Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Borussia gefährdet den eigenen Anspruch
ANALYSE Es ist kein realistisches Ziel für Gladbach, ein ständiger Champions-league-teilnehmer zu sein. Dennoch sollte unter Trainer Marco Rose der vierte Platz der Vorsaison bestätigt werden. Nun aber ist sogar das Minimalziel Einstelligkeit in Gefahr.
MÖNCHENGLADBACH Pellegrino Matarazzo, der Trainer des VFB Stuttgart, gab an, dass seine Mannschaft am Samstag in Mönchengladbach angetreten sei, um „einen Großen zu schlagen“. Dass die Stuttgarter kein „normaler Aufsteiger“sind, darauf hatte Gladbachs Manager Max Eberl verwiesen, da der VFB vom ortsansässigen Autohersteller großzügig unterstützt wird. Dennoch: Sportlich hat der Champions-league-achtelfinalist Borussia den Schwaben einiges voraus, weswegen Matarazzo zu seinem Urteil kam. Sein Team setzte die Vorgabe mit dem 2:1-Sieg erfolgreich um.
Dass inzwischen viele Gegner Borussia als „Großen“wahrnehmen, hat sie sich erarbeitet. Und auch ein gewisses Selbstverständnis. In dieser Saison war Gladbach angetreten, um das Vorjahresergebnis, Platz vier, mindestens wieder zu erreichen. Es ist nicht das realistische Ziel der Gladbacher, ständiger Champions-league-teilnehmer zu sein, doch gibt es die klare Ansage: „Wir wollen da sein, wenn einer der Großen strauchelt.“So war es im vergangenen Jahr, als Bayer Leverkusen bei Hertha BSC verlor und Gladbach so den Weg in die Königsklasse freimachte. Nun gab es für Bayer nur ein 1:1 gegen Berlin, indes gegen Union. Und Gladbach? War nicht in der Lage, das zu nutzen und noch mal an Leverkusen heranzukommen.
Mit der fünften Heimniederlage wurde zugleich der kleine Vorteil gegenüber den „Eisernen“aus Köpenik verspielt, die jetzt ihrerseits Platz sieben innehaben, der in die Play-offs für die neue Conference League führt. Die, das hatte Eberl vorab klargestellt, ist nach dem Aus im Champions-league-rennen, das Ziel der Gladbacher. Die Europa League, für die es nötig gewesen wäre, das nun komplett enteilte Leverkusen einzuholen, hatte er schon gar nicht mehr erwähnt.
Nun könnte es sogar eine WorstCase-saison werden. Denn verlieren die Borussen am letzten Spieltag bei Werder Bremen und sind zugleich der VFB und der SC Freiburg erfolgreich, dann wären die Borussen erstmals seit 2011 nicht einstellig in der Tabelle. Eben die Einstelligkeit hebt Eberl immer wieder als
Qualitätsmerkmal hervor, wenn er über die Entwicklung seit der Relegations-rettung vor zehn Jahren spricht. Genau genommen ist das der Minimal-anspruch der Gladbacher: ein Platz in der oberen Tabellenhälfte.
Dass Gladbach ausgerechnet unter Trainer Marco Rose, der 2019 mit höchsten Erwartungen geholt wurde, in eine solche Lage kommt, hätte Eberl sicher nicht erwartet. Rose sollte die Borussen noch näher heranführen an die Großen der Branche und diese das Fürchten lehren. Doch nun ist es Union Berlin, dessen Team den zweitniedrigsten Marktwert der Liga hat (76,3 Millionen Euro) hat, das dabei ist, die Schwäche eines Großen zu nutzen: die Schwäche Borussias.
Nur dreimal logierten die Borussen in dieser Saison auf einem direkten Europapokal-platz, kein einziges Mal war der achtmalige Tabellenführer der Vorsaison auf einem Champions-league-rang ansässig. In diesen Sphären hatte Gladbach die meiste Zeit der beiden Spielzeiten vorher verbracht. Kommen zu den aktuell 46 Punkten keine mehr dazu, wird es die zweit
schlechteste Saison seit 2011, nur einen Punkt mehr hätte Rose als sein Vorgänger Dieter Hecking 2017 geholt, da aber hatte es ein schwieriges erstes Halbjahr unter André Schubert gegeben, auch das war eine Champions-league-saison. Das noch mögliche Maximal-ergebnis von 49 Punkten würde den siebten Platz in den letzten zehn Jahren einnehmen, nur knapp vor 2013, 2017 und 2018.
So richtig sexy klingt das alles nicht. Und sexy waren auch nur wenige Spiele dieser Saison. Auch was das angeht, konnte Borussia in der zweiten Rose-saison selten dem eigenen Anspruch gerecht werden. Die Zahlen dazu: bisher 54 Gegentore, so viele gab es seit der Relegation nicht, nur 28 Heimpunkte, das zweitschwächste Ergebnis der Dekade, und 29 nach Führungen verspielte Zähler, Spitzenwert in der Bundesliga und Vereinsrekord.
Nach Bremen fährt Borussia am Samstag (15.30 Uhr/sky) mit dem Anspruch, zu gewinnen, um dann möglicherweise vom Sieg des ungeliebten Fußball-projekts RB Leipzig bei Union profitieren zu können. Doch dem eigenen Anspruch muss Borussia erst mal gerecht werden. Das fällt schwer in dieser Saison.