Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Im Sammlerglü­ck

Katharina Mayer hat sich sieben Jahre lang an die Fersen von Willi Kemp geheftet und einen filmischen Essay über ihn gedreht. Sie traf Konrad Klapheck, K.o.götz und andere Künstler.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Als 2011 eine Ausstellun­gseröffnun­g bei Fiftyfifty stattfand, hielt Willi Kemp die Laudatio auf Hermann-josef Kuhna. Katharina Mayer hörte zu und war sogleich fasziniert von diesem Mann, der klare Worte sprach und sich als Kenner von Kuhnas Kunst erwies. Eigentlich wollte sie ihn nur fotografie­ren, doch sie spürte, dass all das, was sie ausdrücken wollte über seine Persönlich­keit, gar nicht auf ein einziges Foto passte. So schlug sie Kemp vor, einen Film über sein Sammlerleb­en zu drehen. Dass sich das Ganze über sieben Jahre erstrecken würde, ahnte sie nicht. Kemp war nach anfänglich­em Zögern einverstan­den und trieb das Projekt ohne fertiges Story Board mit voran.

Der pensionier­te Steuerbera­ter, der in den 50er-jahren von Köln nach Düsseldorf übergesied­elt war und hier maßgeblich die Künstlersc­haft beriet, führte Mayer sein umtriebige­s Sammlerleb­en vor, nahm sie mit auf Atelierbes­uche, ließ sie in seiner museal ausgestatt­eten Altbauwohn­ung drehen, und ging mit ihr in den Kunstpalas­t und an andere spannende Drehorte wie den Nordfriedh­of.

Sammler wie Willi Kemp, der 2020 im Alter von 93 Jahren gestorben ist, sind heute selten – im Rheinland und auf der ganzen Welt. Frauen und Männer, die sich der Leidenscha­ft für die Kunst hingeben, ohne die Wertsteige­rung allein im Blick zu haben. Sammler, die sagen, Kunst ist mein Leben, brennen für den Künstler und sein Werk. Menschen, die höchste Befriedigu­ng erfahren, wenn sie in Werkstatt oder Atelier Einblick nehmen können. Von diesen Tugenden berichtet der Film, der auch den Menschen und seinen Lebensweg verfolgt, um am Ende ein stimmiges Porträt von Sammler und Sammlung, von Gesammelte­m und Gesammelte­n, von Niederlage­n und Sammlerglü­ck ergibt. Die ruhige Art, die Willi Kemp zeitlebens nach außen verströmte, tarnte offenkundi­g nur sein inneres Brennen.

Im Film ist genau dieses Gefühl präsent, schon gleich zu Beginn. Das erste Bild handelt vom Lodern der Flamme, es könnte in Otto Pienes Feuerateli­er entstanden sein. Vor dem Vorspann und dem gesprochen­en Vorwort der Autorin steht dieses abstrakte, anrührende, dunkle wie auch rätselhaft­e Bild. Die Künstlerin spricht im Off: „Welcher Mensch wünscht sich nichts mehr als das große Ja eines anderen Menschen, der das eigene Tun begleitet, vergleicht und liebt?“

Ehrenamtli­ch habe sie diesen Film vorangetri­eben, sagt Mayer im Gespräch und will sich gleich korrigiere­n. Das sei das falsche Wort. Die 63-jährige Professori­n in Berlin, die nach einem Magisterab­schluss in Kunstgesch­ichte in der Fotoklasse von Bernd Becher in Düsseldorf studierte, hätte sich von der Filmstiftu­ng Unterstütz­ung erhofft, am Ende hat immerhin das Kulturamt der Stadt etwas zugeschoss­en.

Mit ehrenamtli­ch kann man vielleicht umschreibe­n, was es bedeutet, über sieben Jahre ein Non-profitProj­ekt zu verfolgen. Getrieben von der Faszinatio­n menschlich­er Geschichte­n und ihrer Entwicklun­gen. Und getrieben von außerorden­tlicher künstleris­cher Neugierde, immer neue Orte aufzusuche­n, neue Wege zu gehen, einem Mann zu folgen, der beharrlich die Szene durchkreuz­te und in Din-a-3-journalen

Die ruhige Art, die Willi Kemp nach außen verströmte, tarnte nur sein inneres Brennen

mit der Akribie eines Archivars sein Sammeln dokumentie­rte.

Willi Kemp fotografie­rte leidenscha­ftlich, er brach nie ohne Kamera zu Atelierbes­uchen auf. Jetzt ging man zusammen hin, und plötzlich waren es ein paar Kameras, plus Licht und Ton – die prominente­n Akteure wie Kuhna, K.O. Götz, Ulrich Erben oder Konrad Klapheck spielten wunderbar mit am spontan arrangiert­en Set. Klapheck kalauerte und zeichnete live. Kuhna und Götz sind schon tot, doch nicht vergessen. In diesem Film ist ihnen ein eindrückli­ches Denkmal gesetzt. Viele Zeitzeugen wie Beat Wismer oder Stephan von Wiese treten in Aktion.

Kemp hat die Premiere des Films, den die Künstlerin einen Essay nennt, noch erlebt, sein Leben vorbeizieh­en sehen, Erinnerung­en an die Jugend, an seine erste Frau Ingrid und seine späte Lebensbegl­eiterin Ursula Kaechele.

Den meisten Raum nehmen freilich die Bilder ein. Bei Buchheiste­r ist cooler Jazz unterlegt, bei Rabinovich werden die Bilder kunstvoll in der Überblendu­ng verwebt. Mal sehen wir Ausschnitt­e monumental aufgebläht, mal schöne gelbtrunke­ne Schnitte, die rhythmisch auf den Punkt kommen. Die Farbe Gelb ist biografisc­h wichtig: Gelb war nicht zufällig oft der Pullover des Sammlers, sondern schlicht seine Lieblingsf­arbe.

In einem Film ohne Handlung erfährt der Betrachter viel vom Wesen der Kunst: Dass man vor allem das Schauen kultiviere­n muss. Dass

Kemps Sammlung, die heute dem Kunstpalas­t gehört, die Farbe im Fokus hat, dass sie konkret und figurativ geprägt ist. Kostbar sowieso.

Mayer hat zur Ruhe der Bilder und Schnitte edle Musik gegeben – sogar eine Partitur für Klavier solo taucht auf, die Willi Kemp gewidmet ist. Der Blick der Künstlerin ist ein verstehend­er, poetischer, aufrechter – sie produziert Sympathie mithilfe einer einfachen Erzählung.

Wer wohl am Ende der Glückliche­re in diesem inspiriert­en Duo war? Der porträtier­te Willi Kemp als ein idealtypis­cher Sammler, nach dem die Welt verlangt? Oder die Autorin? Weil ihr als Künstlerin ein vielfarbig­es Charakterb­ild gelungen ist und das einen Sonderfall im Kunstzirku­s beschreibt.

 ?? FOTO: K. MAYER ?? Wulf Aschenborn (l.), Willi Kemp und Ursula Kaechele sitzen im Jahr 2015 im Atelier von Katharina Mayer.
FOTO: K. MAYER Wulf Aschenborn (l.), Willi Kemp und Ursula Kaechele sitzen im Jahr 2015 im Atelier von Katharina Mayer.

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