Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Die Zeiten der grünen Wiese sind vorbei“
Die Nrw-heimatministerin über Leerstände in Innenstädten, Kommunalbeamte am Limit und eine Frau als Chefin der Landes-cdu.
Frau Ministerin, im zweiten Lockdown mussten die Innenstädte inmitten des Weihnachtsgeschäfts herunterfahren. Erleben wir hier einen irreparablen Schaden? SCHARRENBACH Ja. Das wird zu einem großen Teil leider so sein. Wir haben früh das Landesprogramm Innenstädte mit 70 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Leerstehende Ladenlokale können angemietet und umgenutzt werden. Es braucht jetzt ein konzertiertes Vorgehen. Verwaiste Innenstädte will niemand.
Was genau stellen Sie sich vor? SCHARRENBACH Die Bürgermeister und Räte müssen sich klarwerden, wo ihre Innenstädte in den kommenden zwei Jahren stehen sollen. Man wird sehr eng mit den Eigentümern und Geschäftsinhabern zusammenarbeiten müssen. Mein Ministerium wird Anfang des Jahres zu einem Innenstadtgipfel einladen.
Ihre Parteifreunde im Bundestag sympathisieren mit einer Besteuerung des Online-handels, um einen Innenstadtfonds einzurichten. Schnapsidee oder guter Vorschlag? SCHARRENBACH Wir von der Frauen-union NRW haben etwas Ähnliches zuvor schon angeregt: eine kommunale Infrastruktursteuer. Der stationäre Einzelhandel ist gegenüber dem Online-handel im Nachteil. Der Händler vor Ort trägt mit Abgaben und Steuern zur kommunalen Entwicklung bei, der Onlinehandel tut das nicht, nutzt aber dieselbe Infrastruktur. Die Steuer könnte jahresbezogen auf Lieferungen in eine Stadt erhoben werden. Doch das allein wird nicht reichen.
Was schwebt Ihnen zusätzlich vor? SCHARRENBACH Wir müssen zudem die Städte in die Lage versetzen, in Innenstädten von geltenden Rechten abzuweichen. Es geht etwa um die Umwidmung von Gewerbe- in Wohnimmobilien. Die Städte berichten uns, dass das zu Problemen führt. Dort müsste die Stadt Ausnahmen vom Planungsrecht, dem Bauordnungsrecht und womöglich auch dem Steuerrecht bekommen – unter Einhaltung von Mindeststandards.
In einzelnen Kommunen beträgt die Leerstandsquote 50 bis 75 Prozent. Welches Mittel hilft dann überhaupt noch?
SCHARRENBACH Ein Kern kann immer gerettet werden. Er ist ja nicht nur Ort des Handels, sondern auch des Wohnens, Arbeitens, der Kultur und Events. Solche Räume benötigt jede Gemeinde. Wir haben an die Kommunen appelliert, genau hinzuschauen, ob sie nicht Handelslagen herausnehmen und in Wohnraum, Büros oder Bildungseinrichtungen umwidmen. Das sind alles Frequenzbringer.
Die Kommunen präferieren vor allem Gastronomie.
SCHARRENBACH Ja, es bedarf aber einer gesunden Mischung. Nur Restaurants und Cafés retten keine Fußgängerzone. Eine Innenstadt ist wie ein Orchester. Nur mit der Trompete allein wird's langweilig.
Kleine Städte kämpfen immer stärker darum, eine Grundversorgung aufrechtzuerhalten. SCHARRENBACH Das sehe ich auch mit Sorge. Deshalb bin ich im Gespräch mit den Systemanbietern wie Aldi, Edeka, Rewe und Co. Die haben bereits zugesagt, am Innenstadtgipfel teilzunehmen. Sie drängen wieder in die Zentren. Die Zeiten der grünen Wiese sind vorbei.
Schauen wir auf die Finanzlage der Kommunen. Viele haben den Wunsch geäußert, dass der kommunale Eigenanteil bei Förderprogrammen über das Jahr 2020 hinaus vom Land NRW übernommen, reduziert oder gleich ganz gestrichen wird.
SCHARRENBACH Der Wunsch ist nachvollziehbar. Wir berücksichtigen aber ja schon heute bei der Städtebauförderung die finanzielle Leistungsfähigkeit der Städte. Der Eigenanteil variiert zwischen 50 und zehn Prozent. Wenn wir die Eigenanteile vollständig herausnehmen, erleben wir das, was wir zuletzt beim Investitionspakt Sport hatten: Da kamen auf ein Verteilungsvolumen von 47 Millionen Euro Anträge in Höhe von 365 Millionen Euro.
Man könnte mit der Besonderheit der Pandemie argumentieren, die uns ja noch länger begleiten wird. SCHARRENBACH Wir haben früh die Eigenanteile in der Städtebauförderung übernommen. Das waren mal eben 132 Millionen Euro. Auch das Land muss schauen, was finanziell geht und was nicht. Ich kann noch nicht zusagen, ob wir über das Thema im Jahresverlauf 2021 noch mal diskutieren werden. Das Geld, das jetzt im Markt ist, muss erst umgesetzt werden. In der Städtebauförderung reden wir über Projekte mit einer Laufzeit von acht Jahren.
Die Opposition wirft Ihnen vor, Ihre Hilfe in der Pandemie bestehe aus Bilanztricks und neuen Schulden. SCHARRENBACH Das ist Blödsinn und zeugt von wenig Kenntnis über die breite Akzeptanz bei den Kämmerern für den etwas ungewöhnlichen Hilfsansatz. Einige Kommunen sagen mir zudem, sie hätten genügend Kapital, dass sie die Belastungen einfach so wegbuchen könnten. Meine Haltung war, dass es das falsche Signal wäre, wenn sich Bund und Land mit Milliarden verschulden und die Kommunen sagen, sie müssten jetzt Leistungen streichen und Steuern erhöhen. Kommt die Wirtschaft schnell in Tritt, kann man die Belastungen wegbuchen. Wenn die Lage länger dauert, werden wir diese Buchungsmöglichkeit für die Kommunen auch verlängern, um die kommunale Handlungsfähigkeit zu wahren.
Wo müssen die Kommunalverwaltungen besser werden? SCHARRENBACH Bei der digitalen Kontaktverfolgung. Es gibt Programme, mit denen die Gesundheitsbehörden unterstützt werden können. Die müssen dann aber auch eingesetzt werden. In manchen Fällen ist das Thema in der Prioritätenliste zu weit nach hinten gerutscht, weil der Fokus zuletzt allein auf den Impfzentren lag. Es gibt aber auch Kommunen, die sich in langwierigen Debatten darüber verheddern, ob das jetzt die richtige Software ist.
Wie eng wird das Rennen um den Bundesvorsitz der CDU? SCHARRENBACH Meines Erachtens liegt Armin Laschet vorne. Er trägt Verantwortung, ich bin der Überzeugung, dass die Delegierten ihm deshalb das Vertrauen aussprechen. Die anderen stehen ja eher am Spielfeldrand.
Würde Laschet dabei zum Zuge kommen, stünde auch die CDU NRW vor einem Umbruch. Wäre es Zeit für eine Frau an der Spitze? SCHARRENBACH Die Debatten über Frauen in Führungspositionen sind immer zielführend. Es muss normal sein, dass Frauen auch Verantwortung übernehmen. Aber auch diese Frage wird erst nach dem Bundesparteitag geklärt werden.