Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die letzte Stunde
Was ist kurz vor Beginn der Ausgangssperre am Hauptbahnhof los? Ein Rundgang.
ist nah. Düsseldorf diskutiert die Hotelschwemme kritisch, man will keine Investitionsruinen, aber hier am Hauptbahnhof ist der Entwickler schon so weit, da hilft nur der Siegeszug des Impfens, das Ende dieses Pandemie-albtraums und das Aufleben eines Gestern, das ein neues Morgen beschert. Moner erzählt von den Messen, den Festen, den Touristen. Das muss doch alles wieder losgehen, das ist doch das Leben. Noch eine Viertelstunde, dann ist Ausgangssperre. Das Blau am Ende der Friedrich-ebert-straße ist blasser geworden, die Nacht deckt Düsseldorf langsam zu.
Auch jetzt in Corona-zeiten fahren alle Züge, versichern die beiden netten Herrn in der gläsernen Informationsbox des Hauptbahnhofs. Einige Menschen arbeiteten ja noch in der Stadt und müssten irgendwie den Nachhauseweg bewältigen. Sie selbst zählten auch dazu. Gleich neben ihrem Schalter lockt ein Stand mit frischem Spargel aus Moers, aber der ist um diese Zeit natürlich zu. Wenn es an diesem Abend so etwas wie Andrang gibt, dann ist es da, wo es mitten in der Halle etwas dezent Fettiges auf die Hand gibt. Beim Frittenwerk bezahlt gerade einer sein Schälchen, zwei weitere Hungrige bilden so etwas wie eine rudimentäre Schlange. Einzelne Menschen laufen nebenan die Treppen zum Bahnsteig hinauf, wo links und rechts Regionalexpresse stehen. Beide fahren Richtung Dortmund, in jedem Waggon sitzen ein bis zwei Fahrgäste. Ein Zug hätte auch gereicht.
Um kurz vor 22 Uhr leert sich auch der Worringer Platz. Einige der Drogensüchtigen und Obdachlosen gehen in Richtung Bahnhof, manche versorgen sich im Happy Shop, der eine 24-Stunden-öffnung verspricht. Das hat schräg gegenüber an der Ecke auch „My Kiosk & Bakery“lange getan, aber das lohnt sich nicht mehr, sagt Orhan Kara, dessen Schwester seit mehr als 20 Jahren das Geschäft betreibt. Der gut bestückte Shop hat vom Capitol und vor allem vom nahen Busbahnhof gut gelebt. Belegte Brötchen, Getränke, Süßigkeiten, das ganze Programm. „Das Geschäft ist am A....“, sagt Kara, es sei nichts mehr los und die Leute hätten kein Geld mehr. Oft verschenkt er die belegten Brötchen an die Obdachlosen.
Schräg gegenüber schimpft Göcmen Nurullah über die Ungerechtigkeiten der Corona-krise. Sein Restaurant Sayrar ist seit 1979 eine Institution an der Worringer Straße. Um kurz nach 21 Uhr war der Laden noch voll, es ist Ramadan bis Mitte nächster Woche, die Menschen holen sich das Essen für das Fastenbrechen.
Sonst ist das Sayrar rund um die Uhr geöffnet, bis 2 Uhr war regelmäßig Hochbetrieb, jetzt ist um 22 Uhr Schluss. 30 Menschen hat das Restaurant Arbeit gegeben, fünf bis sechs sind übrig geblieben. Voriges Jahr habe er noch 60.000 Euro Umsatzsteuer gezahlt, sagt Murullah und breitet klagend die Arme aus, dieses Jahr noch keinen Cent.
Sein Vermieter habe nicht einen Euro Miete nachgelassen und ihm gesagt, er solle sich bei Mama Merkel beschweren. Da müsse er ihm sogar Recht geben, sagt der Geschäftsmann, der Vermieter könne nichts für die Flaute. Der Gastronom wettert über volle Aldi- und Lidl-läden, seine 130 Plätze im Restaurant müssten dagegen seit sieben Monaten leer bleiben. Das sei nicht zu verstehen, die unterschiedliche Behandlung der Branchen durch die Regierung sei ungerecht. Und jetzt
Inoch die Ausgangssperre, in seinen Augen ist sie ein Unding und würgt das Geschäft weiter ab. „Bis 22 Uhr ist Corona kein Problem und dann doch?“, fragt er rhetorisch.
Um 22.10 Uhr kommen noch zwei Kunden in Uniform. Die Polizisten haben Appetit auf einen Döner, den sie natürlich erhalten. Dann ist aber wirklich Schluss. Ausgangssperre. Moslem Moner dürfte auch schon zu Hause sein. Eine letzte Tour hat er mit seinem Taxi noch gemacht. Vom Hauptbahnhof bis zur Jahnstraße, acht Euro. Man kann nicht allzu viel erwarten.
„Mein Vermieter hat mir keinen Cent nachgelassen und gesagt, ich soll mich bei Mama Merkel beschweren“Göcmen Nurullah Gastronom