Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Duellantinnen mit Gemeinsamkeiten
ANALYSE Angela Merkel und Annalena Baerbock sprachen auf dem Ökumenischen Kirchentag. Trafen sich da alte und neue Kanzlerin?
DÜSSELDORF Zum Abschluss des 3. Ökumenischen Kirchentages haben sich die Organisatoren zufrieden mit der Resonanz gezeigt. Am viertägigen Laienfest und seinen digitalen Angeboten hätten sich rund 160.000 Menschen beteiligt, sagte die evangelische Kirchentagspräsidentin Bettina Limperg am Sonntag: Das sei eine „großartige Zahl“. Sie zeige, dass der Kirchentag Themen angesprochen habe, die angesagt seien.
Zum Programm gehörte auch ein indirektes Duelle zwischen Kanzlerin Angela Merkel und der Grünen-kandidatin Annalena Baerbock. Merkel traf unter dem Thema „Warum Klimaschutz alle Generationen braucht“neben anderen auf die Umweltaktivistin Luisa Neubauer. Baerbock setzte sich bei der Diskussion „For Future!“mit der Energiemanagerin Marie-luise Wolff und dem Ethik-professor Johannes Wallacher auseinander.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Klimaschutz wirkte die scheidende Kanzlerin in der Defensive. Die Angriffe Neubauers saßen: Die Klimakämpferin sprach von „Vertrauensbruch, ja Vertrauensbetrug“und davon, dass die Bundesregierung „den Klimaschutz verschlafen“habe, jetzt ein „Ende der leeren Worte“gefordert sei. Dem konnte Merkel nur entgegenhalten, dass der Ausstoß der schädlichen Klimagase in nur zehn Jahren um 20 Prozent gesunken sei und seit 1990 um die geplanten 40 Prozent abgenommen habe. Sie unterschlug, dass ihr dabei die
Corona-pandemie zu Hilfe kam, die die Wirtschaftsleistung 2020 um rund fünf Prozent abwürgte.
Merkel wirkte ein bisschen wie die Verwalterin des Status quo – klug und nüchtern, weil sie immer wieder betonte, wie wichtig und zugleich schwierig es ist, für mehr Klimaschutz Mehrheiten zu finden. Sie verlegt sich darauf, dass in einer Demokratie eben die Mehrheit dafür da sein müsse, um das Richtige zu tun: „Klimaschutz ist kein Selbstläufer.“
Gerade auf die „Stärke der Demokratie“hebt auch die Frau ab, die Nachfolgerin Merkels werden möchte. Grünen-politikerin Baerbock lobt auf dem anderen Podium ausdrücklich den Wert von Kompromiss und Debatte und spricht davon, dass ein beschleunigter Klimaschutz „von Mehrheiten getragen werden muss“. Es sei aber fatal, nur auf Sicht zu fahren. Das Management in der Corona-krise, für Baerbock auch sinnbildlich für den Klimaschutz, hätte perspektivischer ausfallen müssen. Natürlich habe man nicht alles wissen können. Aber der Kampf gegen die Verbreitung des Virus habe „einiges erschüttert“, vor allem bei den Gruppen, die für das künftige Gelingen einer guten Gesellschaft wichtig sind – Kinder, Jugendliche und Familien: „Stattdessen hat man sich um Baumärkte und Fußball gekümmert.“
Die Kandidatin der Grünen macht aber nicht alles schlecht: „Die Entwicklung des Impfstoffs war eine Sensation.“So etwas wünsche sie sich auch an innovativen Technologien für den Klimaschutz. Sie erwähnt den Wasserstoff, der die Stromerzeugung und Stahlherstellung ohne Co2-ausstoß möglich macht.
Merkel erinnert an die Wähler in ihrem ländlichen Wahlkreis, die sich Sorgen um den Bau immer neuer, größerer und lauterer Windräder machen. Offenbar erdet das Land beide Politikerinnen, weil sie dort aufgewachsen sind. Baerbock weiß, dass ein Auto für die Menschen dort unverzichtbar ist, wo „der Bus nur einmal am Tag kommt und auch ein neuer Bahnhof in vier Jahren wohl nicht aufgebaut werden kann“. Merkel und Baerbock sind beide fest in unserem politischen und demokratischen System verankert, sehen die Chancen, aber auch die Grenzen. Die Grünen-politikerin, die sich selbst „nicht ganz gläubig“nennt, nimmt die Werte der Kirchen und des Christentums auf, die „Verantwortung für uns alle“, die sich in den Religionen zeige, aber auch die „Verantwortung für unsere Schöpfung“. Bewusst wählt sie den christlichen Begriff, zählt ihn zum wichtigsten Punkt ihrer Agendaziele.
Merkel ist noch fester in der evangelischen Kirche verankert, obwohl es unbekannt ist, ob sie an Gott glaubt. Und auch sie tritt für einen neuen Lebensstil ein, der bewusster mit Lebensmitteln, mit der Vielreiserei und den begrenzten Energieressourcen umgehen will. Allerdings ist bei ihr immer ein Schuss Skepsis herauszuhören, ob auch die Mehrheit mitzieht. „Wir brauchen Treiber, um möglichst viele Menschen mitzunehmen“, schließt die Kanzlerin ihren Beitrag. Da dürfte ihre mögliche Nachfolgerin nicht widersprechen.