Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Fotograf auf leisen Sohlen
Reiner Ruthenbeck dokumentierte die Kunstszene in den 60er-jahren. Nun wird der Künstler von der Zero Foundation gewürdigt.
DÜSSELDORF Die Künstler der 50erJahre hatten ihre Info-börse in der Altstadt. Anlaufstellen waren das „Csikos“und die „Kreuzherrenecke“. Das lag am Ehepaar Otto und Trude Schuster. Die Wirtsleute kredenzten für wenig Geld Bier, Schnaps oder Speckschnitten. Sie gaben den Künstlern 50 Prozent Rabatt, feierten mit ihnen und ließen sie musizieren. Die Maler und Bildhauer, die allesamt auf dem „Blechtrommelbild“im Stadtmuseum verewigt sind, lebten von der Hand in den Mund, ersetzten zuweilen die feste Nahrung durch den Gerstensaft und feierten ein alternatives Wirtschaftswunder ohne Kühlschrank und Waschmaschine. Einer von ihnen, der die Szenen festhielt, war Reiner Ruthenbeck, dessen Fotos demnächst in der Zero-foundation zu sehen sind.
1937 in Velbert geboren, machte er in seiner Heimatstadt eine dreijährige Fotografenlehre und hielt neben Passfotos und Porträt-aufnahmen Hochzeitsgäste in Schwarzweiß fest. Nach getaner Arbeit lichtete er seit 1956 die Kunstszene in Düsseldorf ab. In dieses Milieu geriet er, weil Künstler „billige Fotografen“suchten, wie er selbst erzählte – und seine Aufnahmen waren nicht teuer.
Er war wie sie ein armer Schlucker. 1958 wohnte er in der Schnapsbude „Kreuzherreneck“, im „Bobbies“der Düsseldorfer Altstadt. Seine Dunkelkammer hatte er für kurze Zeit im Bunker unter dem Carlsplatz. Dort vergrößerte er seine Fotos und wässerte sie auf der Herren-toilette des damaligen Kinos, das gleichfalls unter der Erde lag. Die Aufnahmen entstanden für die seinerzeit berühmten Kammerspiele unter Jörg Utzerath. Ruthenbeck sagt über diese Zeit: „Wenn jemand pinkeln wollte, bin ich rausgegangen. Die Eingangstreppe führte an der Damentoilette vorbei. Die Leute schauten manchmal erstaunt.“
Die Auftraggeber zu Beginn der 60er-jahren waren Piene, Mack und Uecker, aber auch Brüning, Gaul, Alvermann und Fischer-lueg, sein späterer Galerist. Ruthenbeck war noch kein Bildhauer, liebte noch keine Aschehaufen, als die Fotos der Künstler entstanden. Sie wirken im Rückblick sympathisch und beredt. Sie ergeben keine Serien, wollen nicht formal verstanden werden, lassen sich weder unter dem Begriff der subjektiven noch der objektiven Fotografie einordnen. Sie faszinieren als Erzählungen der Zeit. Der Fotograf lässt die Freunde lachen und quasseln, zeigt sie im Zigarettenqualm und liebt die feinen Schattierungen und Schattenformationen, die er den Negativen beim Abziehen entlockt. Am schönsten sind die Aufnahmen, die er unbemerkt macht. Sie wirken intim, persönlich, liebevoll und behutsam.
Sie sind in ein feines, mildes Licht getaucht, und sie bieten abstrakte Licht-schatten-spiele. Ruthenbeck hält keine Promis fest, sondern Freunde. Panamarenko träumt noch vom Fliegen. Die Fahrgäste drängen sich in den überfüllten Straßenbahnen. Ein Mädchen tanzt allein in einer Bahnhofshalle. Eine Rückenfigur, die Puppe (oder ist es ein Baby?) im Arm, steht im matschigen Schnee der Nacht. Ein heulendes Kind zerrt an der Hand der gestrengen Mama. Ein Eckensteher versteckt sich in Paris. Eine Frau hockt im weißen Kittel im leeren Schaufenster vor einem spiegelnden Fensterglas. Selbst ein paar weiße Papiere bewirken in einer simplen Pappschachtel auf der Straße einen sensiblen Minimalismus in den feinsten Grau-weiß-tönen. Lauter Bildgeschichten aus einer Zeit, wo noch ein simples Wäschepaket auf sich aufmerksam machte.
Ruthenbeck wurde zum „Dokumentaristen“der Zero-feste, oder genauer gesagt, zum Beobachter auf leisen Sohlen, der sich an so nichtigen Dingen wie einem Heißluftballon in der pechschwarzen Nacht erfreuen konnte. Er sah mit dem blutjungen Günther Uecker auf die Pflastersteine vor der Schmela-galerie, ergatterte herrlich unscharfe Massenszenen, schmunzelte im Angesicht des stolzen Jungkünstlers Heinz Mack, der neben sich das Auto und über sich unzählige Luftballons hatte. Manchmal tauchte der Fotograf selbst auf, aber nicht in heroischer Künstlerpose, sondern wie ein unscheinbarer, verwackelter Geist, der das Tun der Kollegen begleitet.
Der Betrachter von heute staunt über die willigen Besucher, die sich einst an den weißen Papieren des Fluxuskünstlers Benjamin Patterson erfreuten. Insider entdecken George Maciunas auf der berühmten Leiter
vor Beginn des Fluxus-konzerts in der Kunstakademie, sehen den Galeristen Alfred Schmela als Pappfigur im Möbelhaus Berges bei der berühmten „Demonstration für den kapitalistischen Realismus“und erblicken Joseph Beuys – ausnahmsweise als Zuschauer – hockend. Währenddessen steht Sigmar Polke lässig neben seiner berühmten Tafel von den „höheren Wesen“, und das Ehepaar Schmela sitzt unter dem Schmela-bild, das heute in der Kunstsammlung hängt.
Was waren das noch für Zeiten, als ein Fotograf nicht nur die Motive, sondern auch die Atmosphäre lieferte.