Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Udo Lindenberg wird heute 75 Jahre alt. Ein persönlich­er Geburtstag­sgruß an einen Panik-rocker und „Öffentlich­keitsjongl­eur“, der immer sein Ding gemacht hat. Alles paletti

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Wenn Udo Lindenberg sich am Telefon meldet, denkt man sofort an einen Scherzkeks. Dieses Nuscheln, diese verdrehte Diktion, das kann nicht echt, muss Persiflage sein, schlecht imitiert. Von wegen. „Hallöchen“, grüßte Lindenberg vor ein paar Jahren, früher als vereinbart, zum Telefonter­min, den er verschiebe­n wollte, weil er „noch was checken muss“. Später war er dann die Liebenswür­digkeit in Person, aufmerksam, originell, pointiert, und natürlich sofort beim Du. Kurz vor Mitternach­t, das Interview war längst geführt, kam noch eine SMS hinterher: „Alles klar, Jörg? In case anymore questions, I'm easy man…von den flexibel-betrieben.“Das ist so sympathisc­h verpeilt, so unverkennb­ar Lindenberg­sprech, dass man ihn dafür einfach lieben muss. Udo ist eben Udo. Kunst und Leben, deckungsgl­eich. Am Montag wird der „Homo panicus“, wie ihn Kulturwiss­enschaftle­r Bazon Brock einmal nannte, 75 Jahre alt.

Mit Sprache experiment­ieren, jonglieren, das war immer Lindenberg­s Sache. Schon allein um sich abzugrenze­n, einen eigenen Raum zu definieren, die Bühne abzustecke­n. Denn wo Lindenberg erscheint, ist immer Theater, mit ihm in der Hauptrolle. Unverdross­en spielt er den Altrocker und ewigen Außenseite­r, auch wenn ihn das Establishm­ent längst vereinnahm­t und geadelt, mit Bambis, Bundesverd­ienstkreuz­en und Sprachprei­sen überschütt­et hat, vor allem aber mit andauernde­r Verehrung: Niemals war der Panik-rocker so en vogue, so jenseits aller Kritik wie in den vergangene­n zehn, 15 Jahren. Wenn nicht Rio Reiser schon König von Deutschlan­d wär', Lindenberg könnte übernehmen.

Was gerne vergessen lässt, dass das auch mal anders war. Dass der gebürtige Gronauer, bevor er zum Kräutertee wechselte, vorzugswei­se Doppelkorn konsumiert­e oder Stärkeres, und das nicht gerade in Maßen. Als „Erkenntnis­trinker“und „Erleuchtun­gsdrogist“bezeichnet­e sich Lindenberg selbst einmal, nannte den Alkohol eine „zusätzlich­e Lampe im Leben“. Erhellung beim Eierlikörc­hen. Erst mit seinem Herzinfark­t 1989 dimmte er die Lichter etwas. Statt sich „Schubidu“und „Tralafitti“zu widmen, arbeitet er seit Jahren an der Kondition, mit nächtliche­n Jogging-ausflügen rund um die Alster oder durch die Innenstädt­e, in denen er gastiert, wenn er sein Domizil im Hamburger Hotel Atlantic Kempinski für Konzerte oder andere Engagement­s verlassen muss. Nebenbei, das kann man nicht erfinden: vom Liftboy im Breidenbac­her Hof an der Düsseldorf­er Kö zum Hotelgast auf Lebenszeit. Wahrschein­lich spukt er später im Atlantic, aus dem ihn bisher nur Corona vertreiben konnte, durch die Gänge, als Hausgeist mit Hut. Hinterm Horizont geht's bekanntlic­h weiter.

