Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Niedliche Eindringlinge
Tierarten wie dem Waschbären nützt laut einer Studie ihr Knuddelfaktor, damit sie in einer fremden Umgebung überleben.
DÜSSELDORF Eigentlich sind sie Fremde, doch sie fühlen sich in ihrer neuen Heimat pudelwohl. Invasive Tierarten können das Öko-system eines Landes gehörig aufmischen. Doch was macht sie eigentlich so erfolgreich? Klar, sie müssen anpassungsfähig sein. Doch laut einer aktuellen Studie triumphieren sie auch, weil wir Menschen sie so niedlich finden.
Das Panzerknacker-gesicht, die händchenartigen Vorderpfoten, das dicke Fell und der neugierig-wache Blick. Keine Frage: Der Waschbär hat Charisma. Auch wenn er – wegen seines gesegneten Allesfresser-appetits – das Ökosystem in Deutschland so gewaltig durcheinanderbringt, dass sich die Jäger gezwungen sehen, jährlich über 16.000 Exemplare zu erlegen. Doch das wird den Siegeszug des ursprünglich aus Nordamerika stammenden Invasorbären nicht stoppen. Denn er ist schlichtweg unwiderstehlich.
„Charismatische Tierarten haben es bei der Ausbreitung deutlich leichter“, berichtet Franz Essl von der Universität Wien. Der Biologe hat zusammen mit 23 anderen Forschern aus aller Welt untersucht, inwieweit das Aussehen einer Tierart dazu beiträgt, dass sie sich in fremden Gefilden durchsetzen kann. Dazu hat man neben den wissenschaftlichen Datenbanken auch Medienberichte und andere Hinweise auf die soziale Akzeptanz der Aliens – so heißen die invasiven Tierarten in der Fachsprache – analysiert.
Das Resümee lautet: Man kann einen Alien kaum loswerden, sofern er mit seinem Aussehen die Menschen seiner neuen Umgebung bezirzt hat. Und dabei sticht vor allem der Knuddelfaktor. „Waschbären sind dafür ein gutes Beispiel“, erläutert Essl. Nicht nur wegen ihres Aussehens, sondern auch weil man ihre Verhaltensweisen, wie etwa das angebliche Waschen der Nahrung, als putzig empfindet. Wer so jemanden erlegen will, bekommt nur wenig Rückendeckung in der breiten Öffentlichkeit – und das macht es schwer, Jagden oder andere Maßnahmen zum Eindämmen des Invasors durchzusetzen.
Auch das (ebenfalls aus Nordamerika stammende) Grauhörnchen wird von den Forschern als Beispiel für ein niedlich-erfolgreiches Alien genannt. Es verdrängt zunehmend unsere braunen und deutlich kleineren Eichhörnchen, doch die Maßnahmen zum Eindämmen seiner Verbreitung werden in Europa oft hinausgezögert. „Aufgrund des Widerstands in der Bevölkerung“, so die Wissenschaftler.
Der zu den Beuteltieren gehörende Fuchskusu kommt ursprünglich aus Australien, aber mittlerweile räumt er – mit noch größerem Erfolg als in seiner Heimat – auch die Vogelnester in Neuseeland leer. Doch weil sein Gesicht aussieht wie das von Pikachu aus den Pokémon-spielen, stoßen alle Maßnahmen zu seiner Eindämmung auf energischen Widerstand in der Öffentlichkeit. Mit der Folge, dass der neuseeländische Vogelbestand unter den Attacken des putzigen Eierdiebs ächzt.
Nordkolumbien plagt hingegen das afrikanische Flusspferd, das seinerzeit vom Drogenboss Pablo Escobar angesiedelt wurde. Die mittlerweile knapp 100 Exemplare haben großen Hunger und koten fleißig ins Wasser, was dem kolumbianischen Dschungel nicht guttut. Doch alle Eliminierungsversuche der Regierung scheiterten bislang, weil die breite Öffentlichkeit den Dickhäuter liebgewonnen hat.
Für das Forscherteam um Essl steht daher fest: Wer einen Eindringling mit Knuddelfaktor ausschalten will, muss dabei die einheimische Bevölkerung ins Boot nehmen. Etwa mit dem Argument, dass der charismatische Eindringling ja möglicherweise auch einen charismatischen Einheimischen verdrängt. So bedroht der Waschbär unter anderem den Bestand des Uhus – und der hat ja auch einen gewissen Knuddelfaktor.