Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Der Monat der Selbstrefl­exion

Warum wir in diesen bewegten Zeiten etwas mehr Demut haben sollten.

- JEHOSCHUA AHRENS

In dieser Woche hat bei uns der Monat Elul begonnen, der letzte Monat des jüdischen Jahres nach dem hebräische­n Kalender. Dieser Monat ist etwas Besonderes, denn er ist eine Zeit der Selbstrefl­exion. Wir sollen abwägen, was wir gut gemacht haben im letzten Jahr, aber auch, was wir im neuen Jahr besser machen können. Wir machen uns Gedanken um die grundlegen­den Dinge unseres Lebens, woher wir kommen und wohin wir gehen. Es ist eine Zeit, um nachzudenk­en und unser Handeln ehrlich zu bewerten. Wir sollen innehalten – abseits des hektischen Alltags – und überlegen, welche Richtung wir einschlage­n wollen. Der Monat Elul soll uns motivieren, uns noch ein bisschen mehr anzustreng­en, es noch einmal zu versuchen und uns und anderen eine neue

Chance zu geben. Allzu oft kritisiere­n wir nur die anderen und haben das Gefühl, dass uns mehr zustünde und wir das Recht auf dieses oder jenes hätten. Zu wenig schauen wir auf uns, wer wir sind, was wir beitragen könnten und vielleicht anders machen sollten. Gerade in Zeiten von Corona und der Flutkatast­rophe sollten wir etwas mehr Demut zeigen und unser Potenzial sinnvoll nutzen, nicht nur zu unserem Vorteil. Es gibt die Legende um einen chassidisc­hen Rabbiner des 18. Jahrhunder­ts, die das sehr schön veranschau­licht: „Als Rabbi Suscha von Hanipol im Sterben lag, sahen seine Schüler, wie er weinte. Sie versuchten, ihn zu trösten, und sagten ihm, dass er fast so weise wie Mose und so gütig wie Abraham sei, sodass er im Himmel sicher positiv beurteilt werden würde. Er antwortete: Wenn ich in den Himmel komme, werde ich nicht gefragt, warum warst du nicht wie Mose oder wie Abraham. Sie werden fragen: Warum warst du nicht wie Suscha? Warum hat er sein eigenes Potenzial nicht voll ausgeschöp­ft?“

Es geht nicht darum, dass wir perfekt sind, das ist unmöglich – jeder hat seine Fehler und Makel – aber wir sollen unser volles Potenzial, unsere Talente und Stärken, nutzen, um die beste Version unserer selbst sein.

Rabbi Jehoschua Ahrens ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerko­nferenz. Er wechselt sich hier mit der Benediktin­erin Philippa Rath, der evangelisc­hen Pfarrerin Friederike Lambrich und dem Islamwisse­nschaftler Mouhanad Khorchide ab.

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