Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
,, Ich habe rheinische Gelassenheit "
Wim Wenders, der „Düsseldorfer des Jahres“, erinnert sich nicht nur mit Freude an seine Heimat. Er ist auch überzeugt, dass sich in Krisenzeiten jeder gerne daran festhält, wo er herkommt.
BERLIN Mit großer Freude greift er zu der Auszeichnung, die pandemie-bedingt nicht überreicht wird, sondern in der Nrw-landesvertretung auf einem Tisch für ihn bereitsteht. Wim Wenders betrachtet den Löwen auf dem Kristallpreis und sagt: „Ich bin ja selbst Löwe“, fällt unmittelbar ins Rheinische: „jut jebrüllt!“Ein Gespräch über sein Düsseldorf-gefühl, die Heimat einer weltweiten Legende und Erfahrungen des Künstlers in der Pandemie.
Wieviel Düsseldorf haben Sie bei ihren Stationen in Deutschland, Europa und der Welt dabeigehabt? WENDERS Düsseldorf war und ist eine weltoffene Stadt, und davon habe ich eine große Portion mitbekommen. Ich wollte immer hinaus in die Welt, und weil auch der Rhein von weither kam und nach weither ging, kam mir das ganz natürlich vor, ebenfalls weit weg zu wollen. Und irgendwie hatte ich die „Düsseldorfer Schule“im Blut, sowohl die der Malerei aus dem 19. Jahrhundert, was ja vor allem Landschaftsmalerei war, als auch die fotografische, auch wenn ich das nie studiert oder die Bechers je kennengelernt habe.
Erkennen Sie bei der Selbstbeobachtung etwas, was sie als typisch für einen Rheinländer empfinden? WENDERS Eine rheinische Gelassenheit oder Lässigkeit. Und definitiv einen ausgeprägten Hang zum Optimismus. Pessimisten waren mir immer rätselhafte Gestalten.
Welchen Anteil an Ihrem Lebenswerk rechnen Sie den Genen, der Herkunft, der Erfahrung zu? WENDERS Jeweils 50 Prozent. Dann komme ich auf die 150 Prozent, mit denen jeder gute Rheinländer ausgestattet ist.
Campino sprach in der Laudatio zum „Düsseldorfer des Jahres“vom Heimatgefühl als „umgedrehtem Kompass“: Je weiter weg, desto besser. Was ist Heimat für Sie? WENDERS Das fand ich in Campis Rede einen ziemlich klugen Ausdruck. Das ist nämlich wirklich reziprok. Je mehr man weg wollte, und tatsächlich weg war, umso mehr kann man auch wertschätzen, wo man herkommt, und es lieben, wenn man zurückkommt. Einer, der nie „in der Welt“war, kann auch zur „Heimat“nur das denken und fühlen, was er seit eh und je da empfunden hat, oder noch empfindet. Das mag natürlich viel sein, und tief, aber es fehlt das Koordinatensystem aller anderen Aspekte der Welt. Als ich mal von Alexander vom Humboldt den Satz gelesen habe: „Die gefährlichste Weltanschauung ist die Anschauung der Leute, die die Welt nicht angeschaut haben,“war ich sehr einverstanden. Wenn man viel von der Welt gesehen hat, sieht man auch im wahren Sinne des Wortes „mehr“und hat ein größeres Gesichtsfeld. Und gerade das erlaubt einem die Entdeckung – oder Wiederentdeckung – der Heimat mit anderen Augen.
An welchen Orten war für Sie am meisten Heimat?
WENDERS Immer da, wo ich hingehörte, wo ich wusste: Da bin ich aus gutem Grund, da bin ich bei mir. Das war dann letzten Endes auch immer in der deutschen Sprache, die kann man ja überall hin mitnehmen. Erst als ich nach sieben Jahren Amerika gemerkt habe, dass ich anfange, auf Englisch zu denken, sogar zu träumen, und in meine Sprache immer mehr amerikanische Floskeln einflossen, da habe ich gemerkt: Ich muss zurück. Eines darfst du nie verlieren: deine eigene Sprache.
Und heute?
WENDERS Ich bin froh, in Deutschland zu leben. Ich hab Heimweh nach vielen Orten auf der Welt, von Tokio bis nach San Franzisco oder der australischen Wüste, und komme, so Gott will, auch noch mal an den einen oder anderen Sehnsuchtsort zurück, aber ich lebe jetzt da, wo ich hingehöre.
