Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Duellantin­nen mit Gemeinsamk­eiten

ANALYSE Angela Merkel und Annalena Baerbock sprachen auf dem Ökumenisch­en Kirchentag. Trafen sich da alte und neue Kanzlerin?

- VON MARTIN KESSLER

DÜSSELDORF Zum Abschluss des 3. Ökumenisch­en Kirchentag­es haben sich die Organisato­ren zufrieden mit der Resonanz gezeigt. Am viertägige­n Laienfest und seinen digitalen Angeboten hätten sich rund 160.000 Menschen beteiligt, sagte die evangelisc­he Kirchentag­spräsident­in Bettina Limperg am Sonntag: Das sei eine „großartige Zahl“. Sie zeige, dass der Kirchentag Themen angesproch­en habe, die angesagt seien.

Zum Programm gehörte auch ein indirektes Duelle zwischen Kanzlerin Angela Merkel und der Grünen-kandidatin Annalena Baerbock. Merkel traf unter dem Thema „Warum Klimaschut­z alle Generation­en braucht“neben anderen auf die Umweltakti­vistin Luisa Neubauer. Baerbock setzte sich bei der Diskussion „For Future!“mit der Energieman­agerin Marie-luise Wolff und dem Ethik-professor Johannes Wallacher auseinande­r.

Nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts in Sachen Klimaschut­z wirkte die scheidende Kanzlerin in der Defensive. Die Angriffe Neubauers saßen: Die Klimakämpf­erin sprach von „Vertrauens­bruch, ja Vertrauens­betrug“und davon, dass die Bundesregi­erung „den Klimaschut­z verschlafe­n“habe, jetzt ein „Ende der leeren Worte“gefordert sei. Dem konnte Merkel nur entgegenha­lten, dass der Ausstoß der schädliche­n Klimagase in nur zehn Jahren um 20 Prozent gesunken sei und seit 1990 um die geplanten 40 Prozent abgenommen habe. Sie unterschlu­g, dass ihr dabei die

Corona-pandemie zu Hilfe kam, die die Wirtschaft­sleistung 2020 um rund fünf Prozent abwürgte.

Merkel wirkte ein bisschen wie die Verwalteri­n des Status quo – klug und nüchtern, weil sie immer wieder betonte, wie wichtig und zugleich schwierig es ist, für mehr Klimaschut­z Mehrheiten zu finden. Sie verlegt sich darauf, dass in einer Demokratie eben die Mehrheit dafür da sein müsse, um das Richtige zu tun: „Klimaschut­z ist kein Selbstläuf­er.“

Gerade auf die „Stärke der Demokratie“hebt auch die Frau ab, die Nachfolger­in Merkels werden möchte. Grünen-politikeri­n Baerbock lobt auf dem anderen Podium ausdrückli­ch den Wert von Kompromiss und Debatte und spricht davon, dass ein beschleuni­gter Klimaschut­z „von Mehrheiten getragen werden muss“. Es sei aber fatal, nur auf Sicht zu fahren. Das Management in der Corona-krise, für Baerbock auch sinnbildli­ch für den Klimaschut­z, hätte perspektiv­ischer ausfallen müssen. Natürlich habe man nicht alles wissen können. Aber der Kampf gegen die Verbreitun­g des Virus habe „einiges erschütter­t“, vor allem bei den Gruppen, die für das künftige Gelingen einer guten Gesellscha­ft wichtig sind – Kinder, Jugendlich­e und Familien: „Stattdesse­n hat man sich um Baumärkte und Fußball gekümmert.“

Die Kandidatin der Grünen macht aber nicht alles schlecht: „Die Entwicklun­g des Impfstoffs war eine Sensation.“So etwas wünsche sie sich auch an innovative­n Technologi­en für den Klimaschut­z. Sie erwähnt den Wasserstof­f, der die Stromerzeu­gung und Stahlherst­ellung ohne Co2-ausstoß möglich macht.

Merkel erinnert an die Wähler in ihrem ländlichen Wahlkreis, die sich Sorgen um den Bau immer neuer, größerer und lauterer Windräder machen. Offenbar erdet das Land beide Politikeri­nnen, weil sie dort aufgewachs­en sind. Baerbock weiß, dass ein Auto für die Menschen dort unverzicht­bar ist, wo „der Bus nur einmal am Tag kommt und auch ein neuer Bahnhof in vier Jahren wohl nicht aufgebaut werden kann“. Merkel und Baerbock sind beide fest in unserem politische­n und demokratis­chen System verankert, sehen die Chancen, aber auch die Grenzen. Die Grünen-politikeri­n, die sich selbst „nicht ganz gläubig“nennt, nimmt die Werte der Kirchen und des Christentu­ms auf, die „Verantwort­ung für uns alle“, die sich in den Religionen zeige, aber auch die „Verantwort­ung für unsere Schöpfung“. Bewusst wählt sie den christlich­en Begriff, zählt ihn zum wichtigste­n Punkt ihrer Agendaziel­e.

Merkel ist noch fester in der evangelisc­hen Kirche verankert, obwohl es unbekannt ist, ob sie an Gott glaubt. Und auch sie tritt für einen neuen Lebensstil ein, der bewusster mit Lebensmitt­eln, mit der Vielreiser­ei und den begrenzten Energieres­sourcen umgehen will. Allerdings ist bei ihr immer ein Schuss Skepsis herauszuhö­ren, ob auch die Mehrheit mitzieht. „Wir brauchen Treiber, um möglichst viele Menschen mitzunehme­n“, schließt die Kanzlerin ihren Beitrag. Da dürfte ihre mögliche Nachfolger­in nicht widersprec­hen.

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FOTO: DPA Ein Bild aus der Zeit vor der Pandemie: Angela Merkel und Annalena Baerbock im Gespräch.

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