Aber auch heutzutage kann es durchaus passieren, dass Prominenz am Nachbartis­ch sitzt – wie Salma Hayek, die vor zwei Jahren dort ihren Geburtstag feierte. Längst ist das Kaffeehaus in bester venezianis­cher Lage schließlic­h selbst zur Legende geworden. Eine langzeitüb­erlebende Institutio­n, die in diesem Jahr ihren 300. Geburtstag feiert. Ein Museum im täglichen Café-betrieb, das mit Stefano Stipitivic­h sogar einen eigenen künstleris­chen Direktor hat.

Am 29. Dezember 1720 eröffnete Floriano Francescon­i einst das Café in den „Procuratie Nuove“-arkaden, damals noch unter dem Namen „Alla Venezia Trionfante“, deutsch „triumphier­endes Venedig“. Kaffee war zu der Zeit groß in Mode in der Stadt, nachdem ein Venezianer 1638 Kaffee aus Ägypten in die Lagunensta­dt gebracht hatte. Das erste Kaffeehaus eröffnete bereits 1683. „Das war so populär, jeder wollte Kaffee trinken“, sagt Stipitivic­h. „Anders als Wein machte Kaffee schließlic­h wach und die Intellektu­ellen tranken ihn, um sich zu konzentrie­ren.“Die Zahl der Cafés sei damals auf etwa 200 in der gesamten Stadt begrenzt worden.

Etwas wirklich Außergewöh­nliches war so ein neues Kaffeehaus selbst vor 300 Jahren damit eigentlich nicht. Doch der Besitzer des „Alla Venezia Trionfante“soll eine schillernd­e Persönlich­keit gewesen sein – und das zog zahlreiche Künstler, Adlige und die Intellektu­ellen der Lagunensta­dt an. Irgendwann war das Café, in dem heutzutage vor allem Touristen aus der ganzen Welt dem Café-mythos nachspüren, einfach unter dem Namen „Florian“bekannt.

Kaffee war damals etwas, das sich vor allem die Betuchtere­n leisten konnten. „Ein türkischer Kaffee mit Zucker hat etwa doppelt so viel gekostet wie ein Wein“, fügt Stipitivic­h hinzu. Auch wer heute ins „Caffè Florian“geht, muss erwartungs­gemäß deutlich tiefer ins Portemonna­ie greifen, als es normalerwe­ise der Fall ist – was mitunter für Kritik sorgt. Für einen einfachen Cappuccino, den Bestseller, muss man 10,50 Euro bezahlen. Die Cioccolata Casanova, eine heiße Schokolade mit Mintcreme und Schokorasp­eln, kostet 13,50 Euro. Serviert werden die Spezialitä­ten aber in feinem Porzellan und auf einem Silbertabl­ett – angemessen elegant also wie auch die 20 Kellner, allesamt Männer. Die dürfen keine Tattoos, Piercings oder Ohrringe haben, tragen dafür aber alle Smokingjac­ke, weißes Hemd und eine Fliege, die bei der einen Hälfte schwarz, bei der anderen Hälfte weiß ist. „An der schwarzen Fliege erkennt man die verdienten, erfahrenen Kellner, an der weißen den jüngeren Nachwuchs“, erklärt Roberto Ferronato, der selbst stolzer Träger der schwarzen Fliege ist und seit 34 Jahren im „Florian“arbeitet. Bei ihm kann man auf Italienisc­h, Englisch und Französisc­h bestellen. Auch Deutsch versteht der Venezianer.

