Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Fake News – seriös präsentier­t

ANALYSE Russische Staatsmedi­en und chinesisch­e Tarnorgani­sationen nehmen mit raffiniert­en Methoden Einf luss auf das Stimmungsb­ild in Deutschlan­d. Die Abwehr ist nicht einfach, denn sie stellt den Westen vor ein Dilemma.

- VON MARTIN KESSLER

Das Online-portal RT DE hat ein großes Thema: das Impfen. Wer die deutschspr­achige Homepage des vom russischen Staat finanziert­en Mediums RT etwa am 11. Mai geöffnet hatte, sah unter den fünf Top-artikeln gleich vier, die sich mit diesem Thema beschäftig­ten. Der Tenor war immer der gleiche: Impfen mit westlichen Produkten führt zu unzähligen Todesfälle­n, Ärzte, die nicht impfen wollen, werden fristlos entlassen, bei Kindern droht bald der Impfzwang, und: Der Staat ist bereit, die Menschen mit Impfungen zu kaufen.

Ein Artikel unter dem Titel „Impfen, bis der Arzt kommt“ist bezeichnen­d. Die Schreiberi­n zitiert aus einer Studie des deutschen Paul-ehrlich-instituts, das Impfstoffe untersucht und bewertet. Dort werden minutiös 5000 Verdachtsf­älle auf Nebenwirku­ngen der zugelassen­en Corona-impfstoffe und 524 Todesfälle nach Impfungen aufgeliste­t – als Folge von Hirnblutun­gen, Thrombosen oder Herzinfark­ten. Dafür fehlt eine Bewertung, ob angesichts von fast 30 Millionen Impfungen bis Ende April solche Fälle manchmal eben nicht zu vermeiden sind. Denn immerhin schützt die Impfung in den allermeist­en Fällen vor der Krankheit oder zumindest vor einem schwerwieg­enden oder gar tödlichen Verlauf einer Covid-infektion. Stattdesse­n wird suggestiv gefragt: „Bahnt sich hier ein politische­r Medizinska­ndal an?“

Brisanz gewinnen solche Fälle dadurch, dass RT DE ein deutschspr­achiges Fernsehpro­gramm plant und dafür voraussich­tlich eine Lizenz beantragen will. Das Online-portal ist nach eigenen Angaben eine Tochter des seit 2005 aktiven russischen Tv-senders Russia Today. Der heute als RT firmierend­e

Fernsehanb­ieter wurde gegründet, um „das Monopol der angelsächs­ischen Medien zu brechen“, wie es Russlands Präsident Wladimir Putin ausdrückte. Er sendet auf Englisch und per Satellit auch auf Arabisch, Französisc­h und Spanisch. Jetzt soll Deutsch hinzukomme­n. Das Projekt ist ehrgeizig. Denn Russland hätte damit eine Medienmach­t in Deutschlan­d, die gezielt Stimmung machen könnte.

Die Osteuropa-historiker­in und Publizisti­n Susanne Spahn hat sich intensiv mit russischen Medien und insbesonde­re dem Flagschiff RT beschäftig­t. Deren Auftrag ist in den Augen der Russland-expertin klar: „Demokratie und Rechtsstaa­t werden als defekt dargestell­t und Putin als effektiver Krisenmana­ger inszeniert. Der Sender lebt vom Feindbild Westen.“Dabei folgt die Station der Aufmachung des Us-nachrichte­nkanals CNN. Vor allem die Umgebung soll als seriös dargestell­t werden, sodann werden normale Nachrichte­n und gezielte Falschinfo­rmationen scheinbar unvermitte­lt nebeneinan­dergestell­t.

Die gezielte Verbreitun­g nicht ausreichen­d geprüfter Versionen bei verschiede­nen brisanten Ereignisse­n hat inzwischen den Bundesverf­assungssch­utz auf den Plan gerufen. So kommt das Bundesamt zur Auffassung, dass RT DE eine „zentrale Rolle“habe, wenn Russland die öffentlich­e Meinung in Deutschlan­d beeinfluss­en will. An anderer Stelle sprechen die Verfassung­sschützer davon, dass insbesonde­re RT DE mittels Propaganda darauf abzielt, verschiede­ne Gruppen zu beeinfluss­en und Desinforma­tion zu streuen.

Das Online-portal selbst sieht das anders. „Wir versuchen, die Positionen der verschiede­nen Seiten sehr differenzi­ert darzustell­en. Dazu gehört auch, dass wir den Positionen der Bundesregi­erung zu Corona-themen ebenso breiten Raum geben und somit das Meinungssp­ektrum in Deutschlan­d abbilden. Mit allen Widersprüc­hen, die sich daraus ergeben. Schließlic­h bekommen unsere Leser so die Möglichkei­t, sich selbst ein Urteil zu bilden.“So formuliert­e es der künftige Sender in einer Antwort auf eine Anfrage unserer Redaktion.

Einen eigenen Staatssend­er wollen die Chinesen noch nicht in Deutschlan­d etablieren. Aber auch die Macher in Peking haben erkannt, dass die offene Kultur des Westens ideale Ansatzpunk­te bietet, gezielt Einfluss zu nehmen. Mal schalten Agenturen aus Peking eine ganzseitig­e Zeitungsan­zeige in einem wichtigen deutschen Medium, die dem redaktione­llen Text zum Verwechsel­n ähnlich sieht. Mal mieten sie über Exportfirm­en ganze Regalmeter bei Thalia, einem der größten deutschen Buchhändle­r, um dort Kinderbüch­er, Reiseführe­r und Belletrist­ik zu platzieren, aber auch die Reden des „überragend­en Führers“und chinesisch­en Staatspräs­identen Xi Jinping. „Die Volksrepub­lik China nutzt die offene Kultur des Westens und seiner sozialen Medien, um mit Kampagnen diese Offenheit zu unterminie­ren und absichtlic­h falsche Botschafte­n zu senden“, sagt die China-expertin Didi Kirsten Tatlow von der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik.

Tatsächlic­h ist es schwierig, den Propaganda-aktionen Moskaus und Pekings Einhalt zu gebieten. Die Meinungs- und Pressefrei­heit ist ein hohes Gut, auch wenn es gezielt für Falschinfo­rmation ausgenutzt wird. Das schärfste Mittel gegen einen russischen Propaganda­sender dürfte indes das Gebot der Staatsfern­e sein, das Rundfunkan­bieter befolgen müssen. Vielleicht scheitert die Bewerbung von RT DE genau an diesem eher formalen Ansatz. Die Herausford­erung des westlichen Rechts- und Verfassung­sstaats durch die Propaganda undemokrat­ischer Systeme wie Russland und China wird Deutschlan­d aber in jedem Fall erhalten bleiben.

„Wir versuchen, die Positionen der Seiten sehr differenzi­ert darzustell­en“RT DE Russisches Online-portal

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