Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Am seidenen Faden
Die Casualisierung der Arbeitswelt schreitet voran, nicht zuletzt durchs Homeoffice. Schlipsträger wirken wie Relikte aus einer vergangenen Zeit. Dabei ist die Krawatte ein stilvolles Statement. Eine Würdigung.
„Die Krawatte macht den Mann“Honoré de Balzac französischer Schriftsteller
War es Gerhard Schröder? Oder Steve Jobs? Oder etwa Dieter Zetsche?
Wer sich auf die Suche nach der Antwort auf die Frage begibt, wer den Niedergang der Krawatte eingeläutet haben mag, stößt – ohne jemandem auf den Schlips treten zu wollen – mindestens auf diese drei Verdächtigen. Der Altkanzler etwa wurde in jüngeren Jahren unter anderem dadurch bekannt, dass er als erster Abgeordneter im Bundestag ohne Krawatte ans Rednerpult trat. Das war 1980, und dafür kassierte er immerhin einen Ordnungsruf von seiner Parteigenossin Annemarie Renger, damals Vizepräsidentin des Parlaments. „Ihr Verständnis von Würde ist ein Verständnis, das sich auf die Form bezieht. Unser Verständnis von Würde des Parlamentes ist ein Verständnis, das sich auf Inhalte bezieht“, schmetterte Schröder seinen Kritikern seinerzeit hochnäsig entgegen.
Ähnlich, wenn auch weniger auf trotzige Erläuterungen angewiesen, verstand Apple-gründer Steve Jobs wohl seine Rolle, der bei der Präsentation eines neuen Produkts aus seiner Smartphone-schmiede stets im smarten Rolli auftrat – nichts sollte von den jüngsten technischen Finessen aus Cupertino ablenken. Ex-daimler-chef Zetsche hingegen verbrämte seine persönliche Abneigung gegen den Binder mit Firmenphilosophie: Der Verzicht signalisiere flache Hierarchien.
Wie auch immer: Im Silicon Valley sähe ein Schlips zum allgemein üblichen T-shirt schön blöd aus, und auch hierzulande hat sich der zunächst zaghaft gestartete Casual Friday modemäßig durchaus als eine Art Friday for Future entpuppt, denn die lockere Bekleidung, mit der sich die Belegschaften selbst konservativer Unternehmen auf das Wochenende einstimmten, erfreute sich derartiger Beliebtheit, dass ein abgespecktes Erscheinungsbild alsbald weitere Werktage prägte. Vermehrt ließen die Chefs ihrerseits die Krawatte weg, und als Corona zahllose Werktätige ins Homeoffice zwang, begann das Teil in den Kleiderschränken gänzlich zu verstauben. Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass bei der anstehenden Rückkehr männlicher Massen ins Büro eine Renaissance dieses Accessoires vorerst nicht zu erwarten ist. Angesagt bleibt oben ohne. Die Zukunft der Krawatte hängt am seidenen Faden.
Es ist ein harscher, wenngleich nicht der erste Einschnitt in der mehr als 350-jährigen Geschichte des Halsschmucks, einstweilen gewissermaßen die Entbindung des Mannes – vom Windsorknoten, Pratt-knoten, vom Kelvin- und vom Kleinen Knoten, vom Sankt-andreas-knoten oder vom Merowinger Knoten, obwohl Letztere im Leben keine Krawatte getragen haben. Das gute Stück wurde vielmehr durch ein kroatisches Reiterregiment salonfähig, das im Jahr 1663 bei einer Parade zu Ehren der Errichtung des Versailler Schlosses aufmarschierte. Die Soldaten trugen ein Halstuch, auf dem der Blick des Sonnenkönigs Ludwig XIV. mit Wohlwollen zu liegen kam. Im 30-jährigen Krieg hatte es der Freund-feind-erkennung gedient, nun wurde „la cravate“, das Halstuch „nach kroatischer Art“, zu einem Markenzeichen nicht nur des französischen Adels, sondern auch des aufstrebenden Bürgertums. „La cravate, c'est l'homme“, befand 1830 der französische Schriftsteller Honoré de Balzac. Die Krawatte macht den Mann.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Enden des Binders um den Hals immer länger, so dass die Krawatte allmählich zu ihrer heutigen Form gelangte. Der Schlips (von niederdeutsch „slip“= Zipfel) war geboren. Der Klassiker besteht aus reiner Seide, es gibt schreckliche Ausführungen aus Leder, Strick oder sogar Holz, ultraschmal oder in den Ausmaßen eines Handtuchs, sogar der Abstand zum Gürtel verrät einiges über das Stilempfinden des jeweiligen Trägers. Bis etwa 1970 betrug er eine Handbreit, inzwischen sollte zwischen Krawattenspitze und Hosenbund keinesfalls mehr als ein Daumen passen.
Natürlich ist die Krawatte nicht nur ein modisches, sondern stets auch ein politisches Statement gewesen. Vereinsoder Schulkrawatten erfreuten sich bald großer Beliebtheit. Mit dem Binder setzten sich Büromenschen früh von Blaumännern ab. Die wiederum prägten den spöttischen Begriff, „eine Krawatte kriegen“, wenn ihnen selbst mal der Hals schwoll. „Einen hinter die Binde“gießt man sich indes seit jeher lustvoll ohne Standesunterschiede. Die Beatles traten bei ihren ersten Auftritten noch mit Krawatte auf, ehe sie sich Haar und Bart wachsen ließen, die Studenten der späten 60er-jahre des vergangenen Jahrhunderts taten es ihnen gleich. Damals wurde das traditionsreiche Utensil erstmals zu einem negativen Symbol des Establishments. Doch dann brachten es Künstler wie Bryan Ferry, David Bowie und sogar Annie Lennox zurück auf die Bühne und sorgten für das Comeback der Krawatte. Eine neue Yuppie-kultur dankte es ihnen.
Und heute: Schlipsträger wirken wie zugeknöpfte Relikte aus einer vergangenen Zeit. Sie finden sich hauptsächlich noch im Dienstleistungssektor, aber auch dort sind massive Auflösungserscheinungen zu beobachten. Vor allem zahlreiche Banken verabschieden sich gerade von der Krawattenpflicht, man möchte den Kunden gern auf Augenhöhe begegnen.
„Die Krawatte tat sich schon vor Corona schwer“, bestätigt Barbara Pauen, Geschäftsleiterin von Ascot in Krefeld, einem der größten Krawattenhersteller in Deutschland. Seit 1908 bringt das Unternehmen Kollektionen aus heimischer Produktion auf den Markt, etwa 30.000 Krawatten pro Jahr waren es vor der Pandemie. Homeoffice habe die Lage verschärft, sagt Pauen, auch das klassische Hemd sei unter Druck. Ihr Blick in die Zukunft ist dennoch „verhalten optimistisch“: Zum einen nehme das gesellschaftliche Leben allmählich wieder an Fahrt auf. „Zum anderen bleibt die Krawatte das einzige Teil, um sein Outfit mit nur einem Accessoire wirklich individuell zu verändern und seine Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen.“
Da ist was dran. Wahrscheinlich werden die Marken-t-shirts, die uns im Büro begegnen, demnächst nicht nur künstlich verblichen, sondern auch zerrissen und zerfranst sein, wie es die ultra-lässigen Jeans heute schon sind. Und wenn Letztere dann durch Shorts ersetzt werden sollten, deren Träger auf Edel-badelatschen daherkommen, dann, ja dann ist es Zeit, über das abermalige Comeback der Krawatte nachzudenken.