Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Flaschenpost aus dem Nachlass von Prince
Ein komplettes, bislang unveröffentlichtes Album des Meisters: „Welcome 2 America“ist qualitativ hochwertige Ware. Überraschungen fehlen indes.
MINNEAPOLIS Natürlich ist es gefährlich, wenn die Nachlassverwalter einer Künstlerpersönlichkeit die Archive plündern und in rascher Folge eine vermeintliche Sensation nach der anderen bergen und an die Öffentlichkeit bringen. Das Zuviel kann ein geschlossenes Werk verwässern, zudem hatte die Künstlerin oder der Künstler ja sicher gute Gründe, Musik unter Verschluss zu halten: noch nicht fertig, doch nicht so geworden wie gedacht, fehlgeschlagenes Experiment und so weiter.
Seit Prince vor fünf Jahren im Alter von lediglich 57 Jahren gestorben ist, sind weit mehr als 100 bis dahin unveröffentlichte Aufnahmen erschienen. Das Verblüffende an diesem enormen Output ist nun, dass nichts davon ein bestimmtes Qualitätsniveau unterschreitet. Kein Song kratzt am Genie des Meisters. Die Hörerschaft bekam vielmehr Einblicke in die Arbeitsweise des Künstlers, der ja bereits zu Lebzeiten das Prinzip des „Too Much“pflegte: Er nahm rund um die Uhr auf und häufte Material an, das er zum Teil auf neuartigen Vertriebswegen an die Fans brachte, etwa als CDBeileger zu Musikzeitschriften.
Nun erscheint ein Album, das Prince im Jahr 2010 mit großer Besetzung aufnahm. „Welcome 2 America“war komplett fertig, dennoch brachte Prince es nie heraus. Über rund 50 Minuten erstrecken sich die zwölf Stücke, und um direkt Entwarnung zu geben: Diese Produktion ist ein Qualitätsprodukt. Allerdings bietet sie auch keine Überraschungen. Prince pflegt retroseligen 70erJahre-soul-funk, bisweilen mit Ausflügen in den Funk-rock. Das Album läuft unaufgeregt und mit Ausnahme von „Hot Summer“ohne Hits durch.
Damals war der Us-amerikanische Präsident Barack Obama ein Jahr im Amt, und Prince kitzelte es ganz offensichtlich, Bilanz zu ziehen. Das Album beginnt mit einer Spoken-word-performance. Es habe sich nicht viel getan bisher, resümiert Prince, der sich einst aus Protest gegen die Plattenfirma das Wort „Slave“(Sklave) auf die Wange schrieb. Rassismus sei weiterhin an der Tagesordnung, die Wahrheit werde allzu oft verdreht, der Kapitalismus wüte ungezügelt. Mancher mag das als Flaschenpost an uns Heutige lesen.
Es gibt mit „When She Comes“den üblichen Rotlicht- und Seidenlaken-schmeichler sowie – echt wahr – die Coverversion eines Soul Asylum-songs. Am Ende zündet Prince eine Kerze an und versichert musikalisch: „One Day We Will All B Free“.
Warum er dieses Werk nicht herausbrachte, bleibt unklar. Sicher ist indes, dass solche gut kuratierten Veröffentlichungen trotz des leicht unguten Gefühls, dass man da etwas hört, das man nicht hätte hören sollen, dann ja doch Freude machen: Man begegnet einem verehrten Künstler wieder, man bekommt hochwertige neue Lieder, die die Wertschätzung für die eigentlichen Haupt- und Meisterwerke noch einmal steigern. Und vielleicht werden Nachgeborene, die nicht dabei waren, als „Purple Rain“und „Sign O The Times“erschienen, nun auf einen der Größten aufmerksam.