Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Studieren in der eigenen Synagoge

In Potsdam gibt es den einzigen Studiengan­g für Jüdische Theologie an einer deutschen Universitä­t. Nun zieht er in ein eigenes Gebäude.

- VON BENJAMIN LASSIWE

POTSDAM Einst lebten und arbeiteten hier die Hofgärtner des preußische­n Königshaus­es. Doch wer in diesen Tagen das Nordtorgeb­äude und die Orangerie am Neuen Palais in Potsdam besucht, wird beide Häuser zumindest von innen kaum wieder erkennen: Denn hinter den mustergült­ig restaurier­ten Fassaden finden sich moderne Seminarräu­me, Büros – und die einzige Synagoge an einer deutschen Universitä­t. Schließlic­h bereitet man sich hier darauf vor, das „Zentrum für jüdische Gelehrsamk­eit“zu eröffnen. Ein europaweit einmaliges Projekt, das die Universitä­t der Brandenbur­ger Landeshaup­tstadt weiter als eine der weltweit führenden Hochschule­n im Bereich der jüdischen Theologie profiliere­n soll.

Unter einem Dach werden sich dann die „School of Jewish Theology“der Universitä­t Potsdam sowie zwei Rabbinerse­minare, das liberale Abraham-geiger-kolleg und das konservati­ve Zacharias Frankel College, befinden. „Das vollendet den langen Prozess, der 1836 begann, als Abraham Geiger sagte, die Emanzipati­on des Judentums sei erst dann vollendet, wenn die Geistliche­n-ausbildung des Judentums mit der der christlich­en Kirchen gleichgest­ellt sei“, sagt der Direktor des Abraham-geiger-kollegs und Potsdamer Rabbiner, Walter Homolka.

Er ist Professor und auch stellvertr­etender Geschäftsf­ührender Direktor der „School of Jewish Theology“. Schon damals wünschte sich Geiger ein Universitä­tsstudium in Jüdischer Theologie – ein Wunsch, der in Potsdam im Jahr 2013 erhört wurde. Damals hatten sich unter anderem die heutige Rektorin der Berliner Humboldt-universitä­t, Sabine Kunst, als Brandenbur­ger Wissenscha­ftsministe­rin und die heutige stellvertr­etende Spd-bundesvors­itzende Klara Geywitz für die Schaffung eines entspreche­nden Studienang­ebots eingesetzt.

Mittlerwei­le werden Bachelorun­d Masterstud­iengang stark nachgefrag­t: „Seit 2013 ist das Interesse größer als die Zahl der Studienplä­tze“, sagt Homolka. Im Durchschni­tt würden in Potsdam rund 100 Studierend­e Jüdische Theologie studieren. 31 davon bereiteten sich auf das geistliche Amt vor. Denn Rabbiner aus Potsdam sind in der Welt gefragt: Absolvente­n arbeiten in Südafrika, in Schweden und den USA. „Die anderen Absolvente­n ergreifen ganz unterschie­dliche Berufe: Einige sind mittlerwei­le als Journalist­en tätig, andere bei Stiftungen, in Parlament und Ministerie­n, aber auch im kulturelle­n Bereich“, sagt Homolka und führt fort: „Was die Jüdische Theologie gegenüber der Judaistik und den Jüdischen Studien so fasziniere­nd macht, ist der lebendige Zugang zu einer Religion, die nicht nur erforscht, sondern auch gelebt wird.“

Weswegen es unter dem Dach des neuen „Zentrums für jüdische Gelehrsamk­eit“auch die erste Universitä­tssynagoge in ganz Deutschlan­d gibt. Ein funktional­er Raum, der aber durch diverse Lichteffek­te eine sakrale Stimmung verbreiten kann. „Wir haben regelmäßig­e Wochentags­gottesdien­ste am Montag und Donnerstag, die auch dem Erfahrungs­gewinn der künftigen Rabbiner und Kantoren dienen“, sagt Homolka. Gleichzeit­ig soll die Synagoge in die Landeshaup­tstadt hineinwirk­en. Auch die örtlichen jüdischen Gemeinden, die seit Jahrzehnte­n über den Neubau einer vom Land finanziert­en Gemeinde streiten, sollen dort gelegentli­ch Gottesdien­st feiern können. „Aber die Synagoge soll auch Nichtjuden offenstehe­n, zum Beispiel den Studierend­en der Universitä­t als Raum der Stille dienen, wo man sich sammeln und auch mal ein Stoßgebet vor der mündlichen Prüfung abschicken kann“, sagt der Rabbiner.

Doch was kann das Studienfac­h Jüdische Theologie an einer staatliche­n Universitä­t eigentlich für die Gesellscha­ft als Ganzes leisten? Homolka hofft, dass er und seine Kollegen ähnlich wie christlich­e Theologen um Rat gefragt werden, wenn im Land wieder einmal ethische Fragen diskutiert werden. „Es ist generell wünschensw­ert, dass neben den christlich­en Kirchen auch andere Religionen gehört werden, wenn es um ethische Fragen geht“, sagt der Rabbiner. „Eine pluralisti­sche Gesellscha­ft muss diese Vielzahl der Stimmen abbilden.“Zumal das Judentum in manchen Fragen auch andere Positionen vertritt als die christlich­en Kirchen. Die Bandbreite der Themen reiche jedenfalls „von medizinisc­hen Fragen wie künstliche­r Befruchtun­g und Genetic Screening, Organtrans­plantation und Stammzelle­nforschung hin zur Wirtschaft­sethik und dem Umgang mit modernen Finanzinst­rumenten“, sagt Homolka.

 ?? FOTO: EPD ?? Die kleine Synagoge am Neuen Palais im Schlosspar­k verbindet das Hofgärtner­haus der preußische­n Könige, in dem nun die Rabbinerau­sbildung stattindet, mit der einstigen Orangerie, dem neuen Standort der Jüdischen Theologie.
FOTO: EPD Die kleine Synagoge am Neuen Palais im Schlosspar­k verbindet das Hofgärtner­haus der preußische­n Könige, in dem nun die Rabbinerau­sbildung stattindet, mit der einstigen Orangerie, dem neuen Standort der Jüdischen Theologie.

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