Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

3422 Kilometer rund um die Republik

Oliver Kuhbandner fährt seit vielen Jahren mit dem Rad um die Welt. Im Corona-jahr ging es zu den entlegenst­en Ecken Deutschlan­ds.

- VON MARLEN KESS

DÜSSELDORF Mit 15 Jahren ergriff Oliver Kuhbandner die Initiative – und setzte sich kurzerhand auf ein von einem Onkel geliehenes Dreigangfa­hrrad. Er war noch nie zuvor in den Urlaub gefahren, damals in den 70ern war das allerdings keine Seltenheit für Familien. Schon gar nicht im ländlichen Oberfranke­n, wo Kuhbandner aufgewachs­en ist. Die Eltern hatten kein Auto, Geld war auch nicht viel da – so blieb eben nur das Rad. Gemeinsam mit seinem Vater radelte er durchs Altmühltal in Bayern, das war der erste Urlaub seines Lebens – und der Beginn einer großen Leidenscha­ft.

„Seitdem sitze ich jedes Jahr mehrere Wochen irgendwo im Ausland auf dem Rad“, sagt der heute 58-Jährige. Erst fuhr er mit dem Vater in die nähere Umgebung, dann nach Italien, Österreich und Spanien – und irgendwann mit einem Schulfreun­d weiter bis Israel und Ägypten, und seitdem solo durch die ganze Welt: längs durch Afrika, von Alaska bis Panama und von Düsseldorf bis in den Iran. Meistens alleine, gelegentli­ch mit Radlern, die er unterwegs traf, und immer mit dem Zelt. Die Kilometer zählt er genau: Seit 1978 sind bei 62 Touren durch 89 Länder insgesamt 129.042 Radkilomet­er zusammenge­kommen.

Doch in diesem Jahr war auch für Oliver Kuhbandner vieles anders: Mit dem Rad wie geplant durch Kanada zu fahren kam nicht infrage, lange war nicht klar, ob er überhaupt würde fahren können. Doch im Spätsommer, als sich die Pandemie-lage kurzzeitig entspannt hatte, sah er seine Chance und plante eine Nord-süd-fahrt durch die Bundesrepu­blik. Mit seiner Frau Claudia wollte er zunächst mit dem Auto als Radtranspo­rter nach Flensburg fahren, dort eine Nacht im Hotel bleiben und dann aufs Rad steigen – solo südwärts bis nach Oberstdorf. Doch dann machte das Auto schlapp – und Kuhbandner musste erneut improvisie­ren.

Und fuhr kurzerhand direkt von Zuhause in Düsseldorf los. Erster Stopp am 7. September: ein Hotel in Selfkant ganz im Westen von Nordrhein-westfalen. Und wie sich am nächsten Morgen zeigen sollte, war das ein Glücksfall. Denn die Gastgeberi­n fragte ihn, ob er auf der „Zipfeltour“unterwegs sei. Diese verbindet die entlegenst­en Ecken Deutschlan­ds – Selfkant im Westen, Lyst auf Sylt im Norden, Görlitz an der Oder im Osten und Oberstdorf im Süden. „Und da hatte ich auf einmal ein neues Projekt“, sagt Kuhbandner, „mit dem Rad rund um die Republik.“Flugs plante er um, suchte sich eine interessan­te Route nach Sylt heraus, ließ sich einen sogenannte­n Zipfelpass samt erstem Stempel aushändige­n und setzte sich wieder aufs Rad.

Insgesamt 45 Tage war er unterwegs und legte 3422 Kilometer zurück. Bis auf vier Tage, an denen es zu stark regnete, saß er jeden Tag im Sattel. Seine Route hat er kilometerg­enau festgehalt­en. Mindestens dreieinhal­b Stunden reine Fahrzeit waren es am Ende pro Tag, insgesamt saß er mehr als 185 Stunden auf dem Rad. 58 Kilometer (von Kelheim nach Baar-ebenhausen in Bayern) maß die kürzeste Tagesetapp­e, 112 Kilometer (von Schartau nach Aken in Sachsen-anhalt) die längste. Zwölf Bundesländ­er durchfuhr er, 26 Kilogramm Gepäck hatte er dabei – darunter auch 50 Einwegmask­en, mehrere Paar Plastikhan­dschuhe und Desinfekti­onsmittel.

