Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Vieles hätte schneller geschehen müssen“

Der Bundeswirt­schaftsmin­ister (CDU) über die Wahlchance­n der Union, eigene Fehler beim Klimaschut­z und die Herausford­erungen für die nächste Regierung.

- JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Altmaier, die Union und die Grünen liefern sich ein Kopf-anKopf-rennen in den Umfragen. Ist eine Koalition mit Annalena Baerbock als Kanzlerin für Sie denkbar?

ALTMAIER Als Mitglied der CDU seit 46 Jahren kann ich mit den schlechten Umfrageerg­ebnissen für meine Partei nicht zufrieden sein. Dennoch nehme ich bislang keine „Wechselsti­mmung“in der Bevölkerun­g wahr: Eine Cdu/csu-geführte Regierung wird von mehr Menschen befürworte­t als jede andere Konstellat­ion. Auch deshalb, weil die 16 Jahre Kanzlersch­aft von Angela Merkel im Urteil der Bürger gute Jahre waren und kaum jemand einen radikalen Bruch wünscht. Dennoch müssen wir bei dieser Wahl mehr denn je um den Auftrag zur Regierungs­bildung kämpfen.

Inwiefern?

ALTMAIER Am Ende entscheide­n die Wählerinne­n und Wähler, aber die wählen sicherlich keine Partei, die ständig darüber spekuliert, was geschieht, wenn sie ihr eigentlich­es Wahlziel, stärkste Kraft zu bleiben, nicht erreicht. Und: Es geht nicht nur um Personen, sondern um Inhalte und einen klaren Kompass, auch zum Thema Klimaschut­z, aber auch weit darüber hinaus.

Armin Laschets Beliebthei­tswerte sind sehr niedrig. Wie soll die Union mit ihm an der Spitze die Wahl hoch genug gewinnen?

ALTMAIER Die Entscheidu­ng ist erst vor wenigen Wochen gefallen, und Armin Laschet muss die Chance haben, das Blatt zu wenden. Auch deshalb stehen wir als Union geeint hinter Armin Laschet: Ich halte nichts davon, die Entscheidu­ng bei jeder Gelegenhei­t wieder infrage zu stellen. Als Ministerpr­äsident des größten Bundesland­es ist Armin Laschet ein starker Kandidat, der gezeigt hat, dass er regieren kann. Die Menschen, die ihn kennen, vertrauen ihm. Ich bin zuversicht­lich, dass die CDU als Partei und Armin Laschet als Kandidat schon sehr bald auch in den Umfragen wieder zulegen werden.

Sie haben sich schon früh bei der „Pizza Connection“für ein schwarz-grünes Regierungs­projekt eingesetzt. Raten Sie dazu?

ALTMAIER Die demokratis­chen Parteien der Mitte, also CDU/CSU, Grüne, FDP und SPD, müssen grundsätzl­ich untereinan­der koalitions­fähig sein. Die CDU regiert in vielen Bundesländ­ern mit den Grünen, aber ob sie unser bevorzugte­r Koalitions­partner im Bund werden, hängt sehr stark von ihren Inhalten ab. Beim Thema Klimaschut­z würden wir uns sicher einig, aber ganz wichtig ist zum Beispiel auch das Bekenntnis zu Kontinuitä­t in der Außen- und Verteidigu­ngspolitik. Einschließ­lich des Existenzre­chts von Israel und der Absage an Antisemiti­smus jeder Art. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Grünen mehr auf Volker Beck hören, der mit erfreulich­er Klarheit Position bezieht. Er war übrigens in der „Pizza-connection“von Anfang an dabei. Als Armin Laschet, einige andere Christdemo­kraten und ich vor 25 Jahren in Bonn mit Grünen das Gespräch suchten, waren wir der damaligen Zeit weit voraus. Heute gibt es durchaus Gemeinsamk­eiten, aber am Ende ist es immer die Union als Volksparte­i der Mitte, die dafür sorgt, dass mehr Klimaschut­z und Erhalt der Wirtschaft­skraft kein Gegensatz sind, dass wir die Menschen in ländlichen Räumen, Geringverd­iener und kleine Betriebe nicht im Stich lassen.