Neben dem Service ist im „Florian“, das seit einigen Jahren unter anderem dem Modedesign­haus Fendi gehört, vor allem aber die Atmosphäre eine besondere. Draußen an einem der 97 Tische hat man einen Logenplatz, um bei einem venezianis­chen Kaffee oder einem Bellini das lebendige Treiben auf dem Markusplat­z zu beobachten: In historisch­er Umgebung mit Markusdom und dem Campanile im Hintergrun­d sieht man, wie Touristen vorbeizieh­en. Manche füttern Tauben, obwohl es eigentlich nicht mehr erlaubt ist. Manche kaufen eine Rose oder ein Leuchtspie­lzeug bei einem der fliegenden Händler. Gelegentli­ch wagt ein Paar ein Tänzchen. Nicht nur beim „Florian“gibt es schließlic­h täglich Live-musik bis Mitternach­t, meist von einem Quartett. Auch in den Kaffeehäus­ern auf der anderen Seite des Platzes werden im Wechsel Evergreens und Klassiker gespielt – von „My Heart Will Go On“bis „Time To Say Goodbye“.

Wer es vorzieht, beim Besuch im „Florian“an einem der Marmortisc­he in einem der opulenten Innenräume zu sitzen, hat das Gefühl, in einer anderen Zeit gelandet zu sein. „Im 19. Jahrhunder­t wurde es zu Teilen umgebaut, seitdem ist es im Grunde unveränder­t“, erklärt Stipitivic­h. Allerdings wurde das Café zwischenze­itlich erweitert. „Als Letztes kam 1920 der sogenannte „Freiheitsr­aum“dazu.“Sechs Räume gibt es seitdem insgesamt. „Das alles instand zu halten, ist eine Herausford­erung. Wir renovieren die ganze Zeit. Nicht zuletzt auch wegen des Hochwasser­s jedes Jahr“, sagt der künstleris­che Leiter.

Der „Sala del Senato“, der „Senatsraum“, ist einer der bedeutends­ten Räume des Cafés – nicht nur aufgrund der Malereien an den Wänden und den Decken, die wie überall mit Glasschutz versehen sind. „Das Zeitalter der Erleuchtun­g oder des Fortschrit­ts“und „Zivilisati­on, die die Nationen erzieht“und dazu elf Tafeln mit Malereien sind dort zu sehen. Hier wurde zudem eine der wichtigste­n Veranstalt­ungen Venedigs geboren: die Biennale di Venezia, das Kunstfesti­val, das im Wechsel mit der Architektu­r-biennale alle zwei Jahre stattfinde­t und zu den renommiert­esten der Welt zählt. Zur Kunst-biennale werden internatio­nale Künstler eingeladen, einen der Caféräume zu gestalten. Dann gibt es Ausstellun­gen, Installati­onen oder Videoproje­ktionen – natürlich ohne etwas an den historisch­en Räumen zu verändern.

Auch wenn es auf der Welt, in Italien, in Venedig im Laufe der vergangene­n drei Jahrhunder­te Krisen und Erschütter­ungen gab, war das „Florian“immer geöffnet, das ganze Jahr über. Sogar an Weihnachte­n. Sogar während des Ersten Weltkriege­s, als Kriegsverl­etzte hier untergebra­cht waren. Ausgerechn­et im Jubiläumsj­ahr hat es aber das „Florian“erwischt. Zu Beginn der Corona-pandemie war es erstmals fast drei Monate zu; auch derzeit ist es geschlosse­n. Als es im Juni zwischenze­itlich wiedereröf­fnete, hatte der globale Ausnahmezu­stand das Leben und Reisen der Menschen weltweit verändert – die reiche Geschichte des Kaffeehaus­es wird aber nach wie vor fortgeschr­ieben.

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FOTOS: SASCHA RETTIG Wie in einer anderen Zeit: Am 29. Dezember 1720 eröffnete Floriano Francescon­i einst das Café in Venedig.
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Zahlreiche Kunstwerke und Deckengemä­lde zieren die historisch­en Räume.
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Ein Bild aus besseren Tagen: Zu Beginn der Corona-pandemie war das Café erstmals fast drei Monate zu; auch derzeit ist es wieder geschlosse­n.
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An der Farbe der Fliege erkennt man, wie erfahren der Kellner ist.

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