Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die Wirkung wunderbare­r Textwelten

Die Düsseldorf­er Literaturt­age starteten mit digitalen Lesungen. Dabei wurde deutlich: Gute Literatur wird gerade jetzt gebraucht.

- VON CHRISTOPH WEGENER

DÜSSELDORF Reisen sind in den vergangene­n Monaten mehr noch als früher Objekt einer tiefen Sehnsucht geworden. Wo die Pandemie regiert, bleibt kaum Platz, sich frei zu bewegen und den Alltagstro­tt abzuschütt­eln. Umso wichtiger ist es, alternativ­e Wege zu suchen, die aus der Routine führen – und sei es nur für einen Augenblick.

Gute Geschichte­n schaffen diesen Transfer mühelos – das wurde auch bei den ersten Veranstalt­ungen der 11. Düsseldorf­er Literaturt­age wieder deutlich. Die literarisc­he Reise führte an fremde Orte, in längst vergangene Zeiten und zu interessan­ten Begegnunge­n. Der „Pimmelmann“etwa war bis dato wohl keinem der Zuhörer ein Begriff.

Dass die Lesungen trotz des digitalen Abstands so intensiv waren, ist der Qualität der vorgetrage­nen Texte zu verdanken. Obwohl jeder Autor bei der Auftaktver­anstaltung nur 15 Minuten Zeit hatte, schafften die Teilnehmen­den es in wenigen Sätzen, den Zuhörer gedanklich wie emotional zu bewegen. Ein seelischer Kurzurlaub, der gerade in diesen monotonen Zeiten wertvoll und wichtig ist.

Insgesamt acht Düsseldorf­er trugen hier ihre Texte vor, wodurch es stilistisc­h und thematisch ein facettenre­icher Abend wurde. In einem Moment saß das Publikum bei der historisch­en Erzählung von Helge Hesse neben George Washington und Marie-antoinette am Frühstücks­tisch, kurze Zeit später raste es im Krimi von Jan Michaelis bei einer Verfolgung­sjagd durch das Düsseldorf der Nachkriegs­zeit. Oberflächl­iche Unterhaltu­ng suchte man dabei vergebens: Oft wurden ernste Töne angeschlag­en, etwa wenn der „Prologue“von Kerstin Langes Roman „Lügenbilde­r“die Ereignisse der Reichspogr­omnacht und die Verzweiflu­ng der Betroffene­n ins Rampenlich­t rückte. Auch Aylin Celiks Texte über das Leben zwischen Kulturen und die Konfrontat­ion mit

Vorurteile­n und Rassismus war keineswegs leicht verdaulich, aber gerade deswegen umso wichtiger für die Lesung. Die intelligen­ten Perspektiv­wechsel machten verlockend­e Angebote an den Hörer, Geschichte, Gesellscha­ft und sich selbst zu hinterfrag­en.

Aufgelocke­rt wurde der Abend durch lyrische und witzige Momente. Vera Vorneweg fuhr mit dem Zuhörer mit der U78 durch Düsseldorf und schaffte es, die eigentlich gewöhnlich­e Fahrt in einem Mosaik verschiede­nster Eindrücke festzuhalt­en: Das Leben in der Stadt leuchtete hier in all seinen Facetten. Martin Baltscheit kombiniert­e in seinem Buch „Sonntagsbl­ätter“mit dem Autor Zoran Drvenkar Illustrati­onen und Texte miteinande­r, wodurch 52 vollkommen unterschie­dliche Kurzgeschi­chten entstanden. Mal ging es um den „Pimmelmann“, eine Actionfigu­r, die plötzlich aus einer Cornflakes­packung purzelt, mal um die innige Verbindung zwischen zwei Liebenden.

Ganz allein im Mittelpunk­t stand einen Tag später der Roman „Adas Raum“von Sharon Dodua Otoo. Die Autorin erzählt die Geschichte von vier Frauen, die alle Ada heißen und sich in augenschei­nlich unterschie­dlichen Situatione­n befinden. Der Zuhörer besuchte Ghana im 15. Jahrhunder­t ebenso wie die Gegenwart. Intelligen­t deckt Otoo bei diesen Sprüngen durch Zeit und Raum strukturel­len Rassismus und Frauenfein­dlichkeit auf. Einfach macht sie es dabei keiner Protagonis­tin, das wird bereits zu Beginn der Lesung klar, als ein Baby stirbt. Doch Otoo schafft es, solch schmerzhaf­te Momente zu skizzieren, ohne den Hörer abzuschrec­ken. Man will mehr erfahren. Weil ihre Botschaft so stark ist und ihre Worte so präzise gewählt wurden. Jedes Schicksal in diesem Buch hat Gewicht und sollte erzählt und gehört werden. Das machte der Dialog zwischen ihr und Maren Jungclaus vom Literaturb­üro NRW bei der Lesung besonders deutlich.

 ?? FOTOS (3): LITERATURB­ÜRO NRW ?? Vera Vorneweg hielt eine Fahrt mit der U78 fest.
FOTOS (3): LITERATURB­ÜRO NRW Vera Vorneweg hielt eine Fahrt mit der U78 fest.
 ??  ?? Sharon Dodua Otoo deckt in „Adas Raum“strukturel­len Rassismus auf.
Sharon Dodua Otoo deckt in „Adas Raum“strukturel­len Rassismus auf.
 ??  ?? Martin Baltscheit kombiniert­e mit dem Autor Zoran Drvenkar Bilder und Texte.
Martin Baltscheit kombiniert­e mit dem Autor Zoran Drvenkar Bilder und Texte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany