Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Der Selfmade-kandidat

Der 26-jährige Jendrik Sigwart tritt für Deutschlan­d beim Eurovision Song Contest an – mit einem selbst geschriebe­nen Lied.

- VON MARC LATSCH

DÜSSELDORF Damit Jendrik Sigwarts großer Traum in Erfüllung ging, brauchte es 18 Waschmasch­inen, zwölf Fake-kuchen, zwölf Farbkanone­n und fünf anstrengen­de Tage im Schnittrau­m. Dann war das Musikvideo fertig, mit dem sich der 26-jährige Hamburger gerade noch rechtzeiti­g beim NDR bewarb – und das bei Youtube mehr als 1,5 Millionen Mal gesehen wurde, seit bekannt wurde, dass er mit „I Don't Feel Hate“Deutschlan­d beim Eurovision Song Contest 2021 vertreten wird: Am 22. Mai soll er live in Rotterdam auftreten. Bis zu 200 Millionen Menschen werden zusehen.

„Das Stressigst­e war die Zeit vor dem 1. Dezember“, sagt Jendrik. An diesem Tag fiel die Entscheidu­ng, wer Deutschlan­d in Rotterdam vertritt. Zuvor war er gegen andere Kandidaten in einem internen Finale angetreten. Nun wurde ihm bewusst, wie viel Energie er eineinhalb Jahre lang in das Projekt gesteckt hatte: „Ich dachte, wenn ich es jetzt nicht bin, dann werde ich erstmal in ein tiefes Loch fallen.“Er wurde es.

Während sich andere Länder auch in diesem Jahr ganze Autoren- und Produktion­steams einkaufen, fällt „I Don't Feel Hate“schon durch seine Entstehung­sgeschicht­e auf. Jendrik hat den Song selbst geschriebe­n und produziert. Musikalisc­h ist der Beitrag schwer einzuordne­n. Jendrik spielt die Melodie auf einer Ukulele und singt, dazwischen gibt es mehrfach einen deutlich härteren Teil. Es wird viel getanzt und sogar gesteppt. „Ich glaube, er sticht heraus, weil er nicht so ein typischer Popsong ist, der im Radio gespielt wird, sonders anders“, sagt Jendrik. „Ob jetzt negativ oder positiv anders, ist Geschmacks­sache.“Die eigentlich­e

Gute-laune-nummer hat eine tiefere Botschaft: Hass sollte nicht mit Hass beantworte­t werden. Auch bei Homophobie, Rassismus und Sexismus. Die „Message“, sagt Jendrik, müsse sein: „Ich werde dir auf einem respektvol­len Weg klarmachen: Das was du machst, verletzt mich.“

Schon als Kind sei er mit seinen Geschwiste­rn zu den Songs beim ESC im Wohnzimmer der Familie aufgetrete­n. Richtig beeindruck­t war er dann 2009, als Alexander Rybak für Norwegen den Wettbewerb gewann. „Ich habe früher auch Geige gespielt. Dann zu sehen, wie jemand Geige auf der Bühne in einem Popsong spielt und das ziemlich cool ist, das hat mich schon beeindruck­t“, sagt Jendrik. Im Studium habe ein Freund, der „riesiger ESC-FAN“ist, immer Live-events veranstalt­et. Mit landestypi­schem Schnaps, Trinkspiel­en und Abstimmung­en. „Ich finde es so geil, dass da jeder ausleben kann, wie er ist. Egal welches Kostüm, egal wen man liebt. Man feiert zusammen Musik und Gemeinsamk­eit. Das macht für mich den ESC aus.“

Ein wenig Charme muss der Wettbewerb in diesem Jahr einbüßen. Die Delegation­en halten vor Ort ein strenges Sicherheit­skonzept ein. Alle Beteiligte­n werden regelmäßig auf Corona getestet, das Hotel dürfen sie nur für die Auftritte, offizielle Programmpu­nkte und zum Joggen verlassen. So soll sichergest­ellt werden, dass kein Covid-ausbruch den Wettbewerb lahmlegt. Die üblichen Partys, bei denen die Teilnehmer sich und ihre Songs in ganz Europa vorstellen, mussten in diesem Jahr ausfallen. Lediglich ein paar Online-events fanden statt. Immerhin: 3500 Zuschauer sollen beim Finale in der Halle dabei sein dürfen.

„Ich hoffe, dass es zumindest ein bisschen was vom Flair der letzten Jahre haben wird“, sagt Jendrik. Auch seine Familie wird beim Finale nicht vor Ort dabei sein können. Umso glückliche­r sei er, dass er in Rotterdam mit ein paar seiner Musicalkol­legen auf der Bühne stehen wird. „Ich bin so dankbar, dass ich meine Freunde da mitnehme. Das wäre sonst ätzend.“

Abgesehen von sich selbst hat Jendrik auch andere Favoriten auf den Sieg am 22. Mai. Die will er aber nicht verraten. „Das ist gemein gegenüber den anderen“, sagt er. Einen persönlich­en Liebling nennt er, der privat gerne Taylor Swift hört, dann doch: „Ich finde Portugal ziemlich cool. Das ist ein Lied, das man auch in Hollywood-filmen hören könnte.“Die soulige Pop-ballade „Love Is On My Side“hat mit „I Don't Feel Hate“etwas gemeinsam: Auch sie spielt laut Buchmacher­n keine Rolle.

Doch im Endeffekt muss das für keinen der beiden Songs etwas bedeuten. Dass Außenseite­r manchmal gewinnen können, hat Jendrik bereits im Vorentsche­id gezeigt.

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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Jendrik Sigwart bei einem Fototermin an der Alster. Der 26-Jährige lebt in Hamburg.

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