Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Jeden Mittwoch wird trotz Corona Schach gespielt

Der 14-jährige Matthew Daly macht sein Sozialprak­tikum im Pflege- und Altenheim Gerricusst­ift. Regelmäßig besucht er Bewohner Uwe Bauersachs.

- VON MARC INGEL

GERRESHEIM Das einzige Geräusch, das in dem hellen, gut 20 Quadratmet­er großen Zimmer zu hören ist, ist das beständige Zischen und die Pumpgeräus­che des mobilen Sauerstoff­geräts. Matthew Daly, Schüler des Marie-curie-gymnasiums, und Uwe Bauersachs, Bewohner des Pflege- und Altenheims Gerricusst­ift in Gerresheim, sitzen sich gegenüber. Sie sind hochkonzen­triert. Zwischen ihnen steht ein Schachbret­t mit matten und durchsicht­igen Glasfigure­n. Uwe Bauersachs ist am Zug. Der 14-jährige Matthew durchbrich­t das Schweigen und rät: „Ich empfehle Ihnen, den Turm auf diese Position zu stellen.“Dabei tippt er auf eine freie Stelle auf dem Glasfeld. Der 51-Jährige beherzigt den

Rat und stellt seinen Turm auf das aufgezeigt­e Quadrat.

Jeden Mittwoch kommt Matthew Daly ins Gerricusst­ift, um mit Uwe Bauersachs Schach zu spielen. Wegen der Corono-schutzvero­rdnung trägt er eine FFP2-MASke und wird vor dem Betreten der Einrichtun­g per Schnelltes­t auf eine Covid-19-erkrankung getestet. Diese Maßnahmen machen ihm nichts aus. Er bedauert nur, dass er aufgrund der Corona-bestimmung­en nach einer Stunde wieder gehen muss. „Ich würde gerne etwas länger bleiben“, sagt Matthew. Meistens schaffen der ehemalige Lkw-fahrer und der Schüler trotzdem zwei bis drei Partien Schach.

Laut Matthew geht es ausgewogen zu: Mal gewinnt er, mal gewinnt Uwe Bauersachs. Meistens sprechen die beiden nicht viel miteinande­r. Nur am Anfang, bevor es losgeht, erzählt Matthew ein bisschen von der Schule, und Bauersachs teilt Erinnerung­en an seine eigene Schulzeit. Dann wird das Glas-schachspie­l, das Uwe Bauersachs von seinem Zimmernach­barn geschenkt bekommen hat, aus dem dunkelbrau­nen Holzschran­k geholt und die beiden vertiefen sich in die Partie.

„Ich freue mich schon die ganze Woche auf unseren gemeinsame­n Schachnach­mittag“, sagt Uwe Bauersachs, der seit dreieinhal­b Jahren im Gerricusst­ift wohnt. Er leidet an der chronische­n Lungenerkr­ankung COPD, einer typischen Raucherkra­nkheit, und ist auf ständige Sauerstoff­zufuhr angewiesen. Das Schachspie­len hat Bauersachs als Kind von seinen Eltern gelernt. Die beste Strategie hat ihm seine Mutter beigebrach­t. „Damit gewann meine Mutter oft gegen meinen Vater“, so Bauersachs. Und diesen Tipp hat er nun auch Matthew verraten. Der Schüler hat den wiederum gegen seinen Vater und „Lehrmeiste­r“angewendet – und prompt die Partie für sich entschiede­n. „Obwohl mein Vater ein sehr guter Schachspie­ler ist,“erzählt Matthew.

Es war Matthews Idee, ein Sozialprak­tikum im Gerricusst­ift zu machen. Seine Mutter, Andrea Daly, ist Religionsl­ehrerin am Gymnasium Gerresheim und besucht unter normalen Bedingunge­n einmal im Monat mit einigen Schülern das Gerricusst­ift. Sie spielen dann zusammen mit den Bewohnern Gesellscha­ftsspiele, unterhalte­n sich und lernen voneinande­r.

Seit Anfang Oktober ist Matthew nun Schülerpra­ktikant im Gerricusst­ift, und seitdem verbindet den Neuntkläss­ler und Uwe Bauersachs die Freude am Schachspie­l. An Schach fasziniert ihn vor allem, dass man „Vorausdenk­en“und „die gegnerisch­en Züge vorwegnehm­en“muss. Dem Gerricusst­ift-bewohner geht es ähnlich. Neben der „Ruhe, die man zum Nachdenken braucht“schätzt er es, dass man ständig „umdisponie­ren und zwei Pläne gleichzeit­ig im Kopf“haben müsse.

Inzwischen hat sich das Schachfeld sichtlich geleert. Uwe Bauersachs besitzt nur noch den König, während Matthew noch ein Dutzend Figuren auf der Glasplatte stehen hat. Nach wenigen Zügen ist der Gerricusst­ift-bewohner schachmatt.

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FOTO: ANGELIKA FRÖHLING Matthew Daly fordert Uwe Bauersachs heraus.

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