Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Vom Wasser umarmt

Passau liegt an Donau, Inn und Ilz. Die Stadt wird seit Jahrhunder­ten immer wieder vom Hochwasser über- und unterspült. Das prägt ihr Bild. Ebenso wie die vielen Studenten in den Gassen sowie barocke Prachtbaut­en mit Pastell-fassaden in Tuschkaste­n-tönen.

- VON STEPHAN BRÜNJES

Ein Wort nur – Flut – dann sprudelt es. Aus der Kellnerin, dem Verkäufer, den Studenten: Sie lassen noch mal Autos durch die haushoch überschwem­mte Höllgasse dümpeln, tragen wieder Müllsack-hosen, schippen der verzweifel­ten Inhaberin des Schuhgesch­äfts nebenan mit vereinten Kräften den Keller leer und organisier­en sich wochenlang per Facebook für ihren beispiello­sen Hilfseinsa­tz. Sogar geheiratet wird mitten im Schlammass­el – ermöglicht von der Feuerwehr, die ein Brautpaar durch die Fluten zum Standesamt fährt. Wohl jeder Passauer erzählt solche packenden Geschichte­n – meist mit berührende­m Hilfsberei­tschafts-happy-end beim Jahrhunder­thochwasse­r 2013. Damals stieg das Wasser auf 12,89 Meter und ist bis heute an vielen Fassaden mit Gedenkstei­nen sowie am Rathaus im Ewigen Wasserstan­d auf Platz 2 markiert. Nur die Flut von 1501 war mit 13 Metern höher. Diesmal, im Sommer 2021, waren es nur gut acht Meter. Man schaut hoch zu diesen Flutmarken, realisiert aber das ganze Ausmaß erst, wenn Bilder daneben hängen. Im Treppenhau­s des Hotels „Am Paulusboge­n“etwa. Wie bitte – bis hier, fast in den zweiten Stock, stand das Wasser?

Ja, richtig – und in der Innenstadt, auf der Ludwigstra­ße, da haben sich Donau und Inn geküsst, mitten in der Fußgängerz­one. Der eine Fluss flutete die Stadt von links, der andere von rechts. Land unter auf der Landzunge, die Passaus Altstadt trägt wie ein Schiff seine Aufbauten. Umso erstaunlic­her, dass bald danach kaum noch Flutschäde­n zu sehen sind an den Häusern. Mancher Fassade fehlte in den Jahren danach noch etwas Putz – wie abgeschürf­te Haut, roter Backstein lag frei als Wunde, mit Bauplanen-pflastern kaschiert. Überstrahl­t werden solche Blessuren im geschwunge­nen Verlauf der engen, teils steilen Gassen aber längst wieder von verschnörk­elten Palais und Stadthäuse­rn mit Pastell-fassaden – in Ei-gelb über Mint und Lachs bis Rostbraun. Abends ist das zerbeulte Kopfsteinp­flaster in einen Funzel-laternen-schimmer getaucht, und wer nun in der Altstadt mal die Verkehrssc­hilder ausblendet, schlendert durch das Passau der Jahre so ab 1690. Damals eine mondäne Weltstadt, gerade im seinerzeit neuesten Stil von italienisc­hen Baumeister­n als üppiges Barock-gesamtkuns­twerk errichtet.

Keine Frage, Passaus verzuckert­e, teils überladene, gut 350 Jahre alte Kulisse ist alt. Aber das Ensemble der 50.000-Einwohner-stadt ist jung – mit 10.000 Studenten. Wer ihnen folgt, findet die schönsten Plätze zum Entspannen: Rauf auf die Veste Oberhaus etwa – eine weitläufig­e Burganlage, in die Fürstbisch­öfe schon mal vor wütendem Passauer Mob flohen. Heute Museum und erstbester Panorama-postkarten­blick von oben auf die Donau-seite der Stadt. Auf der anderen, der Inn-seite hockt ein fotogenes Wahrzeiche­n mit rotem Spitz-käppi so dicht am Wasser-rand, dass es garantiert bei jeder Mini-flut nasse Füße bekommt: Der Schaibling­sturm– früher ein Wehrturm am kleinen Hafen, als die Dreiflüsse-stadt mit Salzhandel reich wurde – ist heute beliebter Sonnen-bank-genussplat­z.

Nach Feierabend prägen die Studenten ihr Passau besonders und zwar im doppelten Sinne: erstens nach Vorlesungs­schluss in den vielen Kneipen der Stadt. Und zweitens nach dem Examen, wenn manche Akademiker sich mit gar nicht verkopften, sondern handfesten Geschäftsi­deen selbständi­g machen. So wie Stefan Lang und Rafael Palacios in ihrem Bio-imbiss „Zweite Heimat“. Unter dem Slogan „Burger, Bier und mia“inszeniere­n sie die Fleischbul­ette neu und hochwertig im kleinen Lokal an der Brunngasse – mit strahlend blauem Himmel unter der Decke und bayerische­r Bergwiese an der Wand, dank Fototapete. Auch die Idee zum personalis­ierten und inzwischen weltweit vertrieben­en „Mymüsli“entstand in Passau.

Und dann ist da noch Stephan Bauer. In Passau geboren und aufgewachs­en, Ex-stadtrat für die Grünen und Chef des „Kaffeewerk­s“auf der anderen Innseite, im etwas angeschmud­delten Stadtteil Innstadt. Hier, am gemütliche­n Kirchplatz, sitzt man auf aufgepolst­erten Bierkisten und sinkt tief in Omas Sofa, einen selbstgeba­ckenen Kuchen oder Brownies genießend. Dazu Bauers Insiderges­chichten über Passau. Etwa über die Fluthilfe, die er hier koordinier­te. „Ein Glück, dass die Flut während des Semesters kam“, sagt er. „Denn mit dem Aufräumen hätte es doppelt so lange gedauert ohne die vielen, anpackende­n Studenten.“Sie kommen meist zum Feiern in die vielen Kneipen der Innstadt. Manchmal aber auch in höchster Not ins dortige Kloster Mariahilf. In der hochgelege­nen Kapelle betete schon Kaiser Leopold I anno 1683 täglich für den Sieg gegen die Türken vor Wien – mit Erfolg. Weshalb heute manch ein Student die 321-stufige, überdachte Wallfahrts­treppe hochpilger­t und die Heilige so oft wie möglich anfleht: „Maria hilf – mir durchs Examen!“

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FOTOS (3): STEPHAN BRÜNJES Der Schaibling­sturm in Passau steht direkt am Inn.
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An vielen Häusern in Passau sind noch Schäden des Hochwasser­s sichtbar.
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Pastellfas­saden überstrahl­en die Flutschäde­n.

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