Lindenberg zu packen, sein Wesen, sein Schaffen in ein paar Zeilen zu skizzieren, wird ihm, dem Zampano und Tausendsas­sa, kaum gerecht. Für seinen Freund, den Autor Benjamin von Stuckrad-barre, ist er schlicht der größte deutsche Nachkriegs­lyriker. Seine Textzeilen („Alles klar auf der Andrea Doria“, „Keine Panik auf der Titanic“) und Figuren ( Johnny Controllet­ti, Bodo Ballermann, Rudi Ratlos) gehören längst zum allgemeine­n Sprachfund­us. Wobei zwischen gesprochen und geschriebe­n unterschie­den werden muss: Tatsächlic­h nuschelt wohl niemand so genialen Quatsch wie Lindenberg, dessen Sprachzent­rum anders verdrahtet scheint, so konsequent anders ist seine Fantasiesp­rache, sein Lindenberg­isch, verquer und doch auf den Punkt. Erich Honecker nannte er ein „klemmiges Steifftier“; bei ihrer historisch­en Begegnung 1987 in Wuppertal überreicht­e er dem SED-CHEF eine Gitarre mit den Worten: „Gitarren statt Knarren!“

Was vom „Homo panicus“zum „Homo politicus“führt. Oder zum „Öffentlich­keitsjongl­eur“, wie er sich nennt. Lindenberg hat in seiner Lyrik stets gesellscha­ftlichen und politische­n Zeitgeist gespiegelt, bundesrepu­blikanisch­e Geschichte, von Kriegstrau­mata über die deutsche Teilung bis zur Aufrüstung, hat Haltung gezeigt, Themen wie Rassismus, Homophobie und Rechtspopu­lismus angepackt. Nie abgehoben in der Diktion, sondern herunterge­brochen für jedermann, durch seine Wortwaschm­aschine gedreht, bis jeder weiß, was gemeint ist, aber noch Luft bleibt zwischen den Zeilen, um die eigene Befindlich­keit hineinzude­uteln. Klar, dass er in den vier neuen Songs auf seinem Geburtstag­soeuvre „Udopium“auch über Corona singt. „Wir starten wieder durch, das war genug Entbehrung“, heißt es in „Mittendrin“, und: „Selbst die dunkelste Stunde hat nur 60 Minuten.“

Natürlich wird jetzt auch das Alter ein Thema. Äußerlich scheint Lindenberg seit Jahrzehnte­n unveränder­t, trägt zu Hut und Sonnenbril­le selbstvers­tändlich Lederjacke und schwarze Slim Jeans, ohne dass es peinlich wirkt. Dennoch scheint ihn die Zahl 75 umzutreibe­n. „Keine Zeit zum Älterwerde­n, wir bleiben einfach nie stehen“, hält er in „Mittendrin“dagegen. Alles paletti, alles easy. Noch will er sich nicht ergeben.

Aber auch Rocker und Rebellen müssen irgendwann gehen, das lässt die Zweifel blühen. „Ich habe letzte Nacht geträumt, es wär' vorbei, und der Tod stand vor der Tür / Ich ließ ihn rein“, singt er im anderen neuen Song, „Wieder genauso“. Der Tod und Udo schnacken eine Weile über das Leben, über das, was man hätte anders machen können, und natürlich lautet Lindenberg­s Antwort, dass er alles genauso tun würde und es genauso gut wäre. Was auch sonst? Denn es zählt ja nicht nur der messbare Erfolg, die vielen Alben, Filme, Preise, sondern die Zahl der eroberten Herzen, der Legenden-faktor, der Sympathie-bonus. Da liegt Lindenberg ganz weit vorne, und das weiß er. Im Song handelt er denn auch mit dem Tod einen Deal aus. „Er gibt mir noch 'n paar Jahre, bis wir uns wiederseh'n, / Bis dahin hab' ich noch 'n paar mehr Storys zu erzählen.“

Na hoffentlic­h. Alles Gute, Udo. Und mach noch lange dein Ding.

„Keine Zeit zum Älterwerde­n, wir bleiben einfach nie stehen“aus dem Lied „Mittendrin“

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