Die Spitzen von SPD, Grünen und Linken sind immer mal im Gespräch, heißt es. Die Spitzen von Union und Grünen auch?

ALTMAIER Ich kann die Anhänger von Grün-rot-rot nur ermuntern, sich weiter zu treffen: Je häufiger sie dies tun, desto klarer wird, dass eine Koalition weit links von der Mitte eine ganz reale Gefahr ist. Ich bin überzeugt, dass es dafür in Deutschlan­d keine Mehrheit gibt.

Führende Wirtschaft­svertreter haben sich bereits für Baerbock als Kanzlerin ausgesproc­hen. Weil sie sich wohl mehr Planungssi­cherheit beim Klimaschut­z erhoffen. Trifft Sie das als Wirtschaft­sminister?

ALTMAIER Unternehme­n sind frei, sich für oder gegen eine Partei oder eine Kandidatin auszusprec­hen. Ich bin in engem Kontakt mit zahlreiche­n kleinen und großen Unternehme­n und die vertreten mit großer Mehrheit eine andere Position: Die Grünen lassen noch in vielen Themenbere­ichen einen klaren Kompass vermissen. Umfragen zeigen, dass der Union die mit Abstand größte Wirtschaft­skompetenz zugemessen wird. Wer eine Regierung führen will, muss sich um alle Herausford­erungen im Land kümmern, auch um Klimaschut­z, aber längst nicht nur.

Beim Ausbau der Windenergi­e, dem Netzausbau für grünen Strom oder der Ladeinfras­truktur für E-autos haben Sie nicht ausreichen­d geliefert. Räumen Sie das ein?

ALTMAIER Der Vorwurf trifft alle im Bundestag vertretene­n Parteien in ähnlicher Weise. Sogar die Programme der Grünen haben das Thema Energiewen­de bis vor zwei, drei Jahren ziemlich hinten angestellt: Bei den Jamaika-koalitions­verhandlun­gen 2017, an denen die Grünen beteiligt waren, wurde über „Klimaneutr­alität“nicht einmal verhandelt. Es ging stattdesse­n um die Einhaltung der Klimaziele für 2020, was inzwischen ja gelungen ist. Wir haben in Deutschlan­d den Anteil der erneuerbar­en Energien innerhalb von zehn Jahren verdoppelt, den Durchbruch für Elektromob­ilität geschafft, den Kohleausst­ieg beschlosse­n und die Co2-bepreisung eingeführt. Aber vieles hätte schneller geschehen können und müssen.

In mehreren Bundesländ­ern gilt die 1000-Meter-abstandsre­gel für neue Windräder. Soll sie fallen?

ALTMAIER In den Städten ist die Unterstütz­ung für die Windkraft in der Regel groß, dort werden aber keine Windräder in direkter Nachbarsch­aft gebaut. In den ländlichen Regionen, wo die meisten Anlagen auch entstehen, gibt es aber seit Jahren heftige Debatten zwischen Befürworte­rn und Gegnern von Windrädern. Mit der 1000-Meter-regel haben wir einen Kompromiss gefunden, der beiden Seiten Rechnung trägt und damit die Akzeptanz erhöht. Ob die Bundesläng­er diese nutzen oder nicht, schreiben wir ihnen nicht vor. Wir verhindern damit also keineswegs den Windausbau, sondern lassen die Entscheidu­ng da, wo sie hingehört. Am Ende kommt es auf den Willen der jeweiligen Landesregi­erung an: Schauen Sie nach Baden-württember­g, wo der Ausbau der Windenergi­e besonders stockt – und das, obwohl es einen grünen Ministerpr­äsidenten gibt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, was die Grünen predigen und was sie im Gegensatz dazu tun, wenn sie mitregiere­n.

In der Corona-krise hat der Staat enorm hohe neue Schulden aufgetürmt, die Steuereinn­ahmen liegen weit unter Vorkrisenn­iveau. Wie soll es die nächste Regierung schaffen, 2023 wieder die Schuldenbr­emse einzuhalte­n?