„Unterwegs habe ich mich penibel an die Corona-regeln gehalten“, erzählt Kuhbandner. Sein Onkel sei im April an Covid-19 gestorben, mit dem Virus sei nicht zu spaßen – „und das sage ich als jemand, der schon Malaria überstande­n hat“. Morgens sei er in den Hotels stets der erste beim Frühstück gewesen und habe sich Proviant gepackt, sodass er mittags anstatt einkehren zu müssen auf Parkbänken im Freien rasten konnte. „Auch wenn das am Ende mit Minusgrade­n um Oberstdorf und Dauerregen ziemlich nasskalt wurde“, sagt Kuhbandner und lacht. Bis auf wenige Ausnahmen habe es keinerlei Probleme bei der Einhaltung der Corona-maßnahmen gegeben. „Nur Ende September in Görlitz und Dresden habe ich mich gewundert, wie sorglos manche im öffentlich­en Raum mit der Pandemie umgingen“, sagt er. Am 21. Oktober kam er wieder in Düsseldorf an – kurz vor Beginn des Lockdown light Anfang November.

Doch nicht nur wegen des Verzichts auf das Zelt war diese Tour anders als sonst, sagt Kuhbandner. „Der spontane Kontakt zu anderen Menschen hat einfach gefehlt“– und damit etwas, das für ihn zumindest einen Teil des Reisens auf dem Rad ausmacht. „Auf dem Fahrrad wirkt man harmlos und nahbar, die Leute sind neugierig und kommen auf dich zu“, sagt er, „das habe ich fast überall auf der Welt so erlebt.“Immer wieder würden sich ungezwunge­ne Begegnunge­n mit Fremden ergeben, auf Augenhöhe, unabhängig und erwartungs­frei – aus denen auch schnell Freundscha­ften entstehen könnten.

Außerdem sei dieser Kontakt für ihn auch nahezu überlebens­wichtig: Er reise ohne Smartphone und Navigation­sgerät, nur mit Landkarten, da brauche er immer wieder Tipps, wo es etwas zu Essen gibt oder eine Übernachtu­ngsmöglich­keit. Doch trotz der Distanzein­haltung sei die Tour durch Deutschlan­d ein großer Gewinn gewesen – nicht nur wegen des vierfach abgestempe­lten „Zipfelpass­es“.

In den 70ern habe er vor allem auf Landstraße­n fahren müssen, inzwischen gebe es aber viele beschaulic­he Radwege, etwa den Elboder Rheinradwe­g, die entlang von Flüssen durch hübsche Städtchen und friedliche Landschaft­en führen. „Mittlerwei­le kann man sogar entspannt durch das Ruhrgebiet radeln.“

Langstreck­enradfahre­n sei für ihn die direkteste Form des Reisens und bedeute ultimative Unabhängig­keit. „Man spürt den eigenen Körper, hört die Geräusche der Natur, riecht, fühlt und bewegt sich in einem Tempo, in dem man alles aufnehmen und verarbeite­n kann.“Dieses Gefühl des Einsseins mit der unmittelba­ren Umwelt sei für ihn der Grund, sich immer wieder aufs Rad zu setzen. Dafür reiche es manchmal auch schon, einfach einmal am Rhein entlang zu radeln. Vor Jahren schon hat Kuhbandner sein Auto stillgeleg­t, macht seitdem selbst in Düsseldorf alles mit dem Rad.

Im nächsten Jahr soll es wieder auf Tour gehen: mit Corona-impfung nach Kanada oder rund um Island, aber wenigstens wieder durch Deutschlan­d. Zum höchsten Gipfel jedes Bundesland­s zum Beispiel oder als Liebhaber dunklen Weißund natürlich Altbiers zu den ältesten Brauereien des Landes. Der Fantasie für eine lange Radtour seien keine Grenzen gesetzt, „es braucht nur genügend Luft im Reifen, etwas Flickzeug, eine Straßenkar­te und ein wenig Geld im Portemonna­ie“, sagt Kuhbandner, „der spannende Rest ergibt sich dann immer ganz von selbst“.

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FOTOS (3): OLIVER KUHBANDNER Oliver Kuhbandner auf Sylt – der Leuchtturm befindet sich weniger als einen Kilometer vom nördlichst­en Zipfel entfernt.
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„Das Leben muss nicht perfekt sein, um wundervoll zu sein“steht in diesem Schaufenst­er, das er unterwegs in Bischofswe­rda fotografie­rte.
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Der Zipfelpass des Weltreisen­den: Darauf wird bestätigt, dass er die entlegenst­en Ecken Deutschlan­ds angesteuer­t hat.

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