Brauchen die Menschen in der Globalisierung mehr Heimat? WENDERS Unbedingt! Je präsenter „die Welt“wird und ihr unmittelbarer Einfluss auf jeden Einzelnen, umso wichtiger wird für diesen Einzelnen seine Herkunft. Früher war's einfach, da war die Welt „da draußen“, und man war selbst „bei sich drinnen“. Jetzt ist uns die Welt schwer auf die Pelle gerückt und ist überall da, auch „bei uns“. Deswegen kommt sie vielen Menschen „bedrohlich“vor, eben weil sie schnell unspezifisch, unüberschaubar und gewaltig erscheint. Da hält man sich desto lieber an dem fest, was man kennt und was spezifisch ist, also erst mal an dem unmittelbaren Ort, an dem man aufgewachsen ist. Das ist voll verständlich und menschlich. Aber schon dann nicht mehr zukunftstauglich – und war es nie –, wenn es heißt, anderes und andere auszuschließen, womöglich mit Gewalt. „Ausschließen“ist eine Haltung, die dem Ausschließenden selber auf die Dauer am meisten schadet. Wir Rheinländer haben das nie getan, und das hat uns so weltoffen und liebenswert gemacht.
Wie haben Sie die Pandemie bisher erlebt, fühlten Sie sich eingeschränkt und eingesperrt? WENDERS Meine Frau und ich, wir haben versucht, diese Zurückgeworfenheit auf uns selbst, diese Abstinenz von
Reisen, dieses Fehlen von Kontakten und so weiter auch als eine Chance zu verstehen, Dinge zu hinterfragen. Wie haben wir bis jetzt gelebt? Wie wollen wir in Zukunft leben?
Muss ich jeden zweiten Tag zu einem Flughafen und durch Hunderte von Metern Duty-free-shops hecheln? Können wir nach so viel unstetem Leben, wie es das Filmgeschäft mit sich bringt, auch wieder Stetigkeit genießen? Und ganz ehrlich: Wir haben von den Einschränkungen viel gelernt. Gut, nun haben wir auch keine Kinder und haben deshalb gut reden. Andere hatten es tausendmal schwerer. Aber auch meine Filmproduktion und unsere Stiftung waren von der Pandemie existenziell bedroht, und wir haben unser Bestes tun müssen, Arbeitsplätze zu erhalten. Hinter allem aber die lehrreiche Erfahrung, dass weni
ger mehr sein kann.
Die Impfreihenfolge geht nach Alter und Systemrelevanz. Wie relevant ist die Kultur?
WENDERS Wie immer bei politischen Entscheidungen muss die Kultur sich hinten anstellen. Wenn's um nichts geht, nimmt die Politik immer den Mund voll, wie wichtig doch Kultur für unsere Gesellschaft ist, für unsere Zivilisation, für unser Gemeinschaftsgefühl. Und kaum kommt mal ein Ernstfall, ist das schnell vergessen. Dann stehen die Kulturschaffenden hinten in der Schlange. Leider auch, weil sie keine gute Interessenvertretung haben, denke ich. Das liegt vielleicht in der Natur der Sache, aber gerade deswegen muss man das für den nächsten Ernstfall anders regeln.
Wie kann, wie sollte der Film die Corona-erlebnisse der Menschen aufarbeiten?
WENDERS Der Film hat da durchaus eine wichtige Aufgabe. Wenn es „wieder weitergeht“, haben wir trotzdem alle diese Pandemie-erfahrungen gespeichert. Am meisten die Kinder und Jugendlichen, die auch am schlimmsten drunter leiden. Wie es dann weitergeht, und wie man entweder zurückfällt in „alte Fehler“und „business as usual“durchzieht, oder wie lernfähig die Menschheit durch solch eine globale Erfahrung ist, das ist ein Bereich, in dem Filme viel bewirken können.
Die Kultur hatte Hygienekonzepte für Museen, Kinos und Konzerte mit Slots, Lüftung, Maske und Abstand entwickelt. War die Schließung gerechtfertigt?
WENDERS Kaum gibt es Ausnahmen, streitet man sich, dann wollen auch andere Ausnahmen haben. Es ist deswegen ein Jammer, dass man die klugen Hygienekonzepte für Kulturveranstaltungen diesem „Ich auch!“-dilemma geopfert hat.
Was sollte die Welt aus dieser Pandemie für die nächste lernen? WENDERS In so einem weltumspannenden Event solidarisch handeln, nicht jeder gegen jeden. Die Weltgesundheitsorganisation stärken. Die Wahrheit sagen, von Anfang an.