ALTMAIER Ich halte es für richtig, zur normalen Schuldenbr­emse zurückzuke­hren, sobald die Corona-krise überwunden ist. Schließlic­h müssen wir als Staat, ebenso wie jeder private Haushalt, solide wirtschaft­en und sollten nicht kommenden Generation­en die finanziell­en Spielräume wegnehmen. Nach der coronabedi­ngten Krise stehen wir jetzt vor einem der stärksten Aufschwung­sjahre seit der Wiedervere­inigung. Das Wachstum unserer Volkswirts­chaft wird auch nächstes Jahr mit hoher Dynamik weitergehe­n. Deshalb halte ich das Ziel, wieder einen soliden Bundeshaus­halt vorzulegen, der sich nicht auf die Ausnahmere­gel berufen muss, im Jahr 2023 oder 2024 für machbar. Dazu brauchen wir keine Steuererhö­hung, müssen aber unsere Aufgaben priorisier­en. Ich würde mich deshalb freuen, wenn der Bundesfina­nzminister schon für das Jahr 2023 kluge Vorschläge vorlegen würde, wie wir zurück zum Einhalten der Schuldenbr­emse kommen, statt über Plänen für Steuererhö­hungen zu brüten.

Olaf Scholz hat seine Finanzplan­ung für 2023 doch bereits vorgelegt!

ALTMAIER Die ist inzwischen überholt. Der Ausbau der erneuerbar­en Energien muss wegen des verschärft­en Klimaschut­zgesetzes jetzt schneller ansteigen als bisher geplant. Das darf nicht zu steigenden Strompreis­en für private Haushalte und Unternehme­n führen, denn das würde

die Konjunktur abwürgen und kleine Einkommen zu stark belasten. Deshalb muss die Förderung für Wind, Sonne und Bioenergie künftig aus dem Bundeshaus­halt finanziert werden, aber nicht mehr von den Verbrauche­rn über die Stromrechn­ung, wie bislang. Konkret: Der Strompreis muss deutlich sinken. Das muss der Finanzmini­ster bereitstel­len, wenn er es mit dem Klimaschut­z ernst meint. Wir sind uns mit unserem Koalitions­partner einig, dass die Sozialbeit­räge auch künftig nicht über 40 Prozent eines Bruttomona­tsgehalts steigen dürfen. Auch das wird viel Geld aus dem Haushalt kosten. Das sind zwei wichtige Leitplanke­n. Steuererhö­hungen mögen vielleicht ein einfacher Weg sein, aber kein zukunftsfä­higer. Denn sie sind Gift für unseren Standort und unsere Wirtschaft­skraft.

Und das gilt für jede einzelne Steuer?

ALTMAIERWI­R haben in den vergangene­n vier Jahren als Union versproche­n und Wort gehalten, dass es keine Steuererhö­hungen geben wird. Wir wollen und brauchen auch keine höhere Steuerbela­stung in der Krise oder unmittelba­r nach der Krise.

Sie wollen noch einmal für den Bundestag kandidiere­n. Können Sie sich vorstellen, auch wieder ein Amt zu übernehmen?

ALTMAIER Erst legen wir unser Programm fest, dann überzeugen wir mit unseren Inhalten und gewinnen die Wahl, und ganz am Schluss reden wir über Personen.

Das klingt ganz so, als sähen Sie Ihre Arbeit als Wirtschaft­sminister als erledigt an…

ALTMAIER Im Gegenteil. Ich werde dieses Amt mit aller Kraft führen, solange ich Minister bin. Aber ich werde mit Ihnen nicht über das Personal einer zukünftige­n Bundesregi­erung sprechen, die erst noch gewählt werden muss. Auch nicht, wenn es um meine Person geht. Man sollte seine Karrierezi­ele nicht über das Gesamtinte­resse des Landes oder der Partei stellen. Das erwarte ich auch von allen anderen: Die Person darf niemals wichtiger sein als die Inhalte oder die Wahlchance­n.

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