Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die Falkenflüsterin
Im größten der sieben Arabischen Emirate sind von 1,6 Millionen Einwohnern 80 Prozent Ausländer. Dazu zählt auch die deutsche Tierärztin Margit Müller, die das „ Abu Dhabi Falcon Hospital“leitet.
Mit geübtem Griff stülpt Margit Müller dem Falken die Maske über den Kopf, um das Narkosegas zuzuführen. Das Flügelschlagen endet abrupt. Nach zwei, drei Zuckungen liegt der edle Vogel entspannt auf dem Op-tisch. „Die Falkner nennen mich Doctora“, sagt die 52-jährige Veterinärin mit den dunklen Locken, „und sie vertrauen mir.“Selbstbewusstsein spricht aus ihrer Stimme. Die Chefärztin ist sichtlich stolz: „Das war nicht immer so!“
Seit 2001 leitet Müller das „Abu Dhabi Falcon Hospital“. Anfangs habe sie mit vielen Vorurteilen einer männerdominierten Belegschaft zu kämpfen gehabt. Illoyale Angestellte hatten die Klinik heruntergewirtschaftet, die Organisation war schlampig, es mangelte an Hygiene, erinnert sich die Tierärztin aus Deutschland. Damit sollte Schluss sein. Müller wurde überraschend für die Mitarbeiter zur Managerin und Chefärztin berufen.
Heute überlassen die Beduinen die gefiederten Lieblinge der Doctura ohne Wenn und Aber: „Inzwischen ist das so, dass viele Emiratis keinen anderen den Falken anfassen lassen außer mir. Und wenn ich mal in einem Meeting bin, dann warten sie, bis ich wieder da bin!“
Im Behandlungssaal hat der gefiederte Patient Probleme mit den Krallen. Die sind eindeutig zu lang, diagnostiziert Dr. Müller im Kittel und mit Mundschutz. „Da muss was ab, denn übermäßig lange Krallen können zu Fehlstellungen der Füße führen und die wiederum auf Dauer zu Schmerzen für den Greifvogel.“Müller greift zum Operationsbesteck, das alles andere als Hightech ist: ein Teppichmesser und eine kleine Schleifmaschine aus dem Baumarkt.
Nach knapp zehn Minuten ist alles erledigt. Die Narkose verliert ihre Wirkung, als Müller die Maske entfernt, schüttelt der Falke etwas irritiert den Kopf und plustert die Federn auf. Zur Belohnung gibt es noch ein Leckerchen aus der eigenen Zuchtstation. Müller führt durch das Hospital, spricht mit den Angestellten. Sie redet schnell, energisch und freundlich, aus jeder Faser des Körpers spricht die Begeisterung für ihre Arbeit und „ihre“Falken. „Jedes Jahr behandeln wir im Falkenhospital über 11.000 Falken“.
Margit Müller wurde in Weißenhorn nahe Ulm geboren. Nach dem Studium in Deutschland und Frankreich in den 1990er-jahren schrieb die Veterinärin ihre Promotion in München über Fußerkrankungen bei Falken, für den praktischen Teil der Doktorarbeit ging sie nach Dubai. Dort stieß ihr Werk auf große Beachtung. Am Ende gab es das Angebot, die Falkenklinik in Abu Dhabi auf-, vor allem aber umzubauen.
Die meisten Falken kämen aber für „Routine Check-ups, weil sie nicht gut fressen und Infektionen haben“. Denn Falken infizieren sich relativ häufig, berichtet Müller. Wenn sie ein Beutetier jagen, „dann meist die schwächste Ente, und die ist meistens eine erkrankte“. Daneben werden vor allem gebrochene Beine oder abgeknickte Federn und Fleischwunden behandelt. Ausgestattet ist die Klinik mit allem, „was auch ein Krankenhaus für Menschen bietet“. Müller zeigt beim Rundgang die verschiedenen Stationen: Operationssaal, Quarantänebereich für infektiöse Krankheiten, Labor, Röntgen- und Intensivstation.
Die Gerätschaften stammen vor allem aus der Kinderheilkunde, sagt Müller, „denn von der Größe passt das auch unseren Falken. Wir haben Inkubatoren für frühgeborene Babys, die wir auf der Intensivstation verwenden.“Und wieder ist es diese Mischung aus Begeisterung und Stolz, die aus ihrer Stimme spricht. „Wenn eine Blutprobe von einem Falken genommen wird, dann haben wir in einer halben Stunde das Ergebnis. Das ist schneller, als wenn Sie zu Ihrem Doktor gehen!“
In ihrem Büro tauscht Dr. Müller ihren blauen Kittel gegen einen weißen. Überall hängen Bilder, die meisten zeigen sie mit Würdenträgern Abu Dhabis. Eines fällt sofort ins Auge: Müller bekommt eine Auszeichnung von Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan überreicht, einem begeisterten Falkner und Bruder des Emirs von Abu Dhabi.
Tradition und Moderne lägen in dem Emirat dicht beieinander, sagt Müller: eines der größten Sonnenkraftwerke der Welt, Louvre, Ferrari World und gleichzeitig eine patriarchalische konstitutionelle Monarchie ohne Gewerkschaften, ohne Opposition und ohne Parteien – eines der reichsten Länder der Welt. Das durchschnittliche Pro-kopf-eeinkommen der Emiratis liegt bei etwa 6000 Us-dollar monatlich. Die Masse der ausländischen Arbeitskräfte sind nicht gutbezahlte Expats aus Europa, sondern kommt aus Indien, Bangladesch, Nepal und Pakistan und verdient zwischen 300 und 600 Euro.
Ist das nicht ein Missverhältnis, fragen wir die Chefärztin, zumal eine Falkenbehandlung so viel kosten kann wie ein Monatslohn dieser Menschen? „Interessante Frage“, entgegnet Müller, „die Leute, die bei uns putzen, verdienen etwa 200 Euro. In ihren Heimatländern leben die meisten von weniger als zwei bis fünf Dollar pro Monat. Sogar der kleinste Angestellte bei uns besitzt bei sich zu Hause ein großes Haus, unterhält eine Familie von mindestens 20 Familienangehörigen. In ihren Ländern sind diese Leute reich.“
Noch immer ist die Falknerei fest in Männerhand, zum Leidwesen der Chefärtzin: „Früher dachten die Beduinen, der große Falke muss das männliche Tier sein und haben ihm männliche Namen gegeben“, sagt Müller. Erst durch die moderne Medizin kam heraus, dass die großen Falken tatsächlich Weibchen sind und ein Drittel größer als die Männchen – eine absolute Ausnahme im Tierreich.
Seit 2007 können auch Touristen die Klinik besuchen. Ein kleines Museum sei ihre Herzensangelegenheit gewesen, sagt Müller. „Mit dem Besuchsprogramm wollen wir einen interkulturellen Aufklärungsbeitrag leisten.“Die Menschen sollen verstehen, warum die Falken in den Golfstaaten so wichtig sind. Der Erfolg gibt ihr Recht, denn dass das Falkenhospital gehört heute zu den Attraktionen in Abu Dhabi.