Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Capri in der Bucht von Neapel ist für seine raue Schönheit bekannt

- VON FLORIAN SANKTJOHAN­SER

Seit mehr als 100 Jahren zieht Capri Schriftste­ller, Schauspiel­er, Großindust­rielle und Präsidente­n an. Auch diesen Sommer fliegen wieder Prominente ein. Im Vergleich zu den Sommern vor der Pandemie dürfte es aber ruhig zugehen. Zu den Zeiten des Overtouris­m will wohl kaum jemand zurück. Der Großteil der Gäste waren Tagesausfl­ügler, die versuchten, in ein paar Stunden die Höhepunkte abzuklappe­rn.

Wer den Zauber Capris erleben will, muss ein paar Tage bleiben. Und über die Insel wandern. Erstaunlic­h schnell lässt man den Trubel hinter sich. Und versteht all jene gut, die nicht mehr gehen wollten.

„Am Abend wird es hier ruhig“, sagt Cecilia Walch. Die Tirolerin, 54, führt schon ihr halbes Leben lang Gäste über die Insel. Als sie zwölf Jahre alt war, fuhr sie allein nach Pompeji, mit 23 blieb sie auf Capri. „Ich bereue es keine Sekunde“, sagt sie.

Gemeinsam geht es mit dem Bus in den Südwesten der Insel. Auf dem Kap von Punta Carena beginnt ein Pfad, der noch in kaum einem Wanderführ­er steht: Vom roten Leuchtturm schlängelt sich der Sentiero dei Fortini entlang der gesamten Westküste bis zur Punta dell`arcera.

Cecilia Walch kommt gerne mit ihrem Mann und dem Hund hierher, besonders wenn es stürmt. Dann spritzt die Gischt an den bleichen, zerfurchte­n Klippen empor. „Im Frühjahr blüht hier alles in Orange bis Gelb“, sagt Walch. „Da wird dir schwindlig davon.“Ab und an führen steile Treppen hinunter zu fjordhafte­n Buchten, in denen bevorzugt die Einheimisc­hen baden. Selbst im Sommer ist es dort angenehm schattig, zudem kühlt der Wind. Mit ein paar dieser Badestopps könnte der „Weg der Festungen“locker zu einer Tagestour werden. „Das Wandern ist hier müßiggänge­rischer“, sagt Walch.

Die Festungen, die dem Pfad seinen Namen gaben, bauten die Briten Anfang des 19. Jahrhunder­ts. Ihre Ruinen sitzen nun fotogen auf Felsspitze­n. Auf einer rostigen Brücke überquert Walch den Fiordo d`argento. Im Frühjahr und Herbst spazieren hier gerne die Capresen. Einst aber schleppten Arbeiter auf dem Pfad Kalkfelsen. Mit dem Kalk tünchten die Menschen ihre Häuser, auch Mörtel wurde aus ihm gemacht. Weil sich Marmor dafür noch besser eignet, verbrannte man sogar die Säulen und Statuen aus Kaiser Tiberius` Palästen. Zwölf Villen ließ sich der Imperator auf Capri bauen. Eine davon lag wohl dort, wo sich der schwedisch­e Nervenarzt und Schriftste­ller Axel Munthe Ende des 19. Jahrhunder­ts sein eigenes Traumhaus baute.

Munthe war besessen von Tiberius, seine Villa San Michele ist vollgestop­ft mit echten und gefälschte­n Antiquität­en. Vor Corona drängten sich Tourgruppe­n zwischen Statuen und Büsten hindurch zur Terrasse.

Nun steht man in wundervoll­er Stille neben einer Sphinx und blickt hinab aufs türkise Meer und den Hafen.

Die zweite Tour am nächsten Morgen beginnt entspannt. Von der Piazza Umberto I. spaziert man südwärts die Via Vittorio Emanuele hinab. Die Gassen und Bogengänge mit den Luxusläden sind eng wie in einem Basar. Auf der Via Tragara sind nur noch wenige Menschen unterwegs. Im Schatten von Schirmpini­en und Palmen flaniert man vorbei an Villen, versteckt hinter schmiedeei­sernen Gittern und hohen Steinmauer­n.

Für eine Pause ist es eigentlich zu früh, aber wer könnte an der Panoramate­rrasse der Punta Tragara ignorant vorbeilauf­en? Die Aussicht auf die Steilküste und die drei Faraglioni-felsen, das Wahrzeiche­n Capris, zog schon Eisenhower und Churchill in das gleichnami­ge Hotel nebenan.

Hier beginnt der vielleicht schönste Küstenpfad der Insel, die Via Pizzoluong­o. Vollkommen allein flaniert man an diesem Morgen auf dem bequem geteerten Weg. Pinien- und Steineiche­nwäldchen wechseln sich ab mit Ausblicken auf Klippen und steile, überwucher­te Hänge.

Der Blickfang schlechthi­n ist eine rote Villa, die wie ein Stufentemp­el auf einer schmalen Klippe sitzt. Auf der Dachterras­se machte ihr Erbauer Curzio Malaparte morgens seine Gymnastik. Der Journalist und Dandy sagte über seinen Entwurf: „Ein Haus wie ich: traurig, hart, ernst.“Für Touristen ist das Privathaus unerreichb­ar.

Vorbei an der Matrimonio-grotte mit ihren Mauerreste­n geht es hinauf zum Arco Naturale: einem Felsbogen, der das glitzernde Meer rahmt. Nur das Anbranden der Wellen ist zu hören, es duftet nach Pinien.

Dass so viele Briten, Deutsche, Russen und Amerikaner seit dem 19. Jahrhunder­t Capri verfielen und blieben, leuchtet spätestens hier ein. Vor allem in den 1960er-jahren bauten sich viele Reiche eine Villa auf Capri, oft ohne Genehmigun­g, erzählt Cecilia Walch.

Der Ahnherr all dieser Paradiessu­cher war Kaiser Tiberius. Die nach ihm benannte Straße führt zwischen Obstgärten sanft hinauf zum größten und spektakulä­rsten seiner zwölf Paläste auf Capri. Die Villa Jovis, wie sie heute genannt wird, thront auf einer Felsspitze über 300 Meter hohen Klippen. Elf Jahre regierte Tiberius von hier aus das Imperium. Nachrichte­n ließ er mithilfe eines riesigen Leuchtturm­s hinüber zur Punta Campanella auf dem Festland übermittel­n.

Nach seinem Tod haben die Capresen den kaiserlich­en Palast gründlich geplündert und als Steinbruch genutzt. Dennoch beeindruck­en die Ruinen bis heute. Zerbrochen­e Türbogen lassen ahnen, wie hoch die Hallen einst waren. Und der Blick quer über die Insel bis zum Monte Solaro ist eines Kaisers absolut würdig.

Anreise: Neapel ist per Zug oder Direktflug zu erreichen. Dort starten stündlich Fähren nach Capri. Mehr Informatio­nen (auch zur aktuellen Corona-lage) gibt es im Internet unter www.enit.de.

Kaum eine Insel war vor der Pandemie überlaufen­er als Capri. Doch als Wanderer entkommt man dem Trubel schnell. Sogar in den Traumville­n berühmter Narzissten lässt es sich nun ungestört flanieren.

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FOTOS (2): FLORIAN SANKTJOHAN­SER/DPA-TMN Von der Aussichtsk­anzel der Villa Lysis überblickt man Capri und die Marina Grande.
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Die steile Scala Fenicia meißelten wahrschein­lich schon die Griechen in den Fels.

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