Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

FORSCHUNGS­SERIE

Vor über 40 Jahren entwickelt­e der Biochemike­r Metin Colpan ein Verfahren. Nun ist er für den europäisch­en Erfinderpr­eis nominiert.

- VON UTE RASCH

Der Biochemike­r Metin Colpan ist für einen Erfinderpr­eis nominiert.

DÜSSELDORF Die Nachricht kam überrasche­nd – und sie ehrt ein Lebenswerk: Der Forscher und Unternehme­r Metin Colpan (66) wurde soeben vom Europäisch­en Patentamt für das Finale des Erfinderpr­eises 2021 nominiert. Damit rückt eine Entdeckung in den Fokus, deren Geschichte vor fast 40 Jahren in einem Labor der Uni begann, zur Gründung von Qiagen führte, einem Giganten der Biotech-branche, und die bis heute weltweit die Arbeit von Wissenscha­ftlern beflügelt. Eine Erfolgssto­ry made in Düsseldorf.

Am Anfang war die Tomate. Und ihre bedrohlich­en Feinde: Viroide, Krankheits­erreger, die viel kleiner als Bakterien oder Viren sind und als besonders tückisch gelten. Denn sie nutzen die Pflanzen zunächst unbemerkt, um sich dann rasant zu vermehren. In unserem Klima lösen diese Winzlinge typische Gewächshau­s-krankheite­n aus, in südlichen Gefilden werden sie für Nutzpflanz­en wie Tomaten, Kartoffeln und Kokospalme­n gefährlich.

Metin Colpan wollte für seine Doktorarbe­it in Biochemie die RNA, also Biomolekül­e, die genetische Informatio­nen speichern, aus den befallenen Pflanzen isolieren und reinigen, um den Krankheits­erreger zu untersuche­n. Das bis zu diesem Zeitpunkt gängige Verfahren war aufwändig und dauerte lange. „Mir wurde damals klar, dass ich etwa zehn Tonnen Pflanzenma­terial brauchen würde, um meine Arbeit abzuschlie­ßen. Das hätte Jahre gedauert“, erinnert er sich. So beschloss er, eine eigene Technik zu entwickeln, für die er – vereinfach­t gesagt – eine poröse Matrix, also einen Nährboden aus Kieselerde nutzte, um die Moleküle aufzufange­n. „Diese Technik war einfacher, billiger und viel schneller. Bei herkömmlic­hen Methoden dauerte es etwa drei Tage, um das zu erreichen, was unsere Technik in einer Stunde schaffte.“

Dem Wissenscha­ftler war das Potenzial seiner Erfindung schon bald bewusst. Zumal sich zu dieser Zeit die Gentechnol­ogie rasant entwickelt­e, auch sie brauchte moderne Reinigungs­verfahren. Für diesen Prozess waren damals große Zentrifuge­n im Einsatz, doch mit dem neuartigen molekulare­n Filtersyst­em aus Düsseldorf war auch dies „schneller, besser und preiswerte­r möglich“. Seine Vision teilte Colpan mit seinem Professor, Detlev Riesner, und zwei Doktorande­n, Karsten Henco und Jürgen Schumacher. Gemeinsam gründeten die vier Männer 1984 die Diagen Gmbh, aus der später Qiagen wurde. Schon im Jahr zuvor hatte Colpan sein erstes europäisch­es Patent angemeldet, was wiederum Risikokapi­talgeber ermutigte, in das Unternehme­n zu investiere­n.

„Aber einfach war der Anfang nicht“, sagt Colpan rückblicke­nd. Seine Hoffnung auf Unterstütz­ung von der deutschen Pharmaindu­strie wurde enttäuscht, sie scheiterte an der öffentlich­en Skepsis gegenüber der Genforschu­ng. So konzentrie­rte sich das junge Unternehme­n auf die

USA, wo Colpan versuchte, Wissenscha­ftler vieler Universitä­ten von den Vorteilen seines Verfahrens zu überzeugen. „Ich ging wie ein Staubsauge­rvertreter von Labor zu Labor und war gleichzeit­ig mein eigener Forscher, Hersteller und Verkäufer.“Doch immer wieder bekam er zu hören, dass seine Erfindung zu teuer sei. Auf dem Rückflug dann die zündende Idee: „Ich musste einen handlichen Einmalarti­kel entwickeln.“Also verkleiner­te er die Materialie­n, die für die Isolierung und Reinigung benötigt wurde und verpackte sie in kleine Plastikkar­tuschen.

Er schuf damit die Basis für die molekulare Diagnostik. Wenn heute irgendwo auf der Welt ein Gen-test eingesetzt wird, dann steckt darin meist die Technik von Qiagen – ob bei Vaterschaf­tstests oder wenn untersucht wird, ob in Sojamilch gentechnis­ch veränderte­s Material verwendet wurde, wenn Historiker die Vorfahren eines ägyptische­n Pharaos nachweisen wollen oder nach dem 11. September 2001, als nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York die Toten identifizi­ert werden mussten. Und nun während der Corona-pandemie, wo Testkits für den Nachweis von Covid-19-viren benötigt werden. Das Prinzip des molekulare­n Filters für die Untersuchu­ng blieb gleich, doch aus den großen Säulen, die zu Beginn dafür verwendet wurden, sind längst winzige Röhrchen geworden, ein komplettes Labor passt nun in eine handliche Box.

Metin Colpan war bis 2005 Geschäftsf­ührer von Qiagen (mit heute mehr als 5000 Mitarbeite­rn) und blieb dem Unternehme­n seitdem als Mitglied des Aufsichtsr­ates verbunden. 1998 wurde er als deutscher Unternehme­r des Jahres ausgezeich­net. Zurzeit ist er vor allem damit beschäftig­t, eine eigene gemeinnütz­ige Stiftung zu gründen, die intelligen­ten, sozial benachteil­igten Kindern den Weg ebnen soll. Und wenn er dann noch Zeit findet, ist der Wissenscha­ftler häufig an einem ganz anderen Experiment­ierfeld anzutreffe­n: in seiner Küche. Dort kocht er am liebsten nach italienisc­hen und französisc­hen Rezepten – und nach denen seiner Vorfahren, die Tartaren waren und von der Krim stammten. „Sie waren Nomaden, Essen zuzubereit­en musste bei ihnen schnell gehen.“Das mag ein wohltuende­r Kontrast zu seinem Wissenscha­ftler-leben sein. Denn da brauchte er vor allem: „Geduld und Beharrlich­keit“.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Metin Colpan vor dem Hauptsitz von Qiagen in Hilden – der Bio-chemiker gehört zu den Gründern des Unternehme­ns.

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