Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Serbien verspielt seinen Kredit
Die Langmut der Europäischen Union gegenüber dem autoritären Präsidenten Aleksandar Vucic ist erschöpft.
BELGRAD Die Krik-berichte über Korruption und auffällige Bande der Regierungspartei SNS mit der organisierten Kriminalität sind Belgrad schon lange ein Dorn im Auge. Mit den „verbreiteten Lügen“wollten die Krik-journalisten nur ihren „eigenen Reichtum“verdecken, warf Sns-fraktionschef Aleksandar Martinovic ihnen im Parlament vor und sprach gar von Geldwäsche. Neu sind von der SNS inszenierte Kampagnen gegen als „Auslandssöldner“oder „Verräter“verunglimpfte Journalisten, Bürgerrechtler oder Oppositionelle bei dem von Präsident Aleksandar Vucic mit eiserner Hand geführten Eu-anwärter nicht. Auffällig ist aber, dass die Langmut der Eu-partner gegenüber Vucic zunehmend erschöpft scheint.
„Vucic liefert“, war nach dem Machtwechsel von 2012 lange das geflügelte Diplomatenwort in Belgrad. Doch das Versprechen des vom Westen erhofften Ausgleichs mit dem Kosovo hat der von EU-POlitikern lange als „Reformator“gepriesene SNS-CHEF bis heute nicht wahrgemacht. Stattdessen scheint sich der frühere Informationsminister beim Umbau seines Landes in einen autoritären Einparteienstaat vor allem am Vorbild Chinas, Russlands oder Ungarns statt an den europäischen Werten zu orientieren.
Erstmals seit Beginn von Serbiens Beitrittsverhandlungen 2014 hat Brüssel im vergangenen Jahr wegen ausbleibender Fortschritte kein neues Verhandlungskapitel eröffnet. Ungewohnt scharf benennt auch der am Donnerstag debattierte Serbien-bericht des Europaparlaments die Missstände beim Beitrittskandidaten. Ein miserableres Zeugnis ist kaum möglich: 22 Seiten stark ist das Dokument, das von Belgrad als schallende Ohrfeige empfunden werden muss. Auffällig genug ist nicht nur von ausbleibenden Fortschritten, sondern selbst von „signifikanten“Rückschritten die Rede. Offen geißelt der Bericht „Druck auf die Wähler“, „staatlich gesponserte Desinformationskampagnen“, die Knebelung der Pressefreiheit, die zunehmende Zahl von Eilverordnungen, den wachsenden Einfluss Chinas, die Unterstützung der russischen Annektion der Krim sowie die „Verbreitung von Hassreden“– auch gegen Europaabgeordnete.
Das Europaparlament sieht Nachholbedarf bei öffentlichen Ausschreibungen, dem nachlässigen Kampf gegen Korruption und das
Organisierte Verbrechen sowie der Unabhängigkeit von Aufsichtsorganen. Gleichzeitig fordert die Berichtsvorlage die Klärung mehrerer Skandale, in die Sns-politiker verwickelt sind – wie den illegalen Abriss einer Belgrader Straßenzeile durch einen maskierten Bautrupp ohne Einschreiten der Polizei; den Waffenhandelskandal bei der staatlichen Rüstungsschmiede Krusik; den Versuch, mithilfe der Telekom lästigen Tv-kabelsendern das Wasser abzugraben; oder die Sns-kontakten des Besitzers einer aufgeflogenen Marihuana-plantage. Das Portal Nova.rs sieht für Vucic gar das „Ende der Flitterwochen mit der EU“herandämmern: „Die Zeit der Toleranz ist beendet.“