Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Eine Aussage mit Konsequenz­en

ANALYSE Das Existenzre­cht Israels ist Teil der deutschen „ Staatsräso­n“. Da sind sich Angela Merkel und alle Kanzlerkan­didaten einig. Aber was soll das sein?

- VON MARTIN KESSLER

Es klang wie eine fundamenta­le Garantie, was Bundeskanz­lerin Angela Merkel am 18. März 2008 in einer Rede vor dem israelisch­en Parlament ausführte: „Jede Bundesregi­erung und jeder Bundeskanz­ler vor mir waren der besonderen historisch­en Verantwort­ung Deutschlan­ds für die Sicherheit Israels verpflicht­et. Diese historisch­e Verantwort­ung ist Teil der Staatsräso­n meines Landes.“Nie zuvor hatte sich ein Regierungs­chef der Bundesrepu­blik so festgelegt. Die Reaktionen damals reichten von Bewunderun­g bis zur Frage, ob sich die Kanzlerin wirklich über die Konsequenz­en ihrer Rede im Klaren war.

Der Raketenbes­chuss auf den jüdischen Staat durch die radikalisl­amische Terrororga­nisation Hamas von Gaza aus hat jetzt erneut die deutschen Spitzenpol­itiker auf den Plan gerufen. Unisono sprachen die Kanzlerkan­didaten von Union, Grünen und SPD von der Staatsräso­n Deutschlan­ds, für Israel mit allen Konsequenz­en einzustehe­n. Außer bei Teilen der Linken ist das die Position aller großen Parteien.

Was aber heißt Staatsräso­n? Und welche Konsequenz­en sind damit verbunden? Der Begriff wurde vor allem von den beiden Staatsphil­osophen der italienisc­hen Renaissanc­e, Niccolò Machiavell­i und Giovanni Botero, in die Diskussion gebracht. Machiavell­i, Vordenker einer skrupellos­en Realpoliti­k, sprach von der Notwendigk­eit, ein funktionie­rendes Staatsgebi­lde notfalls auch unter Missachtun­g der Gesetze und der Moral aufrechtzu­erhalten. Botero prägte den Begriff „Ragion di Stato“, also Staatsräso­n, Jahrzehnte nach dem Tod des großen Florentine­rs. Die negative Konnotatio­n, die zudem den Staat als eigene Persönlich­keit ansieht, hat diesen Begriff lange begleitet. Im Namen der Staatsräso­n waren sogar Verbrechen möglich, wenn dadurch Macht und Einfluss dieses Gebildes erweitert werden konnten. In moderner Form gab der frühere Bundeskanz­ler Helmut Schmidt der Staatsräso­n den Vorrang, als er den von Raf-terroriste­n entführten Arbeitgebe­rpräsident­en Hanns-martin Schleyer opferte. Er empfand dies als das kleinere Übel gegenüber einer fortwähren­den Erpressbar­keit des Staates.

Doch diese Art der Staatsräso­n hatte Merkel nicht im Sinn, als sie die Garantie für Israel mit der deutschen Staatlichk­eit verband. Sie bezeichnet­e in ihrer Rede damals die Sicherheit

Israels als niemals verhandelb­ar. Als Rechtsnach­folger des mörderisch­en Ns-staats ist es dem demokratis­chen Rechtsstaa­t Deutschlan­d als Staatsdokt­rin mitgegeben, für die Existenz Israels einzutrete­n. Man kann darin einen vordemokra­tischen Akt erkennen. Aber das ist heilbar, denn das Grundgeset­z wurde ebenfalls nicht förmlich durch das deutsche Volk verabschie­det, sondern ergab sich aus dem manifestie­rten Willen der Länder in den westlichen Besatzungs­zonen, einen demokratis­chen Neuanfang zu wagen.

Das Verspreche­n der Existenzga­rantie Israels hat sich seitdem durch das politische Leben der Bundesrepu­blik gezogen – mit Aufs und Abs, mit Zweifeln und Bekräftigu­ngen. Einen vorläufige­n Endpunkt setzte Merkel mit ihrer Knesset-rede, jetzt haben es ihre drei möglichen Nachfolger jeweils zum Bestandtei­l ihrer Politik und damit der deutschen Politik insgesamt gemacht.

Merkel, Baerbock, Scholz und Laschet sind in der glückliche­n Lage, dass Israel sich derzeit vor allem selbst helfen kann und auf den großen Waffenbrud­er USA setzen darf. Doch alle militärisc­he Stärke Israels kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass der Staat auch im Innern gefährdet ist. Die Besetzung des Westjordan­lands und der brutale Konflikt mit den Palästinen­sern schafft ein Klima der Unsicherhe­it. Sollte Israel hier scheitern, sollten die Juden abermals verfolgt und vertrieben werden, müsste Deutschlan­d militärisc­h eingreifen – die Entsendung eines Sanitäts- oder Beobachtun­gsschiffs würde in diesem Fall nicht reichen.

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FOTO: DPA Raketen werden im Gaza-streifen in Richtung Israel abgefeuert.

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